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Eine in Vergessenheit geratene HeldinSchuhe für Riefenstahl, Hilfe für Stauffenberg

Katharina Winter versorgte die NS-Elite mit vornehmem Schuhwerk. Und die Verschwörer des 20. Juli 1944 mit logistischer und finanzieller Hilfe.

Einkaufsbummel im Jahr 1941 auf dem Kurfürstendamm, in der Nähe der Gedächtniskirche hatte Katharina Winter ihr Geschäft Foto: Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo/ullstein bild

Berlin taz | „Italy“ – der Name ihres Salons weckte gewiss Urlaubs­erinnerungen und Reisefieber, mitten in Berlin. Und verwies auf das edle Sortiment, das sie anbot. Katharina Winter führte seit 1939 am Kurfürstendamm 13 einen vornehmen Schuhhandel, der in der gesamten Reichshauptstadt bekannt wurde. Sie arbeitete exklusiv mit Salvatore Ferragamo zusammen, bezog ihre von ihm gestaltete Ware aus Florenz, der ersten Heimat der italienischen Mode. Die Tochter einer alteingesessenen norddeutschen Fabrikantenfamilie war eine stilvolle Dame von Welt, eine erfolgreiche Unternehmerin – und Widerstandskämpferin gegen das NS-Regime.

Margareta Juliane Katharina Winter wurde 1901 in Hamburg geboren. Sie wuchs als Kind sehr vermögender Eltern auf. „Carstens & Winter“ hieß das Unternehmen der Fleischindustrie, an dem ihr Vater beteiligt war. Die Firma hatte in Flensburg ihren Sitz und im ganzen Deutschen Reich Erfolg.

Winter ging als junge Frau unterdessen nach Berlin. Sie genoss die Goldenen Zwanziger, in denen sich die hauptstädtische High ­Society gerne bei Marzipan­torte im Romanischen Café, bei abendlichen Revuen im Nelson-Theater oder bei idyllischen Landpartien im Grunewald vergnügte. Katharina Winter liebte Tanz und Tee im Hotel Adlon – die 1920er waren für sie in der Tat golden, ganz anders als für die meisten Menschen in der damaligen Reichshauptstadt.

Die Ehe mit dem 22 Jahre älteren Antiquitätenhändler Walter Eppenstein wurde im August 1928 geschlossen, wobei die 27-Jährige den Familiennamen des 49-Jährigen annahm. Das Paar lebte in der Jenaer Straße 2 im Stadtteil Wilmersdorf, etwa zwei Kilometer südlich vom Kurfürstendamm. Die Trauurkunde vermerkte „ohne Beruf“ bei der Ehefrau.

Das Leben war unbeschwert. Noch …

Katharina Eppenstein verbrachte ihr Leben weiterhin in vornehmer Gesellschaft. Urlaube führten zu exklusiven Reisezielen, im Sommer gerne in das Ostseebad Sopot in der Nähe von Danzig, im Winter in das Skiparadies Garmisch-Partenkirchen. Das Leben war unbeschwert. Noch, denn auch für sie veränderte sich ab 1933 durch den Naziterror alles.

Die Scheidung folgte kurz nach den anti­jüdischen Pogromen am und um den 9. November 1938

Anfeindungen erfuhr sie unter dem NS-Regime zuerst wegen ihrer Ehe. Sie galt zwar in der rassistischen Weltsicht der Nazis als „arisch“, Walter Eppenstein jedoch war Jude. Die Scheidung folgte kurz nach den anti­jüdischen Pogromen am und um den 9. November 1938. Der standesamtliche Stempelvermerk vom 3. Januar 1939 verdeckte mit knappen Worten den Hass, der auch das Ehepaar Eppenstein getroffen hatte: „Durch das am 5. Dezember 1938 rechtskräftig gewordene Urteil des Landgerichts Berlin ist die Ehe zwischen dem Walter Eppenstein und der Margareta Juliane Katharina geborene Winter geschieden worden.“

Sie führte fortan wieder den Familiennamen Winter und ging einen weiteren entscheidenden Schritt: Sie gründete in Sichtweite der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche ihren Schuhsalon „Italy“. Die Voraussetzung dafür war nicht nur der Vertrag mit dem Schuhdesigner Salvatore Ferragamo, den sie auf einer Italienreise kennengelernt hatte.

Walter Eppenstein hatte ihr mit der Scheidung sein gesamtes Vermögen überschrieben. „Ich musste mich scheiden lassen, damit er und ich leben konnten“, erklärte sie sehr viel später. Sie unterstützte ihren einstigen Ehemann in seinem Versteck nahe dem Kurfürstendamm. Im März 1942 jedoch wurde Walter Eppenstein verraten, verschleppt und wenige Wochen danach im polnischen KZ Majdanek ermordet.

