Einbürgerung verweigert: Irrungen der Geheimdienstler
Ein 33-jähriger Kurde darf nach 17 Jahren Integration kein Deutscher werden, weil der Inlands-Geheimdienst den Sozialdemokraten als Kommunisten einstuft.
Hidir Karul könnte eigentlich das Model sein, das die populistischen Kampagne von Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) zur Einbürgerung von Migranten verkörpert. Intelligent, integriert, gefördert von der Friedrich- Ebert-Stiftung, SPD-Mitglied und kurz vor der Promotion. Doch auf Drängen des Verfassungsschutzes verweigern die Behörden dem 33-jährigen Kurden seit zehn Jahren die Einbürgerung, weil er linksradikale Gedanken im Kopf haben könnte. Am Dienstag befasst sich der Geheimdienst-Kontrollausschuss (PKA) der Bürgerschaft mit dem Fall.
Karul war mit 16 Jahren aus Kurdistan nach Deutschland geflohen. „Jeden Tag sind Menschen auf der Straße verschleppt oder erschossen worden“, berichtet er aus seiner Heimat. Für ihn habe es nur die Alternativen gegeben, in den kurdischen Widerstand zu gehen oder auf seine Einberufung zum Militär zu warten. „Du musst weg, wenn du nicht lernen möchtest, zu töten“, hätten ihn Verwandte geraten.
In Hamburg lebte er dann in einer Jugendwohnung für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge. Sein damaliger Betreuer habe ihn einmal mit zu einem Treffen der Atif (Konföderation der Arbeiter aus der Türkei) mitgenommen. „Ich war emotional noch mit der Türkei verbunden“, sagt Karul. Er habe sich daraufhin bei der Neuen Demokratischen Jugend (YDG) in der Jugendarbeit angagiert. „Das ist aber schon lange her“, sagt er. 2009 sei er auf dem Schanzenfest aufgetreten und habe sich für das Wahlrecht für Ausländer starkgemacht. Die Zeitung Türkische Post habe ihn damals fälschlicherweise als Atif-Anhänger tituliert. Und für den Inlandsgeheimdienst ist Atif gleichzusetzen mit der maoistischen Türkischen Kommunistischen Partei (TKP/ ML). „Die TKP/ ML wird in Deutschland als verfassungsfeindlich eingestuft“, schreibt die Vorsitzende des Eingabenausschusses der Bürgerschaft, Silke Vogt-Deppe. Eine glaubhafte Abkehr von der Organisation sei bei Karul nicht erkennenbar.
Bei einem Einbürgerungsantrag findet automatisch eine Regelanfrage beim Landesamt für Verfassungsschutz statt.
Der Eingabenausschuss der Bürgerschaft kann bei negativen Entscheidungen der Einbürgerungsbehörde durch eine Petition Abhilfe schaffen.
Der Parlamentarische Kontrollausschuss ist ein Gremium, das geheim tagt und das Agieren des Geheimdienstes kontrollieren soll.
„Wir haben im Eingabenausschuss die notwendigen Auskünfte vom Verfassungsschutz nicht bekommen“, sagt hingegen die GALierin Antje Möller, die mit der Linkspartei für Karuls Einbürgerung votierte. Auch Schreiben an Olaf Scholz und Innensenator Michael Neumann (SPD) brachten keine Wende. „Im Zuge dieser Stellungnahme konnte ich mich persönlich von der Argumentation des Landesamtes für Verfassungsschutz überzeugen“, schreibt Innen-Staatsrat Volker Schiek. „Nicht zuletzt, weil die Vorwürfe, die die Bedenken des Verfasungsschutzes begründen, noch keine fünf Jahre her sind, sehe ich derzeit keine Möglichkeit, dessen Einwände in einem Einbürgerungsverfahren unberücksichtigt zu lassen.“
Das sieht die Ex-Ausländerbeauftragte und Uni-Professorin Ursula Neumann ganz anders. „Junge Menschen wie Herr Karul, die mit der Erfahrung von Unterdrückung, Flucht und Verfolgung leben, konnten gewonnen werden, zur politischen Kultur und Demokratie beizutragen“, sagt Neumann. Hidir Karul hat auch persönliche Gründe, Deutscher zu werden und damit unbehelligt die Türkei besuchen zu können. „Ich würde gern meine kranken Eltern vor ihrem Tode noch mal sehen“, sagt er.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken