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Einem Museum beim Denken zuhören

In der Ausstellung „Afrosonica Soundscape“ übt das Ethnografische Museum Genf einen selbstkritischenUmgang mit der eigenen Sammlungsgeschichte und holt dazu die Klangvielfalt eines großen Kontinents hervor

Von ihr gibt es in der Ausstellung „Afrosonica – Soundscape“ unbekannte Songs zu hören: Miriam Makeba, 1969 bei einem Auftritt in Frankreich Foto: Philippe Gras/Alamy Stock

Von Andi Schoon

Es ist ein heißer Sommertag, aber für die luftgekühlte Temperatur im zweiten Untergeschoss hat man hoffentlich einen Pullover dabei. Denn die Ausstellung „Afrosonica“, momentan im Ethnografischen Museum in Genf (MEG) zu sehen, findet in klimatisierter Atmosphäre statt. Logisch, schließlich werden hier empfindliche Exponate gezeigt. Und doch stellt sich auf der Treppe nach unten die Frage, ob dies der richtige Ort ist, um die weiten und vielfältigen Klanglandschaften Afrikas zu behandeln. Und nebenbei über die Zukunft einer Institution nachzudenken, die man früher vielerorts „Völkerkundemuseum“ genannt hat.

Seit einem guten Jahrzehnt diskutiert die Schweiz über eigene Verflechtungen in der Kolonialzeit. Auch ohne auswärtige Territorien profitierte das kleine mitteleuropäische Land von kolonialen Handelsbeziehungen. Schweizerische Staatsbürger beteiligten sich zudem an Feldzügen, waren in der Missionierung und in der Verwaltung von Kolonien aktiv. Auch das 1901 von dem Anthropologen Eugène Pittard gegründete ethnografische Museum Genf hat sich mit seinen über 70.000 Objekten der eigenen Vergangenheit zu stellen.

Schließlich war das Grundprinzip solcher Sammlungen die Extraktion am Originalschauplatz und die Translokation nach Europa. Dies gilt auch, wenn die Umstände mehr oder weniger sauber erscheinen. Denn unter welchen Bedingungen kamen eine Schenkung oder ein Kaufpreis zustande?

Häuser wie das Genfer MEG bemühen sich derzeit um die Aktivierung von Publikum und Exponaten. An die Stelle neutral inszenierter, in sich ruhender Werke soll die soziale Interaktion treten. Weg von der leblosen Präsentation in Vitrinen, hin zu mehr Partizipation, Inklusion und eben: Dekolonisierung. Nur, lässt sich die grundsätzliche Neuausrichtung in den bestehenden Strukturen vollziehen, oder wäre die konsequent dekolonisierte ethnografische Sammlung letztlich eine, die sich selbst zur Abschaffung vorschlägt?

Das kuratorische Team der „Afrosonica“ um die Schweizer Ethnomusikologin Madeleine Leclair stellt sich dem existenziellen Themenkomplex und macht dabei fast alles richtig. Als Co-Kurator wurde Mo Laudi eingebunden, ein multidisziplinärer Künstler und DJ aus Südafrika, dessen „Globalisto“-Philosophie die grenzenlose Gastfreundschaft zelebriert – eine solche möchte auch die Ausstellungsarchitektur in Genf signalisieren, mit einer Art Marktplatz als zentralem Treffpunkt. Die Taktik ist, sehr viel Material zur Verfügung zu stellen, auf dass ein Neologismus wie „Afrosonica“ nicht reduzierend, sondern öffnend wirke. Schließlich wäre jeder Versuch, den gegenwärtigen Stand der musikalischen Stilvielfalt Afrikas strukturieren und übersichtlich darstellen zu wollen, zum Scheitern verurteilt.

