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Eine ziemlich einfache Sache

DAS SCHLAGOCH von MATHIAS GREFFRATH

Konservative sind doch keine Liberalen, die an einen göttlichen Marktmechanismus glauben

Was anders sind Reiche, wenn ihnen Gerechtigkeit fehlt, als große Räuberbanden? Aurelius Augustinus

Wie kriegerisch darf grün, wie unsozial kann rot sein? Während die Regierungsparteien sich Grundsatzdebatten leisten, bleibt die Opposition programmatisch still. Wo wird sie gestellt, die Frage einer christlichen, ja einer konservativen Alternative zum rot-grünen Neoliberalismus? An der Basis? Ich weiß es nicht, also mache ich mir einen Film im Kopf:

– Guten Tag. Ich möchte in die Partei eintreten.

Der Ton ist existenzialistisch-entschieden. An der Tür steht eine junge Frau. Der Kreisvorsitzende blickt auf. Eine Abiturientin, denkt er, und das so früh am Morgen. Und sagt:

– Warum denn in unsere?

– Weil ich konservativ bin. Und in letzer Zeit viel nachgedacht habe, über die Gesellschaft, über diesen Terror . . . (Sie lächelt verlegen.) Ich muss einfach was tun, mit anderen zusammen.

– Und was, bitte, ist für Sie „konservativ“? (Der Kreisvorsitzende legt die Post beiseite.)

– Na ja: Heimat, Familie, Nation, christliches Menschenbild.

Die Checkliste im Sozialkundebuch, denkt der Kreisvorsitzende. Er unterdrückt ein Lächeln. Wir brauchen Jugend, gerade er sagt das immer wieder. Deshalb war er ja auf der Love Parade, hatte die Haare auf sechs Millimeter schneiden lassen. Die Zeit, da man als „Kennedy von Mölln“ Bürgermeister werden konnte, waren vorbei. Brad Pitt, das war es eher: kurz, knapp, schnell. Und nun diese altbackene Semantik.

– Das sind keine Ladenhüter für mich, diese Wörter. (Sie deutet sein Zögern richtig.) Ich denke an einen dynamischen, zeitgemäßen Konservatismus.

– Und das wäre . . .?

– Na, Nation zum Beispiel. (Sie nickt zur Fahne in der Ecke.) Wir sind ein Volk! Eine Schicksalsgemeinschaft, im Guten wie im Schlimmen. Füreinander einstehen. Wer, wenn nicht Konservative, kann den Sozialstaat vor Privatisierung schützen? Und gerade, wenn mehr Flexibilität gefordert ist, brauchen Menschen Sicherheit. Vor allem darf eine konservative Partei nicht zulassen, dass eine Unterschicht von Unverwurzelten entsteht.

– Und was sollen wir tun?

– Arbeit umverteilen. 25-Stunden-Woche. Damit alle die Chance haben, was Sinnvolles zu tun. Familienfreundlich wäre das auch.

Ach ja, denkt der Kreisvorsitzende, Kirchentag, Markt der Möglichkeiten. Aber schon wieder hat sie seine Gedanken erraten:

– Die judäo-christliche Tradition betont die Würde jedes Einzelnen, und dieser Individualismus macht die Moderne so dynamisch . . . (Sie hält mir wirklich den Abiturvortrag, denkt der Kreisvorsitzende.) . . ., aber Christentum und Aufklärung sind ja nicht nur individualistisch, sondern auch universalistisch.

– Entschuldigung, aber dies hier ist kein historisches Seminar.

– Universalismus (trotzig legt sie Tempo zu) das heißt für mich: Wenn wir unsere Wirtschaftsweise exportieren, müssen wir auch die Verantwortung für die Folgen tragen. Also die Ungleichheiten und die Haltlosigkeit, die aus der Globalisierung kommen, durch eine Politik der Gerechtigkeit und der globalen Gemeinschaft ausgleichen.

– Globale Gemeinschaft?

– Ja klar. Gemeinwohl, bonum commune, Thomas von Aquin. Konservative sind doch keine Liberalen, die an einen göttlichen Marktmechanismus glauben. Der Markt braucht gemeinsame Werte. Steht bei Adam Smith. Aber die Globalisierung bedroht das. Deswegen glaube ich ja, dass der Konservatismus Zukunft hat.

– Aber wir können doch das Rad der Geschichte nicht zurückdrehen. (Er findet den Satz selbst abgedroschen, grinst.)

