■ Ein halber Sieg: Tony Blair dominiert die Labour-Partei: Erkaufte Einmütigkeit
Einen solchen Triumph hatte Tony Blair selber wohl nicht erwartet. Die Delegierten auf dem Parteitag der britischen Labour-Opposition haben ihrer Führung genau wie letztes Jahr keine einzige Niederlage zugefügt, obwohl die innerparteiliche Skepsis gegen Blairs Modernisiererei in den vergangenen Monaten deutlich gewachsen ist.
Aber der Preis für diesen Erfolg ist hoch. Nicht ideologische Überzeugungsarbeit, sondern konventionelle Hinterzimmerdeals stecken hinter der Einmütigkeit. Es waren die alten Gewerkschaftsbosse, die gegen die Gewährung rhetorischer und auch kleinerer programmatischer Zugeständnisse an traditionelle Politikmuster Blair unterstützten und ihn damit retteten. Die Krönung war gestern die Zusicherung der Labour-Führung, jede weitere Verminderung des 50prozentigen Stimmenanteils der Gewerkschaften bei Labour-Parteitagen – vorher oft im Gespräch – sei nun endgültig vom Tisch.
Für Blair, der einen Großteil seiner bisherigen Karriere mit der Reduzierung des Gewerkschaftseinflusses auf seine Partei verbracht hat, ist das demütigend. Die schwierigen Entscheidungen, das wird immer deutlicher, verschiebt Labour auf die Zeit nach dem erwarteten Wahlsieg, um sich nicht schon vor der Wahl zu zerfleischen. Die Partei riskiert dadurch, den alten Labour-Fehler zu wiederholen. Nach der Machtübernahme mußten Labour-Regierungen stets viel zu viele Ansprüche auf einmal befriedigen, viel zu viele Probleme auf einmal lösen. So wird aus hochgesteckten Erwartungen schnell tiefe Enttäuschung.
Besonders kritisch könnte das für Labour in einem Politikfeld werden, dessen Zeitplan bereits vorgegeben ist: die europäische Wirtschafts- und Währungsunion. Die Entscheidung, welche EU-Mitglieder den Euro bereits 1999 einführen, muß im nächsten Jahr fallen – Labour kommt vermutlich im Frühsommer 1997 an die Macht. Damit ist die Frage eines britischen Beitritts zur Währungsunion die dringendste für den neuen Premierminister Blair. Die Antwort wird zugleich immense Auswirkungen auf die britische Wirtschaftspolitik haben. Aber ebensowenig wie Major ist Blair bereit, diese Antwort vor der Wahl zu geben. Labour ist, wie die Tories, nicht in der Lage, zur Währungsunion einen klaren Standpunkt zu entwickeln. Labour spricht großspurig vom nächsten Jahrtausend und weiß zugleich nicht, was sie 1997 nach einem Wahlsieg in bezug auf Europa machen soll. Man könnte das demagogisch nennen. Vermutlich ist es schlicht dumm. Dominic Johnson
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