Wir dürfen also eintauchen in klingende Dokumente, von denen viele bislang nur schwer zugänglich waren, von Spoken-Word-Poesie bis hin zu religiösen Beschwörungsgesängen. Die Ausstellung überzeugt gerade da, wo sie den direkten Zugriff ermöglicht. Entstanden auf dem gesamten afrikanischen Kontinent wie auch in der weltweiten Diaspora, sprechen die Aufnahmen für sich und brauchen nicht viel Inszenierung. Eine Sitzecke mit Kopfhörer reicht, um sich in unbekanntere Songs von Miriam Makeba, in weibliche Sufi-Praktiken der Insel Mayotte oder in Lesungen der vor allem in Westafrika aktiven literarisch-philosophischen „Négritude“-Bewegung der 1960er-Jahre zu vertiefen. Die Energie geht unmittelbar durch den Körper.

Manche technische Lösung kommt dagegen noch zu westeuropäisch daher, so die kultische Anrufung der Vorfahren inmitten einer Hightech-Rotunde mit dynamischen LED-Panels. Dies gilt auch für die an sich interessante Idee, Zeiten und Räume zu überbrücken. So werden elektroakustische Kompositionen des zeitgenössischen marokkanischen Komponisten Ahmed Essyad in einer Blackbox mit 10.000 Jahre alten Höhlenmalereien aus dem Tschad kombiniert. Die Resonanzfrequenz soll durch dünnes Holz den sitzenden Körper anregen. Doch es fühlt sich so mechanisch an wie ein Massagestuhl am Flughafen, und zwischen Bild und Klang will sich keinerlei Korrespondenz einstellen.

Der Zusammenhang scheint zu mediatisiert und weit hergeholt. „Afrosonica“ möchte ja etwas überaus Lebendiges zeigen – und zeigt es auch, etwa in Videos vom Pyroeinsatz auf Mahraganat-Straßenpartys in Kairo, oder von einer Rumba-Probe der Brigade Sarbati Hercule in der kongolesischen Metropole Kinshasa, die sich ekstatisch entwickelt.

Teil der „Afrosonica“-Planungen war die Sorge darum, was mit Exponaten in europäischen Archiven und Sammlungsdepots geschieht. Verfallen die Stücke in eine Art musealen Tiefschlaf? Derart behütet altern sie sicher gut, doch eine nicht westliche Art der Pflege bestünde in ihrer Benutzung. So ergingen zwei Aufträge, die sich an Hör­stationen erleben lassen: Die japanische Komponistin Midori Takada brachte eingelagerte Rasseln, Schellen und Gongs neu zum Klingen, der großartige Klangkünstler KMRU aus Nairobi interpretierte Teile des hauseigenen Archivs mit Folkaufnahmen neu.

Diese Lyra aus dem Sudan kam durch den Ethnologen Conradin Perner 1979 ins Genfer Museum Foto: MEG, J. Watts

Auch in konservatorischer Hinsicht werden neue Perspektiven eingenommen, etwa auf die per Daumen zu spielenden Kalimbas. Vorn weisen sie Spuren der Benutzung auf, während hinten die Inventarisierungsdaten verzeichnet sind. Da steht dann zum Beispiel: „Belgisch-Kongo, Nr. 008812“. Das Objekt spricht also auf beiden Seiten, von denen zumeist nur die eine gezeigt wird.

Es ist interessant, einem Museum beim Nachdenken über sich selbst zuzusehen. Wie etwa im Ausstellungskatalog immer wieder bei Angehörigen indigener Communitys nachgefragt wird: Ist es für euch okay, wie wir das hier planen? Kann man das so machen? Dieser Prozess ist noch lange nicht abgeschlossen.

Den Zwischenstand des Denkprozesses zu zeigen und dabei eine lange marginalisierte Klangkunst in den Fokus zu rücken, ist die Leistung von „Afrosonica Soundscape“. Die Ausstellung in Genf ist also eine Reise wert, Sie sollten auf dem Weg nach Frankreich unbedingt einen Zwischenhalt einlegen. Aber nehmen Sie bitte etwas zum Überziehen mit.

„Afrosonica Soundscape“. Musée d’ethnographie de Genève (MEG), Genf/Schweiz, bis 4. Januar 2026. Katalog (Verlag FLEE Paris): 29 Euro

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