Einblicke ins Unternehmertum: Steinreiche Schüler
Eine Schülerfirma im Märkischen Viertel vermarktet Edelsteine, um soziale Projekte zu fördern - seit über 15 Jahren.
SchülerInnen, die freiwillig in die Schule gehen – am Samstag, bei 20 Grad und Sonne. Die gibt es wirklich: Statt im Park zu liegen, verbringen einige Neunt- bis ElftklässlerInnen der Waldorfschule Märkisches Viertel den Tag damit, in einem Klassenzimmer Edelsteine zu ordnen. Sie sind Mitglieder der Schülerfirma „Steinbrücke“, und heute ist Sortiertag. Nach der Hauptverkaufszeit auf den Herbst- und Weihnachtsbasaren werden die verbliebenen Bestände gesichtet – das dauert ein paar Stunden.
Vor der Ordnung herrscht also erst mal Chaos, zumindest auf den ersten Blick. Tische und Stühle sind mit bunten Steinen bedeckt, Bergkristall, Malachit und Rosenquarz glänzen um die Wette. Dazwischen wuseln die SchülerInnen, tragen Steine herum, räumen Kartons aus und wieder ein und diskutieren dabei über die nächste Mathearbeit.
Seit genau 16 Jahren gibt es die Schülerfirma, gegründet und betreut von Erdkunde- und Sozialkundelehrer Michael Benner. Alle arbeiten ehrenamtlich, den Erlös spenden sie an Projekte, oft in Ländern der Südhalbkugel. „Wir geben was in die Länder zurück, aus denen die Steine kommen“, sagt Johannes aus der Zehnten.
Denn genau das ist die Idee hinter der Firma: Sie soll den SchülerInnen Einblicke ins Unternehmertum geben – und Gelegenheit sein, Verantwortung zu übernehmen. „Im Idealfall erfahren sie, dass es in der Wirtschaft nicht nur ums Geldverdienen geht, sondern darum, die Bedürfnisse anderer Menschen zu decken“, sagt Benner.
Einmal im Jahr geht es zum Einkauf auf eine Mineralienmesse. Kaufentscheidungen werden – wie alle anderen – demokratisch getroffen. „Da kommt es schon vor, dass ich überstimmt werde und meine Einwände runterschlucken muss“, sagt Benner und lacht. „Aber das ist nicht schlimm, meistens liegen die SchülerInnen am Ende richtig.“
Auf Veranstaltungen in Berlin, besonders in anderen Waldorfschulen, werden die Steine dann verkauft. Die Produktpalette reicht vom Pyritwürfel für 10 Cent bis zur fast 4.000 Euro teuren Amethystdruse, die fast so groß ist wie die SchülerInnen.
Clara, Lena und Agascha preisen Edelsteinohrringe aus. „Verkaufen wir die für 3,50 Euro oder lieber ein bisschen mehr?“, beratschlagen sich die drei. Sie können alle Preise selbst festlegen. Die Neuntklässlerinnen sind seit dem Sommer in der „Steinbrücke“. Sie finden es gut, „dass hier alle gleichberechtigt sind und wir als Neue gleich total ernst genommen wurden“, sagt Agascha.
Etwa 20 SchülerInnen von der neunten bis zur zwölften Klasse arbeiten im Projekt, für die Sitzungen ist im Stundenplan eine Freistunde vorgesehen. Immer im Januar findet die große Hauptversammlung statt. Hier wird entschieden, in welche Projekte der Gewinn fließt. „Das ist das Tollste für mich: Wenn wir nach der ganzen Arbeit dasitzen und nachdenken, wie wir das viele Geld verteilen“, schwärmt Marie aus der Elften.
Fair geht leider nicht
Dieses Jahr wird es ein weiteres Highlight geben: Erstmals nimmt die „Steinbrücke“ am Bundeswettbewerb der Schülerfirmen teil. In der Internetabstimmung liegt sie momentan auf dem zweiten Platz von fast 250 Bewerbern – ein kleines Indiz für den Erfolg der Firma, der sich auch in den Gewinnen widerspiegelt: Während die Firma nach ihrem ersten Jahr knapp 3.000 Euro spenden konnte, waren es 2011 bereits gut 10.000.
Etwas getrübt wird diese Erfolgsgeschichte nur von der Tatsache, dass die Firma keine Kontrolle über die Herkunft der Mineralien hat. Benner bedauert das sehr, denn die Arbeitsbedingungen in Edelsteinminen sind verrufen. Gern würde er auf fair gehandelte Steine umsteigen – aber das Angebot sei zu gering. Der Kontakt zu den Projekten, in die das Geld fließt, ist hingegen sehr eng: Schon mehrmals haben ehemalige MitarbeiterInnen nach dem Abi dort einen Freiwilligendienst geleistet und den SchülerInnen zu Hause dann von der Situation vor Ort berichtet.
Nach vier Stunden Arbeit ist das Chaos beseitigt, alle Steine liegen verpackt in ihren Kisten. „Auch mal samstags zu arbeiten macht mir nichts aus“, sagt Clara. Aber jetzt wollen die SchülerInnen endlich raus in die Sonne. „Arbeiten ist auch nicht alles im Leben“, erklärt Marie weise.
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