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Ein alljährlicher Plausch mit den Überlebenden

■ Gedanken über Befreiung macht sich in Frankreich nur noch ein schrumpfender Kreis von Kriegsveteranen / Ihre Existenz freilich erinnert an die „Grande Nation“

Im Mai geht's den Franzosen besonders gut. Das liegt vor allem an der Häufung gesetzlicher Feiertage, die den Monat auf das angenehmste verkürzen. Er beginnt mit dem Fest der Arbeit, führt über den Tag der deutschen Kapitulation von 1945 und hat kurz vor Ende noch Christi Himmelfahrt. In diesem Jahr handelt es sich dabei um zwei Montage und einen Donnerstag, weshalb, quasi automatisch, drei lange Wochenenden daraus werden. Für die meisten Franzosen, zumal der jüngeren Generation, ist die Bedeutung des 8. Mai – „Sieg 1945“, wie die Kalender notieren – und des 11. November – „Waffenstillstand 1918“ – damit auch schon erschöpft: ein paar arbeits- oder schulfreie Stunden. Gedanken an Deutschland, an die beiden Weltkriege und an ihre Toten macht sich an diesen beiden Tagen nur noch ein ständig schrumpfender Kreis von Franzosen: die „Veteranen“.

Am 8. Mai und am 11. November legen die Veteranen ihre Medaillen an. Sie stülpen sich blau- weiß-rote Schärpen über die Brust, holen die Trikolore samt Stange aus dem Schrank und gehen zu dem „Denkmal für die Gefallenen für das Vaterland“, das in keiner französischen Ortschaft fehlt. Zu den Klängen der Marseillaise legen sie Blumen für ihre alten Kameraden nieder und nutzen die Gelegenheit zum alljährlichen Plausch mit den Überlebenden. Gleichzeitig legt der Staatspräsident einen Kranz auf das Grab für den unbekannten Soldaten unter dem Arc de Triomphe in Paris.

Ein paar Kameraleute schießen Bilder von dem zentralen Pariser Ereignis. Die Medien berichten kurz darüber, und damit ist dem Gedenken in der Regel Genüge getan. Jedes böse Wort über „die Deutschen“ – oder „les boches“, wie sie bis in die 70er Jahre hinein noch im häßlichen Kriegsjargon genannt wurden – wird vermieden. Größer ist der Rummel nur, wenn es sich um einen runden Jahrestag handelt, wie bei dem diesjährigen 8. Mai, zu dem zahlreiche ausländische Regierungschefs erwartet werden und bei dem François Mitterrand ein letztes Mal Gastgeber sein wird, bevor er das Präsidentenamt an seinen Nachfolger übergeben muß.

Kurz nach seinem Amtsantritt vor 14 Jahren hat der Sozialist Mitterrand das Zeremoniell um den 8. Mai entscheidend bereichert. Nachdem sein Vorgänger, der konservative Deutschland-Freund Valéry Giscard d'Estaing den Gedenktag gestrichen hatte, verwandelte Mitterrand, der einstige Veteranenminister, ihn in einen gesetzlichen Feiertag. Dabei ist es geblieben. Heute spricht niemand von einer eventuellen Streichung der beiden Feiertage.

Die „Veteranen“, von denen die Überlebenden der ersten Generation inzwischen alle ihren 90. Geburtstag überschritten haben, sind, nach politischen Neigungen getrennt, weiterhin in Vereinen organisiert. Um ihre besonderen Bedürfnisse – ihre Renten, ihre kostenlosen Tickets, ihre Altersheime und ihre Nachfahren – kümmert sich auch heute noch ein eigenes Ministerium, das zusätzlich zu den Veteranen der beiden Weltkriege auch diejenigen der späteren französischen Kolonialkriege betreut. Die „Veteranen“ oder „Anciens Combattants“ sind nicht nur eine der stärksten Pressure-Groups im modernen Frankreich. Sie sind lebendige Geschichtsmonumente für die Schlacht von Verdun und die mutigen Taten der Résistance. Ihre Existenz erinnert an die Größe der Nation – an das Vaterland, auf das es stolz zu sein gilt, und das, bewaffnet versteht sich, verteidigt werden muß. Dorothea Hahn, Paris

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