Ein Tag mit dem Papst und seinen Kritikern: Mannigfaltig zur Dreifaltigkeit
Benedikt kommt nach Berlin und wird im Olympiastadion gefeiert. Andernorts bildet sich Protest - bunt, nachdenklich, nackt und mit klaren Botschaften.
Auf Schleichwegen zum Nickerchen
Keine Kunden, überall Polizei, aber die Straßen sind sauber wie nie. Der Inhaber des Harley-Davidson-Ladens in der Blücherstraße nimmts mit Humor: Am Morgen war die BSR noch mal mit dem Staubsauger unterwegs, erzählt er. "Die Grashalme stehen noch in Schräglage".
Rund um den Südstern herrscht absolutes Halteverbot. Ohne parkende Autos wirken die Straßen viel breiter. Die Lilienthalstraße, in der sich die Apostolische Nuntiatur befindet, ist weiträumig abgesperrt. Hinter den Gittern stehen Polizisten mit Knöpfchen im Ohr. Am frühen Nachmittag wird die Sicherheitstufe noch mal erhöht. Selbst Anwohner werden nun nicht mehr in die Straße gelassen. Eine Frau droht entnervt damit, Strafanzeige zu erstatten. Andere nehmen es fatalistisch. Plötzlich Hubschrauberlärm am Himmel. Seine Heiligkeit naht, um in der Nuntiatur ein Nickerchen zu machen. Anschließend geht es in den Bundestag. Die Frage ist: Über welche Route kommt er? Die Polizisten behaupten, nicht mal sie wüssten es.
Plötzlich ist der Südstern totenstill. Nicht mal Fußgänger dürfen die Fahrbahn passieren. Hilfesuchend wendet sich eine Radfahrerin an den Beamten, der ihr Weg blockiert. Wie sie jetzt zum Hermannplatz komme? "Keine Ahnung", antwortet der. "Ich kenne mich selbst nicht aus. Ich komme aus Köln".
Dann entspannen sich die Gesichter der Beamten. Der Verkehr rollt wieder. Die wenigen Schaulustigen zerstreuen sich. Der Papst ist von hinten, über den Columbiadamm, in die Nuntiatur geschlüpft. Nicht mal das SAT1-Team von Johannes Kerner, das den Auftrag hat, "ganz nah ran" zu gehen, hat ihn vor die Linse gekriegt. Aber immerhin die in 300 Metern Entfernung in der Lilienthalstraße stehenden schwarzen Limousinen seiner Entourage.
Eine gute Stunde später geht es von der Nuntiatur in den Bundestag. Wieder wählt der Konvoi den Hinterausgang über die Golßener Straße. Schaulustige gibt es hier überhaupt keine. Eine alte Frau mit Hund, die nicht weiter darf, schimpft empört: "Die ganze Bagage sollte man auf den Mond schießen." Und da ist der Konvoi: 20, 30 schwarze Autos, gefolgt von einem Krankenwagen. In einer der Limousinen ein kleiner Mann mit weißem Käppi. Angestrengt schaut er nach vorn. Die Frau ist bereits grummelnd davongestapft. Dabei war sie ganz nah dran. PLU
Opfer schicken Papst in JVA
Von Schwester Clara Candida möchte man nicht erzogen werden: Die grimmige, schwarz gekleidete Nonne hält in der linken Hand einen Prügelstock, in der rechten ein Kruzifix. Zum Glück ist Candida nur aus Pappmaschee. "Nie wieder!" steht auf ihrer Brust. Die Menschen, die das Schreckgespenst tragen, haben Nonnen wie sie erlebt. In kirchlichen Kinderheimen und Internaten, auf Jugendfahrten und im Konfirmationsunterricht. "14 Jahre Heimerziehung durch Nonnen - danach sind Sie ein kaputter Mensch", sagt ein Vertreter der Organisation Ehemalige Heimkinder e. V. Das Logo auf seinem T-Shirt zeigt ein weinendes Kind, das sich den Finger zum Schweigen an die Lippen legt.
Zu einer Schweigekundgebung haben sich am Donnerstagmittag mehrere Gruppen zusammengefunden, die Gewalt-und Missbrauchsopfer von Geistlichen vertreten. Die Anliegen sind unterschiedlich. Die einen fordern eine Abschaffung der Verjährungsfrist für sexuellen Missbrauch, andere wollen für den Papst beten, auf dass ihn der Heilige Geist endlich zur konsequenten Aufarbeitung der Missbrauchsfälle in den eigenen Reihen bewege. Manchen reicht Beten nicht. "Justizvollzugsanstalt Moabit" steht auf einem Wegweiser, den Matthias Bubel gebastelt hat. Den Papst würde er gern hinter Gittern sehen, "weil das Decken von Tätern eine Straftat ist". Bubel wurde als 12-Jähriger von einem Jesuiten sexuelle Gewalt angetan. Der Zorn hat ihn zum Brandenburger Tor getrieben - wie etwa 50 andere, die Transparente tragen, Flugblätter verteilen. Oder einfach reden. Weil es Morddrohungen im Vorfeld gab, habe man zwar auf geplante Redebeiträge verzichtet, sagt einer der Veranstalter. Trotz des massiven Polizeiaufgebots wollen sich die Betroffenen aber die Öffentlichkeit nicht verbieten lassen. API
An ihren gelben Schals sollt ihr sie erkennen
Das junge Paar aus Hamburg freut sich seit Wochen auf den Papst. "Unsere Geschichte ist eng mit der katholischen Kirche verbunden, wir haben uns auf Weltjugendtagen kennengelernt", sagt die schlanke Frau. Auf die Frage, ob sie auch Thesen und Werte des Papstes teile, nickt sie und fährt begeistert fort: "Wir liegen ganz auf seiner Linie, wir sind keusch in die Ehe und tragen jetzt die Früchte." Was das genau bedeutet, kann die Frau nicht mehr erklären. Sie hat ihre Gruppe entdeckt, das Paar reiht sich eilig in den Menschenstrom Richtung Olympiastadion ein.
Donnerstagnachmittag vor dem Stadion, in wenigen Stunden soll der Papst hier die Messe feiern. Die Stimmung changiert zwischen Familienausflug und Glaubensversammlung. Väter wedeln mit Vatikan-Fähnchen, Anhänger einer Kongregation aus Polen haben ein Banner ihres Ordens gespannt. Schülergruppen treffen ein, hörbar tief aus Bayern. Nicht alle sind so radikal wie das Hamburger Paar.
"Wir gehen auf eine katholische Schule und sehen das als Ausflug", sagt ein Mädchen aus Regensburg. "Das ist halt das Kirchenoberhaupt." Dessen Thesen teilt sie eher nicht. "Jeder soll das leben, was er möchte", sagt sie, auf die katholische Sexualmoral angesprochen. Ihre Lehrerin kommt hinzu. "Wir sind schon kritisch, gell?", wirft sie ein.
Die Regensburger sind im Menschenstrom leicht zu erkennen: Sie tragen gelbe Papstschals. "Die gabs im Bus", sagt ein Mann. In einem der dutzenden Busse offenbar, die sich die Olympische Straße hinunter bis zur Reichsstraße reihen. Den Kennzeichen nach kommen die Papstfans aus ganz Deutschland, viele auch aus Polen. "Um acht ging es los", sagt der junge Mann, der in einem weißen Zelt hinter einem Biertisch sitzt und Eintrittskarten ausgibt. Sie kosten nichts, mussten aber reserviert werden. "Ich bin am Ende meiner Kräfte, ich weiß nicht, ob ich es noch bis in den Gottesdienst schaffe." Der Mann sieht erschöpft aus. PEZ
Im Popomobil zur Kathedrale
Das Popomobil geht in der Demo-Masse fast unter. Das Pappmachee-Wägelchen, ein riesiger, orangener Hintern, wird von der Queer-Gruppe der HU Berlin geschoben. "Weil sich die Sexualfeindlichkeit des Papstes immer wieder auf schwulen Geschlechtsverkehr konzentriert", erklärt ein Student mit rotgefärbten Haaren. Er stehe da eher für die "Freiheit von Religion".
