Einbürgerungs-Hemmnis: Kurde darf kein Deutscher werden
Teilzeit-Journalist Ilyas Ersöz hat eine dicke Verfassungsschutz-Akte - auch, weil das Amt seine Artikel mitunter sinnentstellend übersetzt. Darum bekommt er keinen deutschen Pass.
Aufrecht sitzt Ilyas Ersöz vor den fünf Richtern, die über seine Einbürgerung in Deutschland entscheiden sollen. Der 41-jährige Kurde aus der Türkei hat graues, schütteres Haar, trägt Sakko und Stoffhose, seine Ohren sind von der Kälte oder Aufregung gerötet. Seit 14 Jahren lebt er mit seiner Frau und zwei Kindern in Deutschland, seit sechs Jahren bemüht er sich um die deutsche Staatsbürgerschaft. Alle Anträge wurden abgelehnt. Mit der gestrigen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht klagt er deshalb gegen die Stadt Bremen.
Ersöz Problem: Beim Landesamt für Verfassungsschutz hat er eine dicke Akte. Man wirft ihm vor, die kurdische Terrororganisation PKK zu unterstützen und die "Wirkungsmacht dieser Organisation zu steigern". Ein Grund ist seine ehrenamtliche Arbeit als Journalist für die in Deutschland erscheinende Zeitung Yeni Özgür Politika, die der verbotenen Partei PKK nahe steht. "Er steht ständig im Fokus des Verfassungsschutzes, weil das Amt seine Artikel als Informationsquelle nutzt", sagt sein Anwalt Albert Timmer. Das heiße nicht, dass er die PKK politisch unterstütze. Vielmehr trage Ersöz dazu bei, das Informationsbedürfnis der kurdischen Gemeinde mit Berichten zu verschiedenen Themen zu befriedigen.
Die Richter allerdings halten die Artikel nicht für neutrale Berichterstattung. Sie zitieren aus der Rechtssprechung des Verwaltungsgerichts, das in solchen Fällen prüft, ob die Veröffentlichung nicht nur "objektiv vorteilhaft", sondern auch subjektiv "vom Willen des Ausländers getragen" sei. Diesen Vorwurf kontert Anwalt Timmer mit einem Fallbeispiel: "Es gibt Fehler bei den Übersetzungen." So habe der Verfassungsschutz etwa einen Artikel aus Ersöz Feder zu der Gedenkveranstaltung einer PKK-Kämpferin falsch übersetzt. In der auf kurdisch veröffentlichen Zeitungsversion von Ilyas Ersöz heißt es, die Kämpferin sei von Mitgliedern der PKK umgebracht worden - was eine Distanzierung von der Organisation nahelegen würde.
In der deutschen Fassung, die der Verfassungsschutz für seine Akten aus dem Kurdischen übersetzt hat, steht hingegen, sie sei "von der Konterguerilla", also von staatlicher Seite getötet worden. In anderen Fällen, die Ersöz als "beschönigend" vorgeworfen werden, habe die Zeitung eigenmächtig Artikel umgeändert, ohne sich mit dem Autor vorher abzusprechen.
Dass der Türke dennoch für die Zeitung weiterarbeitet, zumal ohne Verdienst, erklärt er zum einen mit seiner Leidenschaft fürs Schreiben. Zum anderen mit seinen Erfahrungen Anfang der 1990er-Jahre in der Türkei, wo er als junger Mann in der Redaktion des Vorgängerblattes von Yeni Özgür Politika arbeitete und miterlebte, wie Dutzende Reporter getötet wurden, die über den Kurdenkonflikt berichteten. Auch er selbst sei damals "in Gewahrsam genommen" worden, habe mit ansehen müssen, wie sein Vater und seine Schwester gefoltert wurden. "Oppositionelle werden ständig unter Druck gesetzt - ich bin einer dieser Geschädigten", teilt Ersöz dem Gericht über seine Dolmetscherin mit. "Ich wollte schon damals über antidemokratische Verhältnisse berichten, das ist auch jetzt in Deutschland noch so." Gut stehen die Chancen für Ersöz nicht, doch noch Deutscher zu werden. Der Bescheid vom Gericht kommt zwar erst in drei Wochen, aber "schon der Antrag auf Übernahme der Prozesskosten wurde abgelehnt, das ist ein schlechtes Zeichen", sagt Timmer.
Überrascht ist er nicht, viele Kurden hätten beim Antrag auf die deutsche Staatsbürgerschaft ähnliche Probleme. Eine Ausweisung muss Ersöz aber nicht befürchten: Seit 2009 hat seine Familie ein unbefristetes Aufenthaltsrecht. So kann er weiter in Gröpelingen leben und als Aushilfe in zwei Bremer Unternehmen arbeiten. "Aber eine Einbürgerung hätte so viele Vorteile", sagt der Türke in gebrochenem Deutsch, "endlich wählen, mehr Freiheit beim Reisen, weniger bürokratische Hürden." Seine Frau und die Kinder Dilbirin und Serhat hoffen weiterhin: Über ihre Anträge auf die deutsche Staatsbürgerschaft wurde noch nicht entschieden.
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