– Natürlich geht Bullerbü nicht mehr, ich bin ja nicht blöd. Konservativ heißt heute, neue Formen des gemeinsamen Eigentums zu entwickeln, so dass die Leute sich zu Hause fühlen: Alles nix Neues. Genossenschaften gibt’s ja schon und auch Aktienbeteiligungen, aber bis jetzt nur für die Chefs. Zweitens: Gemeinschaftseinrichtungen für das, was alle brauchen. Hatten wir ja alles: Post, Telefon, Wasserwerke. Haben die Liberalen aller Parteien privatisiert. Aber wir Konservativen – darf ich sagen: wir? – sollten das wenigstens bremsen.

– Also doch zurück.

– Nein. Zurück will diese neue Feudalklasse von Geldbesitzern, die dabei ist, sich anzueignen, was eigentlich Gemeinbesitz ist: Wissenschaft, Infrastruktur, Kultur – von den Genen und Wäldern will ich gar nicht reden. Das muss uns doch aufregen, dass die Multis die Früchte der Arbeit aller vergangenen Generationen privatisieren und verspekulieren.

– Sie wollen den freien Weltmarkt abschaffen?!

– Nein. Regeln. Das ist doch konservativ: gegen die Herrschaft des Geldes über Arbeit und Natur, oder? Und über die Geschichte. Die moderne Technik ist doch die Tat vieler Generationen gewesen. Und die Früchte müssen allen zugute kommen, deren Eltern dafür entbehrt haben. Schicksalsgemeinschaft eben. Aber nun weltweit. Da wird es natürlich schmerzhaft für uns. Aber da wir als Konservative an die Verpflichtungen aus der Geschichte glauben, müssen wir Einiges zurückzahlen: für Imperialismus, Sklaverei und Rohstoffraub. Dazu sind wir verpflichtet.

– Verpflichtet?

– Ja. Man ist verantwortlich für die, die man an sich gezogen hat.

– Der Kleine Prinz?

– Ja. Und Sie müssen gar nicht so grinsen. Konservatismus ist eine ziemlich einfache Sache. Hat ziemlich viel mit Gefühl zu tun. Ist universell verbreitet. So eine Art emotionales Reservebataillon. Aber das wäre ein anderes Thema. Also: Wir dürfen die Produkte der armen Länder nicht mehr besteuern, müssen faire Rohstoffpreise zu zahlen. Und wenn schon das Kapital sich frei bewegen darf, dann müssen die Menschen das auch können.

– Aber dann geht der Sozialstaat kaputt, den Sie retten wollen. Dann kämen doch alle hierher.

– Und? Wär das schlimm? Die Türken pflegen die Familienwerte, und die Frauen der zweiten Generation sind sehr selbstbewusst, und wenn sich das dann mischt – dann kämen vielleicht mehr Männer raus wie Brad Pitt. Fänd ich gar nicht schlecht.

Sie sieht ihm direkt in die Augen:

Wer, wenn nichtKonservative, kannden Sozialstaatvor Privatisierungschützen?

– Wir wollen doch beide vorwärts zur Weltgesellschaft, aber konsequent bitte. Die Erbschaften übernehmen. Die Hypotheken. Alles. Ich hab ja gesagt: mein Konservatismus ist historisch-dynamisch.

– Eher utopisch.

Die junge Frau schweigt lange.

– Ja, kann sein, sagt sie dann. Tuvalu versinkt, die Ungleichheit wächst. Und der Terror wird nicht enden. Aber wissen Sie eine bessere Aufgabe für Konservative, als die Erbschaften der Vergangenheit zu hüten?

– Die Erbschaften der Vergangenheit, mhm? (Er denkt nach.)

– Ja.

– Ich glaube, mit Ihrem Konservatismus wären Sie bei uns nicht richtig. Das ist zu radikal.

– Radikal sein, heißt an die Wurzeln zu gehen. Und an die Wurzeln gehen ist konservativ. (Das kommt jetzt doch etwas schülerhaft.) Aber wo wäre ich denn richtig aufgehoben, Ihrer Meinung nach?

– Bei keiner Partei.

– Aber ich kenne viele, die so denken wie ich. Ich glaube, eine solcher Konservatismus hätte Zukunft, vielleicht sogar die Mehrheit.

– Vielleicht, sagt der Kreisvorsitzende. Vielleicht kommen Sie nur zu früh.

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