Eine Vietnamesin ist spurlos verschwunden: Wo ist Phuong?
Phuong lebte in Deutschland unter falschem Namen. Zahlreiche Indizien sprechen für eine Verschleppung ins Rotlichtmilieu.
"Phuong vermisst" steht auf Deutsch und Vietnamesisch auf dem Plakat, das ziemlich zahlreich in vielen Berliner Asiamärkten hängt. Darauf lächelt eine mandeläugige Schönheit mit einem noch kindlichen Gesicht. Das Foto der heute 21-Jährigen dürfte schon einige Jahre alt sein.
Die Vietnamesin, die am 18. November in Berlin bisher spurlos verschwand, gibt es offiziell in Deutschland gar nicht. Vermutlich im Frühsommer 2009 war die junge Frau in die Bundesrepublik eingereist. Illegal, mit Hilfe von Schleppern. Drei Wochen vor ihrem Verschwinden hatte sie schließlich Asyl beantragt - unter falschem Namen, mit falschen Angaben zu ihrer Herkunft. Ihre Chance, legal in Deutschland zu bleiben, lagen nahe bei null. Wie sucht man einen Menschen, den es offiziell gar nicht gibt?
Markus Ponziak beschäftigt sich beruflich mit Vietnam und unterstützt die Suche nach Phuong als eine Art Privatdetektiv. Ponziak, der seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen will, bekommt Falten, wenn er von der Recherche erzählt. An ihn hatte sich Phuongs 39-jährige Tante gewandt, eine Woche, nachdem die Nichte spurlos verschwunden war. "Sie war in einem Dilemma: Einerseits machte sie sich so große Sorgen um die Verschwundene, dass sie nachts nicht schlafen konnte. Ihre Fantasie reichte von einer Verschleppung ins Rotlichtmilieu bis hin zu Mord", berichtet Ponziak. "Andererseits wusste sie, dass Phuong die Abschiebung droht, wenn sie wieder auftaucht." Deshalb habe sie zunächst eine Woche lang nichts unternommen.
Am Morgen des 18. November hatte Phuong gegen neun Uhr die Wohnung ihrer Tante in Friedrichshain verlassen. Wie jeden Morgen. Sie hatte sich verabschiedet und wollte in der Frankfurter Allee die bunte Glitzerwelt bestaunen: Phuong stammt aus ländlichen Verhältnissen. In Berlin brachte sie das Kind der Tante morgens in die Kita, holte es dann am Nachmittag wieder ab und ging zwischendurch spazieren oder machte sich im Haushalt der Tante nützlich. Doch das bedeutete auch: Sie verdiente kein Geld, um Schlepperschulden abzuzahlen.
Nach Erkenntnissen der Polizei kostet eine Schleusung von Vietnam nach Deutschland zwischen 8.000 und 25.000 Euro. Nur einen Bruchteil davon zahlen die Vietnamesen zu Beginn. Der Löwenanteil wird in Deutschland durch den Verkauf von unverzollten Zigaretten abgearbeitet. Oder auch durch Schwarzarbeit in Nagelstudios oder Asiaimbissen. Die Flüchtlinge sind hier von den Schleuserstrukturen abhängig. Entführungen, weil jemand nicht zahlte, gab es schon viele: Frauen müssen dann die Schulden im Rotlichtmilieu abarbeiten. Oder Verwandte werden um Geld erpresst. Nur sehr selten schalten sie die Polizei ein.
Gegen 11 Uhr am 18. November rief die Tante Phuong auf ihrem Handy an. Das Freizeichen ertönte. Als sie es wenige Minuten später erneut versuchte, war das Handy tot. Das ist es bis heute. Seitdem fehlt jedes Lebenszeichen von Phuong.
Markus Ponziak hat in allen Berliner Krankenhäusern und im Abschiebegewahrsam nachgefragt. Nirgendwo war Phuong aufgetaucht. "Ganz schlimm war unser Besuch in der Ausländerbehörde", erinnert er sich. "Statt uns zu helfen, drohte die Mitarbeiterin der Tante mit einer Strafanzeige wegen der Beihilfe zur illegalen Einreise." Denn es bestand der Verdacht, dass Phuong schon bei ihr wohnte, bevor sie Asyl beantragt hatte. Wäre das so, hätte die Tante sich strafbar gemacht.
Auch bei der Polizei lief es zuerst kaum erfolgreicher. Nicht nur, weil Phuong unter ihrem richtigen Namen in keinem Melderegister stand. "Es hieß auch, sie sei erwachsen und hätte das Recht, jederzeit kommentarlos zu verschwinden", berichtet Ponziak. Daraufhin fertigte er Plakate an, um nach Phuong zu suchen. Mitte Dezember hatte Ponziak die Polizei endlich davon überzeugen können, die Suche nach der Vermissten ernst zu nehmen. "Seitdem ermittelt das Kommissariat zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität. Das sind Fachleute."
Zwei Bordelle hat die Polizei im Januar auf der Suche nach Phuong gestürmt. Einmal Fehlanzeige. Im anderen Fall konnte eine andere Vietnamesin aus der Zwangsprostitution befreit werden. Mehr weiß Ponziak nicht. Auch gegenüber der taz hält sich die Polizei mit Verweis auf die laufenden Ermittlungen bedeckt. "Wir haben Indizien für ein Kapitalverbrechen und ermitteln auf Hochtouren", heißt es auf Anfrage.
Ponziak mutmaßt, dass Phuong von ihrer Familie mit dem Auftrag nach Deutschland geschickt wurde, hier Geld zu verdienen oder auch die Tante beim Geldverdienen zu unterstützen. Die hatte sich ein paar Jahre zuvor unter ähnlichen Umständen auf den Weg nach Deutschland gemacht und lebt heute mit einem deutschen Mann und dem gemeinsamen Kind zusammen. Legal.
Auf die Suchplakate gab es Reaktionen: Eine Vietnamesin, die bei einer Beratungsstelle arbeitete, meinte, Phuong könnte freiwillig von der Tante weggelaufen sein. Es gäbe "einige vietnamesische Jugendliche, die sich in Deutschland aus den Fesseln strenger Familienhierarchien befreien und hier ihren eigenen Weg versuchen", erklärte sie. Andere vermuteten Phuong auf dem Weg Richtung Großbritannien. Die Insel ist seit Jahren der Traum vieler Vietnamesen, die schnell zu Geld kommen wollen. Dort blühen allerlei illegale Erwerbszweige.
Ein dritter Hinweis ist konkreter: Kurz vor Weihnachten hat ein Unbekannter auf Vietnamesisch auf eines der Suchplakate geschmiert: "Ich habe sie gefunden. Aber ich sage nichts, damit ich sie länger benutzen kann." Männliche Wichtigtuerei oder tatsächlich ein Hinweis auf eine Verschleppung in die Zwangsprostitution?
Vieles spricht für Letzteres, denn auf dem Plakat, das die Polizei inzwischen konfisziert und untersucht hat, stand außerdem: "Hai Duong, Tuky". Hai Duong ist der Name von Phuongs Heimatprovinz in Vietnam, Tuky der Name ihres Kreises. Von dort stammt sie tatsächlich. Bei den deutschen Behörden hat sie andere Angaben zu ihrer Herkunft gemacht. Wer das geschmiert hat, muss die Frau gekannt haben.
Ponziak ahnt, wie schwer die Suche der Polizei nach Menschen ist, die Phuong gekannt haben: Wer zugibt, sie hier beherbergt oder beköstigt zu haben, bevor sie ihren Asylantrag gestellt hatte, kann sich strafbar machen: wegen Beihilfe zum illegalen Aufenthalt. Ohne ihren Spuren in Deutschland nachzugehen, kann Phuong aber kaum befreit werden. Falls sie noch lebt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW