: Ein Zirkus auf neuen Wegen
■ »Wenn der holde Frühling glänzt«: Gosh — Artistik und Rock im Tempodrom
Zirkus kann so langweilig sein wie Pommes mit Mayo. Schon nach wenigen Minuten hängt dem Zuschauer die Dramaturgie der Auftritte zwischen Milz und Niere: Vorspiel, Trommelwirbel, Höhepunkt, Trötenmusik, Abgang. Da hilft es wenig, wenn der Jongleur mit 19 Bällen hantiert oder der Elefant auf seinem Rüssel steht. Sensationen ermüden, wenn sie nur um der Sensation willen dargeboten werden. »Gosh« geht andere Wege, und die sind spritzig, spannend, überraschend.
Michel Dallaiere ist es gelungen, ein lebendiges Konzept zu entwickeln, das Zirkus, Artistik und Theater in eine Show integriert, die den Zuschauer an seinen Sinnesorganen packt und in eine zauberhafte Welt zieht, in der gelacht, geliebt und gelitten wird. Gosh ist so überzeugend, weil die Akteure feste Rollen einnehmen, die sie zwei Stunden lang durchhalten. Unabhängig von den artistischen oder musikalischen Aktionen gbt es ein Beziehungsgeflecht zwischen den Darstellern, ein unterhaltsames Wirrwarr von Liebesdramen, Geilheit und Eitelkeiten.
Da ist zum Beispiel die rührende Verliebtheit des Bassisten (Helmut Nünning) zu der schönen Akrobatin (Christine Ritter). Sie versucht sich mehrmals in der Musik, doch alle Bemühungen sind vergebens: ihre Tanzschritte sind unbeholfen, die Sangeskunst reicht zu einem kläglichen »Tupituptup«. Macht nix. Der Vollblutmusiker honoriert ihre Bemühungen, in seine Welt vorzustoßen, mit schmachtenden Blicken und der leidgeprüften Haltung eines Frischverliebten. Das Publikum spürt die heiter-melancholische und dennoch ausweglose Situation und beklatscht jede hilflos tapsige Aktion der durch und durch unmusikalischen Frau. Detlef Winterberg, ein Clown und Tänzer, kämpft gleich an zwei Fronten. Der cholerische Zappelphillip stampft und tobt gegen die Pop- und Jazzrhythmen der Gosh- Band, um eine stille Atmosphäre für seine Zaubertricks zu schaffen. Dann funkt ihm auch noch ein quietschendes, hüpfendes, penetrant frohgelauntes Wesen dazwischen, eine extrovertierte Rotzgöre (Sabine Rieck), die alles besser kann und den sensiblen Künstler in den Wahnsinn zu treiben droht.
Bei Gosh geht es drunter und drüber, die Bühne hat Platz für gleich drei oder vier Szenen. Wer keine Trapezkünstler mag, sieht sich eben Katrin Mlynek an, die gerade als Frosch in einem Blumenbeet herumhüpft. Oder den Tanz einer haarigen Ballerina (Ramon Fernandez). Ein Star des Abends ist zweifelsohne Martin van Bracht. Der glatzköpfige Akrobat und Tänzer überzeugt vor allem in seinen komischen Rollen als selbst- und weltverliebter Blumenfreund, ein kraftstrotzender Optimist, der die Welt zärtlich in seinen Armen hält.
Es dauert lange, bis der Sunnyboy sein Credo von liebenswert naivem Schmalz durchsetzt: »Wenn der holde Frühling glänzt/ und man sich ein Blümlein lenzt/ und sich mit frischem Mut/ Schnittlauch in das Rührei tut/ kreisen durch des Menschen Säfte/ neue ungeahnte Kräfte/jegliche Verstopfung weicht/ alle Herzen werden leicht/ und das meine fragt sich still/ ob mich dies Jahr einer will?« Noch will keiner ran an den Mann, so muß er oft mit einem stillen Freund vorlieb nehmen, einer streng dreinblickenden Schaufensterpuppe.
Gosh hat die Zirkusmusik von ihrem altväterlichen Schmier befreit und sie dahin geholt, wo sie hingehört: ins Rampenlicht. Fünf exzellente Rockmusiker powern als eigenständiges Element in das Spektakel. Florian Appl hat die meisten Nummern komponiert, der Bogen spannt sich von Mozartanleihen bis zum Rock'n'Roll. Ständig quaken die Fünf den Artisten und Clowns dazwischen, bringen sie zur Weißglut. Hämisch kommentieren sie die Show des Jongleurs »He's got big balls!«, ein schräger Tango bringt zwei Liebeswillige aus der Fassung. Da ist als running gag der Blumenfreund, der seine Mitspieler von der Flower-Power überzeugen will, oder die Haßliebe des Zauberers zur Saxophonistin. Schnell sind dem Zuschauer die Hoffnungen und Nöte der Akteure so vertraut wie die eigenen Probleme, es bleibt eine familiäre Atmosphäre.
Gewiß, Gosh hat auch seine Schwächen. Einige Figuren des Jongleurs hat man schon x-mal in der Hasenheide gesehen, ab und zu produzieren die Schauspieler ein Chaos, das auf keine Pointe hinausläuft, sondern nur Verwirrung hervorruft. Aber die ganze Show geht in einem solch rasanten Tempo über die Bühne, daß diese kleinen Hänger kaum auffallen. Höhepunkt der akrobatischen Nummern ist der Auftritt von Katrin Mlynek und Christine Ritter, die an der Loge ein Glanzstück zeigen. Das kann man nicht beschreiben, das muß man gesehen haben. Werner
Gosh, Artistic in Concert bis 16. Juni, um 20.30Uhr (außer Mo. und 28./29.Mai), Tempodrom
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