heute in hamburg: „Ein täter-freundliches System“
Sabine Andresen, 54, ist Vorsitzende der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs.
Interview Frieda Ahrens
taz: Frau Andresen, eine Studie der Bischofskonferenz zeigt, dass 1.670 katholische Kleriker 3.677 meist männliche Minderjährige missbraucht haben sollen. Wie kann es zu so etwas kommen?
Sabine Andresen: Es ist unbestritten, dass überall dort, wo Kinder und Jugendliche sich aufhalten, sie auch zu Opfer von sexuellem Kindesmissbrauch werden können. Die Studie zeigt, dass die Einrichtungen der katholischen Kirche, wie übrigens auch der evangelische Kirche, keine Ausnahme darstellen.
Hat es etwas mit den Rahmenbedingungen in der katholischen Kirche zu tun?
Man muss schauen: Was sind auf die Institution bezogene Risikofaktoren, die dazu führen, dass TäterInnen sich Kindern nähern können, nicht davon abgehalten werden, Kinder zu missbrauchen und dann betroffene Kinder ganz offensichtlich kein Gehör und Hilfe finden. Und verschärfend kommt hinzu, dass die katholische Kirche sehr viel dafür getan hat, dass die Taten vertuscht wurden. Ich würde gar von einem täterfreundlichen System sprechen, das lange geherrscht hat.
Ordensschwestern als Täterinnen – ist das kein Thema?
Wir wissen aus vorherigen Aufarbeitungen, dass auch Frauen Täterinnen sind. Das muss auf jeden Fall untersucht werden, war aber nicht Auftrag der Studie.
Welche Maßnahmen wären sinnvoll?
Es ist ein ganz wichtiger Schritt, dass in der katholischen Kirche über Sexualität und Sexualmoral ein offener Dialog geführt wird. Es ist sinnvoll, über die Bedeutung des Zölibats nachzudenken. Und dann braucht es eine unabhängige Aufarbeitung.
Podiumsdiskussion:„Die katholische Kirche und der Missbrauch“, 18 Uhr, Katholische Akademie Hamburg, Herrengraben 4
Wie sind die Verhältnisse jetzt?
Wir müssen davon ausgehen, dass weiterhin Kinder und Jugendliche von sexuellem Missbrauch im Kontext der katholischen Kirche betroffen sind. Hier gibt es trotz der Fortschritte in den letzten Jahren – nicht zuletzt durch die Einrichtung des Amtes des Missbrauchsbeauftragten und die Einführung von Schutzkonzepten – noch viel zu tun.
Die Bistümer engagieren sich unterschiedlich stark …
Es ist eine zentrale Frage, wie man innerhalb der zögerlichen Bistümer diejenigen, die etwas verändern wollen, stärken kann. Die Kirche insgesamt ist es den Betroffenen, aber auch der Gesellschaft schuldig, die Versäumnisse zu bearbeiten. Hier ist aber auch der Staat gefordert, die Kirchen dabei zu unterstützen.
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