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Ein Sohn über seine demenzkranke Mutter"Das ist ganz krass, wenn sie weint"

Martin Brömer ist 49 Jahre alt, ein frühpensionierter Postbeamter. Seine Mutter ist 79. Sie vergisst, immer mehr – wie 1,2 Millionen Deutsche. Er hält das kaum aus. Ein Protokoll.

1,2 Millionen Deutsche sind demenzkrank. Das Gehirn wird nicht mehr richtig durchblutet – und sie vergessen immer mehr. Bild: dpa

Es ist ja jetzt so gekommen, wie wir das überhaupt nicht geplant hatten. Vor einem Jahr haben wir noch Weihnachten gefeiert. In den Monaten danach kam das alles so knallhart auf mich und meine Mutter zu.

Es war ein Mittwoch im Januar. Meine Mutter rief an: Komm sofort! Das Blut war in der ganzen Küche verschmiert. Sie war mit dem Kopf gegen den Schrank gebollert. Im Krankenhaus haben sie gesagt: Ihre Mutter hat Schwindelattacken wegen der Durchblutungsstörungen im Gehirn. Sie hat Demenz.

Ich habe mittlerweile einige Bücher dazu überflogen. Das Gehirn wird nicht mehr richtig durchblutet. Die Leute haben Schwierigkeiten, sich zu artikulieren, manche erkennen Verwandte nicht mehr.

Meine Mutter wollte nicht mehr essen. Die füttern mich hier nicht, sagte sie im Krankenhaus. Ich habe ihr das geglaubt. Die Schwestern bestritten es. Also habe ich es selber versucht. Ich reichte ihr den Löffel, sie pustete es wieder raus. Ich sagte: Mama, du musst das essen, sonst kommst du hier gar nicht mehr raus. In dem Moment musste ich so krass sein, sonst hätte sie das nicht verstanden. - Hol mich hier raus, hat sie gesagt. Ich blieb so lange, bis sie die Hälfte gegessen hatte. Zwischendurch habe ich sie gestreichelt.

Nach dem Krankenhaus sollte ich eine ambulante Betreuung in ihrer Wohnung organisieren. Ich hatte es versprochen. Dann ging alles schief. Sie war nur ganz kurz alleine zu Hause. Morgens um halb acht habe ich sie leblos auf dem Teppich gefunden. Sie war vom Sofa gefallen und lag da - in ihrem Erbrochenen. Sechs Feuerwehrleute haben sie gepackt und in einen Rollstuhl gehoben. Sie sah so eingefallen aus. Ich dachte: Ist das meine Mutter? Da war mir klar, dass sie ins Heim muss.

Mein Bruder ist fünf Jahre älter als ich, ein uriger Typ, ganz sachlich. Er lebt in Detmold, hat eine eigene Familie und kümmert sich am Telefon um uns. Als er unsere Mutter zum ersten Mal besucht hat, musste er weinen wie ein Schlosshund.

Ich habe meine Besuche im Heim jetzt auf donnerstags und sonntags reduziert. Mehr hat mich nervlich zu sehr mitgenommen. Ganz, ganz krass ist der Abschied. Was mach ich denn jetzt hier alleine, fragt sie da. Das ist ganz krass, wenn sie weint. Ich versuche ihr in diesen zwei Besuchsstunden alles zu geben, was ich kann. Die Liebe, die sie braucht. Danach bin ich fertig wien Brötchen.

Es sind immer dieselben Sätze: Die nehmen mich nicht für voll. Ich will nach Hause. Ich streichle sie: Aber du bist jetzt hier zu Hause. Dann sagt sie: Oh, nein! Das weiß ich ja alles gar nicht. Donnerstag für Donnerstag, Sonntag für Sonntag. Ich muss erkennen: Das ist meine Mama. Die war früher immer für mich da. Jetzt bin ich vom Vormundschaftsgericht zum Betreuer ernannt.

