: Eine Koalition der Pragmatiker
■ Gestern wurden die Mitglieder der Mitte-rechts-Regierung Polens vereidigt. Einen Plan für Wirtschaftsreformen gibt es schon
Warschau (taz) – Die Feier im Warschauer Präsidentenpalast dauerte keine zwei Stunden. Staatspräsident Aleksander Kwaśniewski überreichte den Ministern der neuen Mitte-Rechts-Regierung Polens ihre Ernennungsurkunden. Die frischgebackenen Kabinettsmitglieder machten einen leicht mitgenommenen Eindruck.
Seit Wochen kommen sie kaum zum Schlafen. Die Koalitionspartner, die konservative Wahlaktion Solidarność (AWS) und die liberale Freiheitsunion (UW), haben sich in den letzten Wochen als gleichwertige Sparringspartner kennengelernt. Der Ringrichter, Trainer und neue Regierungschef Jerzy Buzek mußte den Kontrahenten um die besten Ressorts in der Regierung aber klarmachen, daß Pokerface und Imponiergehabe nur gegenüber dem tatsächlichen Gegner Sinn machen. Das dauerte einige Nächte.
Doch das Ergebnis kann sich sehen lassen. Die Regierungsmannschaft besteht aus elf AWS-Ministern und sechs Ministern aus den Reihen der UW. Hinzu kommen vier weitere AWS-Minister „ohne Geschäftsbereich“. Die „große Wiedervereinigung“ der ursprünglichen Solidarność ist es zwar nicht, doch die Besetzung der Ressorts zeigt, daß beide Seiten gewillt sind, eine pragmatisch-effektive Politik zu machen. Der radikalkatholische Flügel in der AWS, der im Parlament großen Einfluß hat, ist nur mit einem einzigen Ministerposten vertreten: Ryszard Czarnecki, der als Vorsitzender des „Komitees der Europäischen Integration“ die Verhandlungen über den EU- Beitritt Polens führen wird.
Dies ist einer der Ministerposten, bei dem nicht sicher ist, ob hier nicht der Bock zum Gärtner gemacht wurde. Czarnecki hat sich bislang eher europaskeptisch geäußert. Die übrigen Kabinettsmitglieder aber wirken weitaus liberaler und europafreundlicher, als nach den populistischen Wahlslogans Marian Krzaklewski (AWS) zu befürchten war.
Ein wahrer Glücksgriff scheint Krzaklewski mit Jerzy Buzek gelungen zu sein. Der Chemieprofessor ist ein Mann der Analyse und des Ausgleichs. Von ideologischen Scharmützeln hält er nicht viel. Dies verbindet ihn mit den beiden Vizeministerpräsidenten Leszek Balcerowicz von der UW und Janusz Tywonek von der AWS. Balcerowicz war in den frühen neunziger Jahren zu einem der meistgehaßten Männer Polens geworden. Seine „Schocktherapie“ hatte innerhalb eines Jahres zu zwei Millionen Arbeitslosen geführt, Zehntausende von Bauern an den Rand des Ruins getrieben und die ersten Versuche von Kleinunternehmern zu einer Pleitewelle werden lassen.
Der Erfolg der Roßkur stellte sich gut zwei Jahre später ein. Heute ist Polen der „Tiger“ Mittelosteuropas.
Doch in den letzten Jahren, unter den Postkommunisten, verlangsamten sich alle Reformen. Noch immer sind die Landwirtschaft, der Berg- und Hüttenbau, das Schul- und Sozialwesen nicht reformiert und die Rückgabe des staatlichen Eigentums nicht geregelt. Noch immer gibt zu viele staatliche Monopolunternehmen, die längst privatisiert sein sollten. Balcerowicz will jetzt als Finanzminister seinen „Plan II“ durchsetzen. Er soll Polen möglichst rasch auf ein westliches Wirtschaftsniveau bringen. Auf Unterstützung kann er dabei inbesondere bei seinen Parteifreunden Bronislaw Gerenek, Hanna Suchocka und Janusz Onyszkiewicz hoffen. Schwierig dürfte es hingegen eher im Sejm werden. Es sei denn, die AWS, die aus drei Dutzend politischen Gruppierungen besteht, kann sich auf eine Fraktionsdisziplin einigen. Gabriele Lesser
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen