INTERVIEW: „Ein fauler Kompromiß“
■ Norbert Gansel, außenpolitischer Sprecher und Bundestagsabgeordneter der SPD, zur EG-Entscheidung, die Republiken Kroatien und Slowenien anzuerkennen
taz: Was halten Sie vom Ergebnis der EG-Jugoslawien-Verhandlungen?
Norbert Gansel: Ein fauler Kompromiß. Eine völkerrechtliche Anerkennung nach dem Verfahren — 1. Freiwillige melden, 2. Bedingungen müssen erfüllt werden, wie man sie von keinem anderen Staat fordert, 3. eine Schiedskommission gibt ein Urteil ab, 4. dann entscheidet die EG, und jeder kann trotzdem machen, was er will — ist ein Hohn, angesichts des Krieges in Jugoslawien.
Hilft der Beschluß überhaupt bei einer Lösung des Konfliktes weiter?
Es ist ja keine Anerkennung, es ist eine weitere Verschiebung. Die Anerkennung ist jetzt vor allem aber ein moralisches Element in dieser ganzen Krise.
Was hätte Genscher Ihres Erachtens in Brüssel tun sollen?
Die Kunst der Außenpolitik besteht nicht nur darin, das Richtige zu wollen, sondern dafür Unterstützung zu finden. Darin hat Genscher schlicht und einfach versagt. Wenn man das Hin und Her bei den verschiedenen EG-Staaten in der Vergangenheit betrachtet, war das ein fortwährendes Setzen von Fristen, verbunden mit dem Versprechen der Anerkennung. Wenn man sich klarmacht, daß die Nichtanerkennung den Krieg jedenfalls nicht gestoppt hat und die Anerkennung nach der bisherigen UNO-Praxis den Blauhelm-Einsatz erleichtert und nicht erschwert, dann kann das Ergebnis nur auf diplomatischem Versagen beruhen.
Die Anerkennungsgegner haben damit argumentiert, daß eine Anerkennung riesige Erwartungen speziell in Kroatien wecken würden. Werden den Botschaftern aus Westeuropa tatsächlich Waffen und Soldaten folgen?
Ich halte das für ein unglaublich blödsinniges Argument. Die Anerkennung gibt keinen Anspruch auf irgendeine Form von Hilfe. Die Unehrlichkeit dieser Argumentation sieht man daran, daß dieselben Regierungen, die auf diesen Erwartungshorizont verweisen, selbst mit den Gedanken von Pufferarmeen und WEU-Einsatztruppen herumspielen.
Was wird bis zum 15. Januar im ehemaligen Jugoslawien passieren?
Wenn die Herren Generäle mildtätig gestimmt sind und ein Leutnant nicht wieder für die Zerstörung einer Stadt (Beispiel Dubrovnik) verantwortlich gemacht werden kann, kann es Ruhe geben. Es kann aber auch passieren, daß die EG-Staaten am 15. Januar nur noch Ruinen und Leichen anerkennen.
Was bedeutet der in Brüssel aufgestellte Kriterienkatalog für andere, neue Staaten in Europa?
Die europäischen Regierungen haben bisher mit ihrer Haltung gegenüber Slowenien und Kroatien einer Jugoslawisierung der Sowjetunion Vorschub geleistet. Interview: Dorothea Hahn
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