Wir gehen spazieren, und meine Mutter sagt: Ich bin achthundertachtundachtzigneunundvierzig. Ich sage: Versuch es noch mal. Wenn es nicht klappt, auch in Ordnung. Dann setzt sie an: Martin, ich … Nein, ich … Nein, nein, nein. Meistens gehe ich um halb fünf.

Bild: taz

***Opentaz***

Der Wunsch: Martin Brömer mailte uns: "Meine 79-jährige Mutter leidet an Demenz. Mein Thema: Wie kann diese Krankheit bekämpft und angenommen werden?"

Der Weg: Worüber würden Sie gerne etwas in der taz lesen? Was können wir für Sie recherchieren? Schicken Sie Ihre Anregung bitte per Mail an open@taz.de oder mit der Post an: die tageszeitung, Sebastian Heiser, Rudi-Dutschke-Straße 23, 10969 Berlin.

Dass meine Mutter noch lebt, verdanke ich dem Seniorenheim der Arbeiterwohlfahrt. Wahnsinn, mit welcher Nächstenliebe die ihre Arbeit machen. Irgendwann haben mich die Pfleger ins Dienstzimmer gebeten und sagten: Wenn Sie nicht loslassen, kommt Ihre Mutter nie hier an. Ich hatte ihr doch versprochen, zu Hause für sie zu sorgen. Dieses Versprechen hatte ich gebrochen. Ich bin weinend durch den Wald marschiert: Was tust du deiner Mutter an? Mein Bruder hat gesagt: Vergiss diesen Schwur! Für deine Mutter ist jetzt das Seniorenheim zuständig. Dann bekam ich eine schwere Bronchitis und war ans Bett gefesselt. Da habe ich erst gemerkt, wie gut mir diese Ruhe tut.

Mein Bruder sagt: Du musst damit rechnen, dass sie dich irgendwann nicht mehr erkennt. Es wäre ein harter Schlag. Aber damit muss ich klarkommen. Ein Pfleger sagt: Ihre Mutter will geliebt werden. Sie sollten darauf achten, sich nicht zu sehr vereinnahmen zu lassen. Sonst gehen auch Sie vor die Hunde.

PROTOKOLL: JOHANNES GERNERT

Dieser Text – und zusätzlich ein Interview mit einer Pflegeforscherin zum Thema Demenz – erscheint auch in der sonntaz vom 4./5. Dezember 2010. Ab sofort mit noch mehr Seiten, mehr Reportagen, Interviews und neuen Formaten. Die sonntaz kommt jetzt auch zu Ihnen nach Hause: per Wochenendabo.

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5 Kommentare

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  • I
    Irene

    Was für ein Weichei. Von einer frühpensionierten 49-jährigen Frau würde die Gesellschaft erwarten, dass sie ihre Mutte zuhause pflegt.

     

    "Ich habe meine Besuche im Heim jetzt auf donnerstags und sonntags reduziert. Mehr hat mich nervlich zu sehr mitgenommen."

     

    Ich, ich, ich.., zwei mal in der Woche zwei Stunden wird er es wohl noch aushalten. Die A..karte hat ja vor allem die Mutter.

  • M
    Martin

    Ich kann die Erfahrungen nur bestätigen. Als mein Vater erste Anzeichen zeigt, etwa 1995 da war ich knapp 17 Jahre. Meine Mutter ist 1986 gestorben, die Familie ohnehin klein und zerstritten. Damit stand ich recht bald mit der Situation alleine da. Behörden haben mein Anliegen nach einem Besuch durch einen Arzt recht Schulterzuckend hingenommen. Mein Vater sein noch gesund genug. Da er Spieler war verlor er jegliche Kontrolle über sein Verhalten und verspielte seine (doch beachtliche) Pension immer schneller. Mit der Zeit konnte er immer weniger ohne Hilfe erledigen. Die Autoschlüssel hatte ich ihm nach mehreren Vorkommnissen abgenommen. Das Abi habe ich mit Hängen und Würgen bestanden. Obwohl die Lehrer mich wegen der nachlassende Leistung nach privaten Problemen fragten, vertraute ich mich niemandem an. Es war ein Fehler sich für dafür zu schämen, aber es war halt so. Soziale Kontakte brachen weitestgehend ab oder wurden sorgfältig vom Zuhause fern gehalten. Da war ich der bemühte Vormund und ungeschickte Pfleger für meinen Vater.

