Eine Welt mit Verfallsdatum im Juni

Die Regisseurin Claudia Bauer hat in der Volksbühne „Metamorphosen“ nach Ovid geprobt. Mit so vielen klugen Anpassungen an Abstandsregeln auf der Bühne, dass sie auch jetzt schon ungefährlich zu besuchen wäre

Claudia Bauer schaut aus dem Zuschauersaal auf die Bühne Foto: Julian Röder

Von Tom Mustroph

Die Theater sind geschlossen. Selbst die Kantine der Berliner Volksbühne ist dicht. Geprobt wird allerdings hinter verschlossenen Türen. Claudia Bauer arbeitet mit einem Teil des Ensembles an einer Stückentwicklung auf Grundlage von Ovids „Metamorphosen“.

Dabei sitzt ihr die Zeit im Nacken. Zur nächsten Spielzeit übernimmt René Pollesch das Theater. „Dann gibt es dieses Ensemble nicht mehr. Alle gehen weg, in Tausend verschiedene Richtungen“, erzählt sie. Und ob ihre Inszenierung noch ihre Premiere erlebt, weiß momentan niemand.

Geplant war eine Premiere im Dezember, dann infolge des Lockdowns am 15. Januar. Auch der Termin ist bereits Makulatur. Die letzte Probe war für Ende Januar angesetzt, neuer Premierentermin der 5. Mai. Ob der zu halten ist, ja ob das Stück überhaupt herauskommen kann, hängt vom Verlauf der Pandemie ab. Irgendwann im Juni ist Spielzeitende. „Natürlich haben wir Zeitdruck wegen des Intendantenwechsels. Wir sind eine Welt mit Verfallsdatum im Juni“, fasst Bauer die Situation zusammen.

Untergangsstimmung herrscht deshalb aber nicht. Im Gegenteil. „Wir fangen an mit der Schöpfung“, ruft Claudia Bauer mit entschlossener Stimme ihr Ensemble zum Beginn der Probe auf. Die Entstehung der Welt ist einer der ersten Gesänge in Ovids „Metamorphosen“.

Das Bühnenbild ist eine zweistöckige Anlage. Das Erdgeschoss besteht aus einer Verlängerung der Holzpaneele aus dem Zuschauerraum. Türen öffnen und schließen sich. Schauspieler rennen durch, sie werden förmlich ausgespuckt aus dem tiefen Bauch der Hinterbühne. Sie unterziehen sich allerlei Verwandlungen, werden zu Pflanze und Tier.

Das zweite Geschoss besteht aus einer Art Gewächshaus. Musiker spielen darin, in säuberlich durch Plastikfolie getrennten Kabinen. „Die Inszenierung ist coronakonform“, bemerkt Bauer trocken. „Die Musiker befinden sich in diesen Kabinen. Wenn Schauspieler sprechen, geschieht dies auch meist in diesen Kabinen. Auf der Bühne berühren wir uns selten. Und wenn, dann tragen alle Handschuhe.“

Claudia Bauer hat die von ihr ohnehin bevorzugten ästhetischen Strategien auf die allgemeine Hygienesituation angepasst. Sie trennt gern Stimme und Körper, arbeitet häufig mit Masken. Unter den Porträtmasken, die die Spie­le­r*in­nen tragen, könnten sie, wenn es die Hygienebedingungen erfordern sollten, sogar FFP2-Masken tragen, versichert die Regisseurin. Formal wird es also eine Inszenierung, die lange unter Coronabedingungen auf dem Spielplan stehen könnte.

Das Ensemble wird regelmäßig getestet. „Jede Begegnung mit einem Menschen kann gefährlich sein. Wir haben im Ensemble auch Spieler*innen, die vulnerable Personen im Haushalt haben“, erzählt Bauer. Im Ensemble werde die Gefährdungslage so unterschiedlich beurteilt wie in der Gesellschaft auch, hat sie beobachtet. „Corona spaltet, denn jeder Mensch empfindet den Grad der Bedrohung anders. Was uns aber verbindet, ist, dass wir sehr gern zusammenarbeiten“, erklärt sie.

Ob ihre Inszenierung noch ihre Premiere erlebt, weiß sie nicht

Das Theater selbst sieht Bauer durch die Pandemie nicht gefährdet. „Menschen brauchen diese Begegnungen. In der kurzen Zeit zwischen dem ersten und dem zweiten Lockdown habe ich selbst versucht, so viel Theater wie möglich zu sehen. Was war das für ein Erlebnis, wieder mit anderen Menschen in einem Raum zu sein, auf Abstand zwar, aber zusammen. Und dann ging das Zuschauerlicht aus, und das Licht auf der Bühne ging an“, schwärmt sie.

Dabei hat Bauer bemerkt, dass manche Theaterarchitektur dem Erlebnis auch bei reduziertem Publikum hilft. „Schwierig ist es bei riesigen Sälen. Besser funktionierten Zuschauerräume, die in die Höhe gebaut sind wie Torten, mit vielen Rängen und Logen und kleiner Parkettfläche“, erzählt sie und mutmaßt, dass bei Theaterneubauten Architekten sich daran orientieren könnten. Die alte feudale Loge steht vor einem pandemisches Revival, nach dem Motto: Ein Haushalt – eine Loge.

Negative Auswirkungen der Pandemie befürchtet Bauer indes für jüngere Kolleg*innen. „Für die, die in dieser Saison eigentlich durchstarten wollten als Regisseur*innen, Spieler*innen, Bühnen- und Kos­tümn­bild­ne­r*in­nen, ist es schwierig. Sie waren kaum zu sehen, sie müssen jetzt darum bangen, wie sie in Zukunft ihr Brot verdienen“, sagt sie. Die jungen Spie­le­r*in­nen aus ihrem „Metamorphosen“-Ensemble immerhin seien allesamt in neuen Engagements, versichert sie.

Das nimmt Druck aus der Produktion. Und Intendant Klaus Dörr, der zur Probe in den großen Saal schaute, versichert sogar, dass es im Februar zumindest ein Streaming der Produktion geben werde. Ganz vergeblich ist die aktuelle Probenarbeit also nicht.

Am 12. Februar, 19 Uhr, ist die digitale Premiere von Claudia Bauers „Metamorphosen“