: Ein neuer Staat übt sich in Demokratie
Zwei Jahre nach der Unabhängigkeit von Indonesien bestimmen heute die BürgerInnen Osttimors die Mitglieder einer verfassunggebenden Versammlung. 16 Parteien haben Kandidaten aufgestellt. Die Wahl einer Regierung für den kleinen Inselstaat im Pazifik soll folgen
PEKING taz ■ Ein historischer Tag für Osttimor: Zwei Jahre nachdem sie sich in einem dramatischen Referendum für die Unabhängigkeit von Indonesien entschieden haben, wählen die Bewohner der kleinen Inselhälfte im Pazifik heute eine verfassunggebende Versammlung – erste Etappe auf dem Weg zu einem neuen Staat in der Weltgemeinschaft: „Timor Lorosae“.
Insgesamt kandidieren 16 Parteien für das Gremium, das aus 88 Mitgliedern besteht. Als sichere Siegerin gilt die frühere Unabhängigkeitsbewegung Fretilin, die seit der Besetzung Osttimors durch Indonesien 1975 gegen Jakarta gekämpft hat. Das Wahlergebnis soll zwischen dem 3. und 6. September bekannt gegeben werden.
Die verfassunggebende Versammlung soll sich innerhalb der nächsten drei Monate auf ein Grundgesetz für das künftige Osttimor einigen. Danach verwandelt sie sich in ein reguläres Parlament, das die Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr vorbereitet. Bis dahin regiert ein Übergangskabinett, das vom Chef der UNO-Übergangsverwaltung, Sergio Vieira de Mello, ernannt wird.
Dies ist zugleich die Voraussetzung für die Geburt des neuen Staates, der – so viel scheint sicher – vom populären früheren Fretilin-Chef, Xanana Gusmao, geführt wird. Gusmao, der nach jahrzehntelanger Erfahrung als Guerillaführer in den Dschungeln von Timor und als Häftling in indonesischen Gefängnissen lieber Fotograf als Politiker geworden wäre, hat sich am Wochenende auf Druck der UNO bereit erklärt, für den Posten zu kandidieren. Gusmao gilt als Integrationsfigur in der politisch zersplitterten osttimoresischen Gesellschaft.
Die Vorbereitung für die Wahlen war nicht einfach: Von den rund 400.000 wahlberechtigten Osttimoresen können viele nicht lesen und schreiben. Allein die UNO spendete für die politische Bildungsarbeit in den letzten Monaten 300.000 US-Dollar.
Wie ernst die Osttimoresen die heutige Abstimmung nehmen, zeigte sich in den letzten Tagen. Zur großen Überraschung der UNO-Wahlhelfer tauchten tausende Bewohner in den Wahlzentren auf, um sich zu vergewissern, ob ihr Name auch wirklich auf der Wählerliste stand.
„Wir sind bereit. Das ist ein großer Schritt für die Timoresen“, sagt eine kenianische Untaet-Mitarbeiterin. Ihr Chef de Mello äußerte sich zufrieden über den weitgehend friedlichen Verlauf des Wahlkampfes: „Ich glaube, dass die Timoresen inzwischen allergisch auf alle Art von Gewalt reagieren“, sagte er Anfang der Woche in der Hauptstadt Dili. „Sie haben sie einfach satt.“
Viele Timoresen und ausländische Beobachter hatten befürchtet, dass Parteianhänger den Wahlkampf dazu nutzen würden, alte Rechnungen zu begleichen. Denn viele Timoresen hatten mit den Indonesiern kooperiert, sie waren gezwungen, Nachbarn und Freunde zu bespitzeln und zu denunzieren. Populäre Persönlichkeiten wie Gusmao und Friedensnobelpreisträger José Ramos-Horta reisten deshalb in den letzten Wochen durchs Land und predigten Frieden. JUTTA LIETSCH
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