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„Eine Idylle gab es noch nie“

Auch die Bisonjagd der Indianer war massenhafte Tiervernichtung, sagt der Agrarsoziologe Franz Kromka. Der Mensch griff immer so weit in die Natur ein, wie es ihm seine Möglichkeiten erlaubten

Interview VOLKER WEIDERMANN

taz: Herr Kromka, Nutztiere werden zum Kannibalismus gezwungen, Tierhaltung nennt man „Fleischproduktion“, Kühe, Schafe, Hühner reagieren mit unerforschlichen, auch für den Menschen lebensbedrohlichen Krankheiten. Das Verhältnis zwischen Mensch und Tier scheint zerrüttet. Wie lange liegt das idyllische Miteinander von Mensch und Tier zurück?

Franz Kromka: Diese Idylle gab es nie. Die Menschen haben immer so tief in die Natur eingegriffen, wie es ihnen ihre technischen Möglichkeiten erlaubten. Es ist ein Irrtum zu glauben, man sei früher besonders feinfühlig mit Tieren umgegangen.

Aber der Urzeitmensch tötete doch nur, wenn er das Tier wirklich brauchte?

Na ja. Aus Jux und Tollerei hat er nicht getötet. Aber man weiß auch, dass etwa die Bisonjagd der Indianer – aus heutiger Sicht – als Tiervernichtung zu betrachten ist. Man hat ganze Bisonherden über Klippen gejagt und sie herunterstürzen lassen. Von dem Fleisch konnte man nur einen ganz kleinen Teil verwerten.

Indianer haben aus Spaß massenhaft Bisons getötet?

Nein, nicht aus Spaß. Die Gegebenheiten waren einfach so, dass man der Tiere nicht anders habhaft werden konnte. Weil es technisch nicht anders möglich war.

Und nach der letzten Eiszeit? Als plötzlich 70 Prozent der großen Säugetierarten ausstarben? Geht das auch auf massenhafte Tötung durch Menschen zurück?

Viele Forscher sagen, dass vor 12.000 Jahren der Mensch bei seinem Vordringen bis nach Südamerika verschiedenste große Säugetierarten ausrottete und dass es keine dramatische Klimaveränderung war, die zu dem großen Tiersterben führte. Russische Forscher wollen allerdings neuerdings wieder entdeckt haben, dass es vielleicht doch nicht nur der Mensch gewesen ist.

Und wenn es doch Menschen waren? Was könnten die Motive gewesen sein?

Dieser „Overkill des Pleistozäns“ hatte wohl ausschließlich mit der Nahrungssuche zu tun. Den Menschen blieb damals nichts anderes übrig, als Treibjagden zu veranstalten. Essen konnten sie nur einen ganz kleinen Teil der toten Tiere. Früher hieß es immer, die Ureinwohner hätten 99 Prozent der Beute verwertet und nur ein Prozent nicht genutzt. Neuere Forschungen sollen ergeben haben, dass es genau umgekehrt gewesen sei. Na ja. Das ist aber wahrscheinlich genauso übertrieben.

Die Geschichte der Tiere ist also schon seit frühester Zeit eine des Leidens unter den Menschen. Hatten die Tiere nicht irgendwann einen bedeutenden Fürsprecher?

Doch. Ich denke da zum Beispiel an den deutschen Professor für Logik und Metaphysik, Wilhelm Dietler, der 1787 einen Appell unter dem Titel „Gerechtigkeit gegen Thiere“ verfasst hat, in dem er eine sehr moderne Position vertritt. Unter anderem, dass das Tier mit Gefühlen ausgestattet sei und Tiere um ihrer selbst willen sorgsam behandelt werden sollten. Nicht nur, wie Kant das schrieb, weil ein roher Umgang mit Tieren auch den Menschen verroht. Bei Kant stand der Mensch im Mittelpunkt, und schlechte Tierbehandlung ist schlecht, weil sie schlechte Menschenbehandlung zur Folge habe. Bei Dietler geht es ganz einfach um das Leiden des Tieres.

Er ist der erste Tierschützer?

Nein, nein. Das fing schon mit Pythagoras an. Pythagoras vertrat mit seiner Seelenwanderungslehre die These des verwandtschaftlichen Zusammenhangs alles Lebendigen und das Ideal der Heiligung allen Lebens. Die praktische Konsequenz dieser Lehre war Vegetarismus. Auch Platon, Epikur, Seneca und Plutarch sind aus diesen Gründen Vegetarier gewesen. Erst bei Aristoteles, dem Vater der Biologie, änderte sich das: Niedrigere Lebewesen stünden den höheren zur Verfügung und könnten von ihnen „genutzt“ werden, schrieb er in seiner „Politik“.

Es gab immer Bemühungen, im Rahmen der Religionen und der Philosophie den Tierschutz zu stärken. In der Neuzeit war es vor allem Montaigne, der da eine ganz entschiedene Position vertrat. Montaignes Position war so radikal, wie sie später nur Albert Schweitzer wieder vertreten hat: Dass wir gegenüber Tieren Pflichten haben, dass sie zu schützen seien, und dass wir auch die Pflanzen in diesen Schutz miteinbeziehen sollen. Auch wenn die Tiere selbst diesen Schutz gegenüber anderen Tieren gewöhnlich vermissen lassen. Es zeichne die Größe des Menschen aus, sein Vernichtungswerk zu erkennen und zu beenden.

Es gab also immer wieder Tierschützer in der Geschichte. Doch das scheint jedesmal folgenlos geblieben zu sein. Keiner hat eine Art Schule in dieser Frage begründet.

Ja, das stimmt. Am auffälligsten ist das im Christentum als der prägenden religiösen Kraft. Da blieben auch die entschlossensten Tierschutztheologien nahezu ohne Folgen. Ich denke da an „Tierheilige“ wie Franz von Assisi, Hieronymus oder Franziskus, die ein geradezu sakrales Verhältnis zur nichtmenschlichen Natur hatten. Religiös hat sich das nicht ausgewirkt. Und auch Martin Luthers Bemerkung in einer seiner Tischreden, „dass auch auch die Hündlein und Belferlein in den Himmel kommen und dass jede Kreatur eine unsterbliche Seele hat“, wirkte sich auf seine Theologie nicht aus. Das geht durch die ganze Geschichte bis heute.

Gab es eine Art tieremanzipatorische Bewegung bei der politischen Linken?

Ach, das Tier spielte bei der marxistischen Linken immer eine sehr untergeordnete Rolle. Oder besser: Der Nutzen des Tieres stand im Vordergrund. Friedrich Engels etwa forderte eine „Demokratisierung des Fleischverzehrs“, und August Bebel wetterte gegen den „Vegetarismus wider Willen“, zu dem die Masse des Volkes verurteilt sei. Das grenzenlose Tiermitleid einer Rosa Luxemburg war da eher eine Ausnahme. Und in der Sowjetunion etwa wurde das Tier als Materie betrachtet, als eine Sache, die im Dienst des Menschen zu stehen habe.

Gibt es dafür eine geistesgeschichtliche Tradition? Das Tier als Sache zu begreifen?

Ja. Die Misere fing in Rom an. Das römische Rechtsdenken hat uns ja stark geprägt. Und in Anlehnung an dieses Rechtsdenken wurde das Tier in der westlichen Welt immer als Sache eingestuft. Eine Sache, mit der der Eigentümer machen kann, was er will. In Deutschland wurde das erst 1990 mit dem „Gesetz zur Verbesserung der Rechtsstellung des Tieres im bürgerlichen Recht“ geändert. Seitdem gilt das Tier wieder als „Mitgeschöpf eigener Art“.

Ein zweiter wichtiger Punkt hat mit dem Beginn der Neuzeit zu tun. Am Anfang dieser Neuzeit stand René Descartes mit seiner Definition des Tieres als eine „Maschine“, eines Tierautomaten ohne Seele. Mit diesem Automaten könne der Mensch alles machen. Diese Denkweise hat unsere Einstellung zum Tier bis auf den heutigen Tag geprägt und prägt sie noch. Wir betrachten das Tier als Nutztier, mit dem wir alles machen können.

Wo sehen Sie den gravierendsten Unterschied im Verhältnis Mensch/Tier zwischen ihrer ersten Begegnung und heute?

Dass uns die „Ehrfurcht vor dem Leben“, wie sich Albert Schweitzer ausdrückte, abhanden gekommen ist. In einigen Kulturen, wie der islamischen, ist es dagegen heute noch üblich, dass Schlachtungen im Rahmen von Entschuldigungs- und Absolutionsriten stattfinden. Im Judentum und im frühen Christentum waren die Opfergaben ein vergleichbares Äquivalent. Wenn man schon auf das Tier zugriff, hatte man wenigstens ein schlechtes Gewissen. Das ist uns völlig abhanden gekommen.

Auf der einen Seite wird das Verhältnis des Menschen zum Nutztier immer abstrakter. Auf der anderen wird die Liebe zum Heimtier scheinbar immer enger. Das ist doch sehr merkwürdig.

Ja, merkwürdig. Man könnte da von einer modernen Paradoxie sprechen. Auf der einen Seite diese starke Bindung an das Heimtier. Eine Bindung, mit der sicher menschliche Defekte kompensiert, nicht selten überkompensiert werden. Auf der anderen Seite haben wir völlig abgeschaltet. Irgendwo in fensterlosen Hallen, abgeschirmt vom Durchschnittsverbraucher, werden „Tiere produziert“. Die Menschen gehen davon aus, dass es da wohl mit rechten Dingen zugeht. Wir leben ja in einem Rechtsstaat, denkt man sich. Der Verbraucher macht sich da keine Gedanken. Das ist die große Paradoxie unserer Zeit.

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