: „Ein bisschen Eisenstein“
Das Sommertheater-Festival widmet sich dieses Jahr Osteuropa – Ein Gespräch mit den beiden Gründern des Festivals ■ Von Ralf Poerschke
Sommertheater-Festival, das Vorletzte: Vom 20. August bis zum 11. September gastieren 19 Compagnien aus 11 Ländern auf Kampnagel und anderen Hamburger Bühnen. „Wo ist Osten?“ lautet das diesjährige Motto, den Schwerpunkt bilden Tanztheater, Musiker und Performer aus dem ehemaligen Ostblock. Dabei sind aber auch West-Stars, wie die Kanadier La La La Human Steps und eine neue Produktion von Barbara Neureiter. Die taz hamburg sprach mit den Festivalleitern Dieter Jaenicke und Gabriele Naumann.
taz: Wo ist denn nun der Osten?
Jaenicke: Die Frage ist ja bewusst so gestellt, dass sie erst mal ein bisschen verwundert, denn wenn man in den Atlas guckt, ist klar: Osten ist da irgendwie rechts. Aber jeder, der sich mit dem Osten etwas intensiver beschäftigt, merkt schnell, daß die Frage so einfach nicht zu beantworten ist – auch von uns nicht. Es gibt eigentlich keine sinnvoll zu ziehende historisch-kulturell-geographische Grenze zwischen dem Osten und dem Wes-ten. Hinzu kommt: In Polen, Tschechien, Slowenien und Ungarn legt man Wert darauf, zu Zentraleuropa zu zählen, Balten sehen sich eher nordisch, und Südosteuropäer legen den Schwerpunkt auf „Süd“. Keiner will so recht zum Osten gehören. Die Frage „Wo ist Osten“ zielt in ihrem Doppelsinn aber auch dahin: Wo ist der Stand des Theaters „im Osten“?
Die Theatertraditionen – man denke an Russland – sind ja in diesen Ländern sehr stark.
Jaenicke: Wir haben uns natürlich bemüht, jene Entwicklungen im Theater aufzuspüren, die sich nicht allein aus diesen Traditionen begründen, und sind dabei auf sehr interessante Compagnien gestoßen, die neue, eigene Wege gehen. Aber man sollte keinesfalls den Fehler machen, hier Vergleiche mit der westlichen Avantgarde anzustellen. So viel konnte sich in zehn Jahren nicht verändern – vor allem, weil durch die Wende die gesellschaftlichen Verhältnisse in den meisten östlichen Ländern nicht besser geworden sind, sondern viel, viel schlimmer. Für den kulturellen Bereich, der erst mal nichts einbringt, sondern nur kostet, und aus dem zuvor gut abgesicherten Sys-tem herausgefallen ist, bedeutet das eine Katastrophe. Und das Spannende daran ist eben: Was passiert unter diesen Bedingungen der Katastrophe.
Aber geht es nicht doch besonders für das Tanztheater darum, einen Rückstand dem Westen gegenüber aufzuholen?
Jaenicke: Ich hoffe nicht, denn dieses Rennen wäre von vornherein verloren. Ich glaube, es gibt auch genug Selbstbewusstsein, das gar nicht erst zu versuchen. Und dieses Selbstbewusstsein speist sich gerade aus den großen Traditionen, die das osteuropäische Theater hat.
Also geht es zunächst um die Reflexion der eigenen Geschichte?
Jaenicke: Oft ist das so. Peeter Jalakas aus Estland etwa stellt in einem relativ einfachen Computer-animations-Programm quasi die gesamte estnische Geschichte dar, versehen mit sehr ironischen Kommentaren. Bei der Produktion „Far From Sleeping Dogs“ von Iztok Kovacs Performance-Gruppe En-Knap kommt wiederum ein ganz anderer historischer Aspekt hinein: so eine Industrieromantik, fast ein bisschen Eisenstein-Ästhetik. Kovac verwendet viel filmisches Archivmaterial und setzt sich so, durchaus nostalgierend, mit der eigenen Geschichte auseinander. Und ich finde, man muss ihnen diese Wehmut auch erlauben.
Wird sich denn Christina Weiss, die das Internationale Sommertheater-Festival nach zwölf Jahren ja quasi im Handstreich abgeschafft hat, auf die Veranstaltungen trauen?
Jaenicke: Doch, das wird sie.
Naumann: Ich hoffe, dass deine Kultursenatorin, die uns seit Anbeginn öffentlich und herzlich unterstützt hat, sich in einer Zeit, da sie andere Entscheidungen getroffen hat, nicht einfach nicht mehr hierher bewegt.
Bei Ihrer Erfahrung wäre es doch eigentlich schade, wenn das Festival nicht vielleicht an einem anderen Ort in ähnlicher Form weitergeführt würde.
Naumann: Die Hammoniale versucht ja jetzt, nach Berlin zu gehen, aber für uns steht eine solche Debatte im Moment nicht an. Ob man dann irgendwann doch noch mal ein Festival macht, ist eine andere Frage. Die Welt ist ja groß.
Jaenicke: Man kann ein Festival auch nicht einfach so hin und her transportieren.
Naumann: Dinge haben mitunter ein Profil, weil sie an einem bestimmten Ort gewachsen sind. Ich glaube nicht, wie manche anderen Leute, dass Festivals nur über die Festivalitis entstehen. Darin steckt ein großes Missverständnis.
Der Vorverkauf läuft. Infos unter Tel.: 27 09 49 49 oder 300 51 370
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