Bei dem Popomobil bleibt es nicht: Falsche, verkleidete Päpste, Nonnen und Mönche. Eine große Nonnenfigur mit Prügelstock, auf einer Schulter sitzt eine Gummipuppe. Dazu Regenbogenfahnen, aufgeblasene Kondome. Es riecht nach Weihrauch. "Wo sind die Mösen in den Diözesen?", "Ratze, go home", steht auf Schildern. Es ist ein wahrlich bunter Haufen, der sich am Donnerstagnachmittag am Potsdamer Platz sammelt, um gegen den Papst zu demonstrieren.
Bereits seit Monaten hatte ein Bündnis aus 70 Gruppen zu der Großdemo mobilisiert - vom CSD e. V. bis zum DGB. Der Papst könne seine Messen halten, sagt eine Frau. Aber im Bundestag habe er nichts zu suchen. Das gebiete die Trennung von Kirche und Staat. Drei Schüler auf Klassenfahrt schnappen sich ein Banner: "Wie kann man heute noch gegen Kondome sein?", fragt einer.
Auf dem großen, schwarzen Demo-Truck ernten zwei schwule, katholische Expfarrer Applaus. Ebenso wie grüne und linke Bundestagsabgeordnete, die die Papstrede boykottiert hatten. Dann wird es still, eine Schweigeminute für kürzlich verstorbene Aidstote. Mit einiger Verspätung zieht der Tross los, mit Ziel katholische Hedwigskathedrale am Bebelplatz.
Zwischen Grünen-Fahnen läuft Thomas Birk mit blauem Püschel am Handgelenk. "Die offene Homophobie des Vatikans ist unerträglich", schimpft der schwule Abgeordnete aus Tempelhof. Dass sein Parteikollege Benedikt Lux mal eine Platzbenennung nach Papst Johannes Paul II. gefordert hat: Nun ja, das sei eine Einzelmeinung in der Partei gewesen. KO
"Hase unser" auf der Brücke
Junge Menschen in Weiß begrüßen sich mit "Liebe sei mit dir!" auf der Oberbaumbrücke. Sie tragen Kreuze um den Hals, einige betrinken sich fröhlich mit Bier und Schnaps. Die Hedonistische Internationale, eine Bewegung, die Protest mit Spaß verbinden will, hat anlässlich des Papstbesuchs einen Laienorden gegründet: die "Legion der Hingabe". Ihr Motto ist "Wir wollen nicht denken, Du sollst uns lenken!", ihr Objekt der Verehrung der "Helium-Hase". Dazu gibt es das passende "Hase Unser".
Ein weißer Altar mit goldenen Kreuzen, der offensichtlich auf einen Bollerwagen gezimmert wurde, wird angekarrt. Unter dem Altar befinden sich Boxen, aus denen Kirchenchöre tönen. "Gestern war Generalprobe, und vor einer Woche haben wir uns zum ersten Mal getroffen", sagt Hedonistin Lotta. Bevor die Hedonistische Internationale sie gewonnen hatte, war Lotta bei politischen Menschen immer die Hedonistin gewesen, bei den Hedonisten aber die Politische.
Niels muss sich vor dem Altar etwas Mut antrinken, denn die Hedonistische Internationale hat noch einiges vor, bis der Papst kommt. Sie beten und singen im Chor "Dona nobis Hase", versuchen sich als Missionare und teilen Beitrittserklärungen an Passanten aus, werfen sich auf den Boden und rollen schließlich ihren Altar in die U 12 Richtung Olympiastadion.
Auf der Fahrt zur Messe entwickeln sich freundschaftliche Bekehrungsversuche zwischen Mitgliedern der "Legion der Hingabe" und anderen Gottesdienstbesuchern. Eine Glaubensgemeinsamkeit ist etwa, dass der Papst unfehlbar ist. Auf dem Vorplatz des Stadions dann stehen die Hedonisten unter Gläubigen, die sie misstrauisch beäugen. "Haben die gerade "Samen" gesagt?", fragt ein Mann im Papstpulli. ALI
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