Leni Riefenstahl war die prominenteste Kundin

Katharina Winter hatte sich zu dieser Zeit bereits als Unternehmerin etabliert. Leni Riefenstahl war die prominenteste Kundin, die im Salon „Italy“ einzukaufen pflegte. Die Starregisseurin des NS-Regimes hatte die bildlichen Ideale des Nationalsozialismus in filmischer Massenwirksamkeit inszeniert. Sie ahnte nicht, dass der von ihr bevorzugte Schuhhandel einer entschiedenen Nazi-Gegnerin gehörte. Katharina Winter unterstützte jene entstehende Widerstandsbewegung, die schließlich zum Aufstand vom 20. Juli 1944 führte – auch weil ein neuer Mann in ihr Leben getreten war.

Josef Wirmer hätte 1944 nach einem erfolgreichen Umsturz zum Reichsjustizminister ernannt werden sollen. Der Rechtsanwalt war seit 1936 im gewerkschaftlichen Widerstand gegen das NS-Regime, pflegte enge Kontakte zu Jakob Kaiser und Carl Friedrich Goerdeler – und mit Katharina Winter verband ihn für mehrere Jahre eine außereheliche Liaison.

Zeugnis davon legen fast 100 Liebesbriefe ab, die er ihr schickte, dabei war er verheiratet mit Hedwig Wirmer und Vater von drei Kindern. „Mit aller Inbrunst dieser Welt, so liebe ich dich“, schrieb er einmal an seine Geliebte. 1942 wurde sie von ihm schwanger. Winter ließ umgehend eine Abtreibung vornehmen, womit sie eine Freiheitsstrafe riskierte. Der Eingriff erfolgte durch Dr. Theodor Morell, der in der Hauptsache als Leibarzt von Adolf Hitler fungierte.

Unternehmerisch hatte Winter großen Erfolg in Berlin und Hamburg, wohin sie expandierte. Sie bewies besten Geschmack, der von ihren Kundinnen und Kunden geteilt wurde. Salvatore Ferragamo gestaltete Schuhwerk, das sogar die Füße mehrerer großer Hollywoodstars zierte – etwa von Greta Garbo und Marlene Dietrich.

Konspirative Besprechungen in ihrer Bibliothek

Katharina Winter lebte in der damaligen Kaiserallee 32 in Wilmersdorf, der heutigen Bundesallee 32. Die Bibliothek ihrer großzügig bemessenen Wohnung stellte sie für viele konspirative Besprechungen der Männer des 20. Juli 1944 zur Verfügung. Josef Wirmer und Carl Friedrich Goerdeler kamen zu ihr, auch Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Sie selbst war nie an den Planungen zum Aufstand beteiligt, leistete aber für lange Zeit logistische Hilfe – und gab immer wieder Geld in den Widerstand.

Die Zerschlagung der Bewegung des 20. Juli 1944 traf sie nicht, wohl aber Josef Wirmer: Der Mann, mit dem sie bis zuletzt in Liebe verbunden war, wurde am 8. September 1944 vom nationalsozialistischen „Volksgerichtshof“ zum Tode verurteilt. Die Nazis vollstreckten den Schuldspruch ihrer Unrechtsjustiz noch an demselben Tag im Strafgefängnis Plötzensee, dort wurde Josef Wirmer durch den Strang ermordet.

Die Kriegswirren führten dazu, dass Katharina Winter ihren florierenden Schuhhandel in ihre Wohnung verlegte. Sie gründete auch eine eigene Produktion. Schuster arbeiteten deshalb Tag für Tag dort, wo sich abends mehrfach Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime trafen. Sie blieb ihrem Beruf auch nach dem Ende des NS-Regimes treu, baute ihre Schuhsalons in Berlin und Hamburg wieder auf. Salvatore Ferragamo setzte weitere elegante Highlights, vor allem in den 50er Jahren. Die Pumps etwa, die Marilyn Monroe in „Manche mögen’s heiß“ trug, wurden 1959 von ihm kreiert.

Katharina Winter war 100 Jahre alt, als sie zum ersten Mal den Gang in die Gedenkstätte Plötzensee wagte

Katharina Winter ging zu dieser Zeit in die USA, verdingte sich als Hauswirtschafterin und kehrte in den 70er Jahren in das damalige West-Berlin zurück – in ihre alte Wohnung in der Bundesallee 32. Sie war sage und schreibe 100 Jahre alt, als sie zum ersten Mal den Gang in die traditionsreiche Gedenkstätte Plötzensee wagte. Sie sah dort den Saal, in dem Josef Wirmer erhängt worden war. Im Mai 2005 verstarb sie mit 104 Jahren.

Die Erinnerung an den 20. Juli 1944 konzentriert sich seit jeher auf Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Der Wehrmachtsoffizier verübte im „Führerhauptquartier Wolfsschanze“ im von Deutschland besetzten Polen den misslungenen Bombenanschlag auf Adolf Hitler, der den schnell niedergeschlagenen Aufstand gegen das NS-Regime einleitete – und über den Attentäter entstand eine ganze Bibliothek an biografischer Literatur. Die Vielfalt der Lebenswege in der Widerstandsbewegung des 20. Juli 1944 aber ist für lange Zeit verborgen geblieben. Das gilt auch für Katharina Winter, zu deren Ehren es keine Erinnerung in Berlin gibt.

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1 Kommentar

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  • Danke für diesen Artikel, der mir eine neue Facette um die Ereignisse des 20. Juli gezeigt hat.