    Ich schrieb mich in die örtliche Uni ein, eher als Alibi denn aus Überzeugung. (Dieses Studium habe ich nicht zum Ende gebracht.) Etwa im zweiten oder dritten Semester war die Situation endgültig nicht mehr durch mich zu managen. Mein Vater fand sich im Haus ohnehin nicht mehr zurecht und verlief sich auf dem Weg zur Toilette, oder er versuchte mit dem voll aufgedrehten Herd das Haus zu heizen. Als er zusätzlich schwer Gicht bekam und selbst mit Hilfe nicht mehr laufen, geschweige denn Treffen steigen, konnte – man kann ich die Folgen vorstellen. Alleine konnte ich einen sich teilweise wehrenden 100kg Mann nicht heben – auch nicht aufs Klo. Ich konnte ihn schweren Herzens zwangsweise in ein Krankenhaus einweisen lassen – von da kam er in eine Nervenklinik und danach in ein Pflege heim. Hier baute er sehr schnell ab – bis er nur noch liegen und starren konnte. Beschreibungen der Druckmethoden des Pflegeheims lasse ich hier weg. Um ein Menschenwürdiges Ableben ging es der Heimleitung jedenfalls nicht. Ich habe auch Schuldgefühle, dass ich keine Kraft mehr hatte. Lange Zeit. Aber auch nicht, um mich um mich selbst zu kümmern, geschweige denn so bald gegen das Heim anzugehen. Schließlich ermöglichte ich es ihm doch zu gehen - mithilfe einer Freundin und besonders eines Anwalts.

    Ich wünsche allen Demenzkranken und ihren Angehörigen Liebe und Kraft (auch Kraft der Liebe). Gemeinsam kann man die Situation sicherlich leichter ertragen.

    DAS GEHT AN ALLE: Fertigt eine Vorsorgevollmacht in Absprache mit euren Angehörigen/Partner/Freunden an!

  • HD
    Hans Dampf

    Frühpesioniert, also in diesem Fall noch Glück im Unglück. Weh denen, die demenzkrank werden, und deren Angehörige keine Zeit haben, weil sie bis 67+ arbeiten dürfen.

  • A
    Anselm

    Lieber Martin Brömer,

    ich kann ihre Worte sehr gut nachvollziehen, auch ich habe eine pflegebedürftige Mutter. Am schlimmsten sind die Schuldgefühle, wenn sie weint oder schreit. Wer will denn schon, dass es seiner Mutter so geht? Es ist so unendlich schwer, das wegzuschieben und sich an sich selber heranzuschieben. Was bringt es denn, und wem, wenn man sich selbst kaputt macht? Der innere Konflikt, den man da mit sich austrägt, ist nur lösbar durch den Zuspruch Dritter. Es tut so gut, wenn jemand sagt "das musst du nicht tun, du musst jetzt an dich denken" oder "keiner erwartet das von dir und sie kann es auch nicht". Wer nicht in dieser Lage ist, kann sich kein richtiges Urteil darüber bilden. Umso wichtiger ist es, liebe Menschen um einen zu haben, die einem immer wieder einbläuen, dass es auch um einen selber geht. Kopf hoch, Martin Brömer, Sie haben keinen Grund schlecht von sich zu denken. Und ich auch nicht.

    Herzlichst Ihr Anselm

  • D
    Defmob

    Danke für diesen Artikel. Wohltuend, diese Ehrlichkeit, im Gegensatz zu den "Welterklärern" und "Meinungsführern", die man sonst hier findet. Meine Eltern werden auch älter, und ich habe gelegentlich Angst um sie. Ich wünsche dem Erzähler alles Beste.