Einbürgerung: Oma hatte das falsche Geschlecht
Casey Butterfields Großmutter war jüdische Berlinerin, die Nazis bürgerten sie 1936 aus. Die Enkelin lebt wieder in Berlin und möchte Deutsche werden.
"Wollen Sie meine Großmutter kennenlernen? Sie ist eine bemerkenswerte Frau." Casey Butterfield sitzt im Kant-Café in Charlottenburg und spricht über ihre Oma, Ruth Calmon Moos. Mitte dieses Monats kommt die 85-jährige Jüdin wieder nach Berlin, von wo sie 1936 als Kind in die USA floh. Für ihre amerikanische Enkelin, die seit knapp zwei Jahren in Berlin wohnt, ist das ein besonderes Ereignis: Casey Butterfield fühlt sich ihrer Oma eng verbunden.
Die Herkunft der Großmutter war der Grund für die Amerikanerin, im Alter von 16 Jahren Deutsch zu lernen. Zwei Jahre später begleitete sie ihre Großmutter erstmals nach Berlin. "Ich wollte sehen, woher meine Oma kommt", sagt sie. Bei diesen Reisen in die deutsche Hauptstadt, aber auch beim Sprachstudium in Los Angeles hatte Casey Butterfield ihre deutschen Wurzeln entdeckt. Deswegen beantragte sie vor vier Jahren erstmals die deutsche Staatsbürgerschaft. Sie beruft sich auf das Grundgesetz, das Nachfahren von im Dritten Reich ausgebürgerten Deutschen die deutsche Staatsangehörigkeit zusichert, ohne dass sie dazu ihre bisherige Staatsangehörigkeit aufgeben müssten - ein Akt der Wiedergutmachung an Opfern des Dritten Reiches und deren Nachfahren.
Doch Butterfields Antrag wurde abgelehnt. Der Grund: Ihre Großmutter hatte im falschen Jahr geheiratet und im falschen Jahr eine Tochter, Caseys Mutter, bekommen: 1947. Auch diese seltsame Ausnahme ist im Grundgesetz geregelt: Danach können Frauen, die bis 1953 einen Nichtdeutschen heirateten und mit ihm Kinder bekamen, ihre deutsche Staatsangehörigkeit nicht vererben. So steht es in Artikel 117.
Dieser Artikel schreibt ein antiquiertes Recht fort: Väter durften ihre deutsche Staatsangehörigkeit an ehelich geborene binationale Kinder vererben, deutsche Mütter nicht. Diese Auffassung geht auf das Reichsstaatsangehörigkeitsgesetz von 1913 zurück, das Frauen als bloße Anhängsel ihrer Männer sah. Wäre Caseys Großvater deutscher Jude gewesen, könnten Kinder und Enkel Deutsche werden.
Die Kellnerin im Kant-Café kommt freundlich auf Butterfield zu. "Was darf ich dir bringen?" Die Frauen kennen sich. Casey wohnt seit knapp zwei Jahren in der Nähe und ist hier oft zu Gast. "Mit dem Umzug nach Berlin wollte ich den Lebenskreis meiner Familie schließen", sagt sie. Sie ist nicht irgendwohin in Berlin gezogen, sondern ganz in die Nähe der Wohnung ihrer Urgroßeltern. "Die wohnten in der Ansbacher Straße, gleich um die Ecke vom KaDeWe", sagt die 28-Jährige. Ihr Urgroßvater hätte dort Kaffee verkauft. Edle Sorten. Selbst gemischt.
Casey Butterfield arbeitet als freiberufliche Politologin und Lektorin auf dem Gebiet der transatlantischen Beziehungen. Ein Aufenthaltsrecht in Deutschland hat sie erworben, weil sie diese Arbeit hat, eine freiberufliche, unsichere Arbeit. Es gibt einen weiteren Grund für die junge Frau, in Deutschland zu leben: Ihr Partner, ein Brite, habilitiert sich gerade hier.
Das Gesetz, das Casey wegen des falschen Heiratsjahres ihrer Oma den deutschen Pass verwehrt, ließe Ausnahmen zu. Für Menschen, die enge Bindungen an Deutschland haben. Doch hier lauert die nächste Falle: Butterfield passt zwar auf den globalisierten Arbeitsmarkt, offenbar aber nicht in das antiquierte deutsche Staatsangehörigkeitsrecht. Den Antrag hatte sie im spanischen Barcelona gestellt, wo sie ein zweijährigen Forschungsstipendium erhalten hatte.
"Wanderjahre" führten sie auch an die Universität im britischen Cambridge, wo sie zu einem Thema der deutsch-spanischen Beziehungen unter Hitler und Franco forschte. Doch wer sich solche Wanderjahre leistet, wer als Wissenschaftlerin dorthin geht, wo es Forschungsgelder und Archivmaterial gibt, kann offenbar nicht deutsch sein.
Das Bundesverwaltungsamt vermochte jedenfalls nicht zu erkennen, dass sie ihre Zukunft in Deutschland plane. Ihre Bindungen zu Deutschland gingen "über Kontakte zur jüdischen Gemeinde in Berlin und ein persönliches Interesse an Deutschland" nicht hinaus, steht in dem Ablehnungsbescheid. Die Amerikanerin habe weder deutsche Schulen besucht, noch gehöre sie einer deutschen Vereinigung in den USA an, und sie habe auch keinen Immobilienbesitz in Deutschland.
Auch Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU), auf dessen Tisch schon eine Petition von Butterfield lag, lehnte ihren Einbürgerungsantrag ab. "Solche Bescheide haben mich innerlich jedes Mal gelähmt", sagt die Frau. "Ich möchte die Möglichkeit haben, in Deutschland zu leben und hier meine Kinder großzuziehen." Und sie möchte von den Grenzbehörden so empfangen werden, wie andere Deutsche sie empfangen: "als Deutsche".
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Fußball-WM 2034
FIFA für Saudi-Arabien
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen