: Ein nordostafrikanisches Puzzlespiel
Flächenmäßig ist der Sudan der größte Staat Afrikas. Dementsprechend hat er auch viele Nachbarn, vielleicht zu viele. Die angrenzenden Staaten bilden untereinander politische Achsen, die einander befehden. Der Sudan gerät dabei häufig ins Kreuzfeuer oder wird hin- und hergerissen. Mit nur 22 Millionen Einwohnern, von denen sich gut ein Drittel im Aufstand befindet, ist er kein starker Staat.
Bei den Achsenbildungen der untereinander verfeindeten Nachbarn kommt es vom Zeit zu Zeit zu Verschiebungen, zum Frontenwechsel des einen oder anderen Landes. Es ist fast unmöglich, irgendeine Logik in dieses ostafrikanische Politspiel zu bringen.
16 Jahre lang herrschte der Diktator Numairi, bis April 1985. Anfangs trat er als linker Sozialrevolutionär auf. Dementsprechend war der Sudan mit Libyen und Äthiopien befreundet. Als Numairi radikal nach rechts schwenkte, kam es zu einer Allianz mit den konservativen Staaten.
Numairi half den Ägyptern und Franzosen, im Tschad den prolibyschen Gukuni Waddai durch den prowestlichen Husain Habre zu ersetzen. Und er unterstützte, zusammen mit Saudi -Arabien, die aufständischen Eritreer in Äthiopien. Äthiopien und Libyen rächten sich, indem sie die Rebellen im Südsudan aufrüsteten.
Nach seinem Sturz fand Numairi Asyl in Kairo. Ein Jahr später - 1986 - kam der Sektenführer As-Sadiq Al-Mahdi an die Macht. Er ist mit Gaddafi befreundet und hegte Sympathien für Chomeini. Dadurch verdarb er es sich mit Ägypten, Saudi-Arabien, Kenia, Zaire und Tschad, ohne aber Äthiopien und Uganda für sich gewinnen zu können.
Immerhin bekam er nun Waffenhilfe aus Libyen. Gaddafis Bomber fliegen heute Einsätze gegen die Südsudanesen, die zuvor eben dieser Gaddafi aufgerüstet hatte.
Die schwarzafrikanischen Anrainerstaaten Kenia, Uganda, Zaire und Zentralafrikanische Republik haben allesamt ein gemeinsames Problem in diesen Auseinandersetzungen: den Gegensatz zwischen Arabern und Afrikanern. Ungeachtet aller Bündnisse und ideologischen Stammesgegensätze fällt es ihnen schwer, mit dem arabischen Nordsudan gemeinsame Sache gegen den Südsudan zu machen. Norduganda war unter der britischen Kolonialherrschaft ein Teil das heutigen Südsudan. Ugandas neuer starker Mann, Yoweri Museveni, stammt aus dem Süden, und seine Truppen kämpfen immer noch mit den nilotischen Stämmen in Norduganda, die mit den Südsudanesen eng verwandt sind.
Deshalb kann er derzeit nicht offen für die Nordsudanesen gegen die Südsudanesen Partei ergreifen. Vollkommen auszuschließen ist eine solche Entwicklung allerdings nicht. Kenia ist nach Äthiopien die wichtigste Stütze der südsudanesischen Guerilla SPLA. Das proamerikanische Nairobi steht zwar in einem ideologischen Gegensatz zum prosowjetischen Addis Abeba, ist aber um gute Beziehungen zu Äthiopien bemüht. Beide Staaten haben schließlich große Provinzen mit Somalibevölkerung und stehen in gemeinsamer Abwehrhaltung zu den Gebietsansprüchen der Somalier.
Viel hängt in diesem Puzzle von der wechselvollen Allianzpolitik Gaddafis ab. Lange Zeit unterstützte er gemeinsam mit Äthiopiens Mengistu - die südsudanesischen Rebellen. Das war nicht zuletzt auch eine Glanzleistung der alten sowjetischen Außenpolitik - ist doch das Regime Mengistus ein anti-arabisches, dominiert vom Nationalismus des amharischen Volkes. Immerhin hielt das Bündnis zwischen Libyen und Äthiopien länger als irgendeine andere der vielen politischen Ehen Gaddafis. Vor allem diente es Gaddafi dazu, den mit den USA verbündeten Ägyptern mit der Sperrung des Nilwassers zu drohen.
Doch mittlerweile sind die Weichen in der Region auf Entspannung gestellt - wie vielerorts auch hier als Folge der verbesserten Beziehungen zwischen den Großmächten. Der Kreml ist nicht länger bereit, den groß-äthiopischen Chauvinismus des unpopulären Mengistu abzusegnen. Der mußte bereits einlenken und den Eritreern ein erstes Angebot für eine Autonomieregelung machen.
Das wiederum hat es der Regierung in Khartum ermögicht, den Eritreern allmählich ihre Militärbasen im Südsudan zu entziehen. Zuvor hatte in diesem Konflikt das finanzkräftige Königshaus Saudiarabiens das Sagen gehabt: Als Gegenleistung für seine Petrodollars mußte der Sudan den Eritreern Freizügigkeit gewähren.
Bis zum Februar dieses Jahres hatte auch Sudans anti -ägyptischer Ministerpräsdent As-Sadiq Al-Mahdi Gaddafi geholfen, das Verhältnis zwischen Kairo und Khartum zu trüben. Doch dann machte die sudanesische Armee - gestützt auf eine Mehrheit unter den Politikern des Landes - ihrem Regierungschef einen Strich durch die Rechnung: Sie forderte ein schnelles Ende des Bürgerkriegs. Die Regierung solle direkte Verhandlungen mit dem aufständischen SPLA-Chef John Garang - einem ehemaligen Oberst der sudanesischen Armee aufnehmen.
Die Generäle gaben unumwunden zu, sie seien weder bereit noch imstande, den Krieg weiter fortzusetzen. Wenn der Minsiterpräsident ernsthaft eine „militärische Lösung“ anstrebe - wie er immer wieder großsprecherisch verlauten ließ -, dann solle er sich mit Sudans traditionellen arabischen Verbündeten gutstellen und von denen die Mittel zur Kriegführung beschaffen - nämlich aus Ägypten, Saudi -Arabien und Irak. Die Mittel aus Libyen allein reichten dazu jedenfalls nicht aus. Da traf es sich denn gut, daß sich auf der arabischen Gipfelkonferenz von Casablanca im Mai dieses Jahres auch Gaddafi mit den Ägyptern versöhnte.
Im internen Regierungsclinch des Sudan gab derweil Ministerpräsident As-Sadiq Al-Mahdi klein bei. Er löste sich von den Scharfmachern in seinem Kabinett, dämpfte die Beziehungen zu Gaddafi und den iranischen Mullahs. Guerilla -Oberst Garang kam ihm seinerseits entgegen: Er rief für den Mai einen befristeten Waffenstillstand aus und verlängerte ihn dann.
Es scheint, daß die sich rundum in der Region abzeichnende Entspannung die Sudanesen tatsächlich dazu bringen könnte, zum ersten Mal ernsthaft über ein Ende des Bürgerkriegs miteinander zu verhandeln. Diese Chance will sich die schwer angeschlagene sudanesische Armee nicht noch einmal von einem Regierungschef verpatzen lassen, der nicht in der Lage war, jemals über den engen Rahmen seiner speziellen islamischen Sekte hinauszublicken. Deshalb der Putsch.
Khalid Duran
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen