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geiseln freigelassenEin Sieg für den Terrorismus

Es waren Bilder, die rührten: die Freilassung von weiteren fünf Geiseln auf der philippinischen Insel Jolo. Vier Monate währt das Drama schon, und genauso lange begleitet uns Deutsche das bittere Schicksal der Familie Wallert aus Göttingen. Renate, Werner, Marc.

Kommentar von ULRIKE HERRMANN

Angesichts des Leids der Geiseln schien es immer selbstverständlich, ihre Freilassung nicht nur zu fordern – sondern zur allerobersten politischen Priorität zu machen. Wie nahe liegend und vernünftig wirkte, dass der philippinische Präsident von allen Heimatstaaten der Geiseln immer wieder aufgefordert wurde, gegen die muslimischen Extremisten der Abu Sayyaf ja nicht militärisch vorzugehen, sondern „eine friedliche Lösung zu finden“. Und auch das Lösegeld von einer Million US-Dollar pro Geisel scheint vielleicht hoch, aber an sich angemessen. (Außerdem zahlt ja Libyen, das sich so die internationale Anerkennung erkaufen will.)

Wie wenig selbstverständlich diese westlichen Forderungen jedoch in Wahrheit sind, zeigt ein Blick zurück auf die westdeutsche Innenpolitik. Wie an der RAF exemplarisch vorgeführt, gilt es hierzulande als Maxime, auf die Forderungen von politischen Geiselnehmern niemals einzugehen. Lieber opfert man das Opfer, wie im „heißen Herbst“ 1977 den Arbeitgeberpräsidenten Schleyer. Diese Entscheidung wurde damals parteiübergreifend getragen – und wäre auch heute noch Konsens. Dahinter stand und steht die schlichte Erkenntnis, dass jede erfüllte Forderung weitere Geiselnahmen nach sich zieht.

Genau dieser Mechanismus ist auf den Philippinen schon abzusehen. Hatte die Abu Sayyaf vor der Geiselnahme im April nur etwa 500 Mitglieder, so ist diese Zahl inzwischen auf etwa 5.000 angestiegen. Zu verlockend ist die neu geschaffene Möglichkeit, persönliche Bereicherung und politischen Kampf miteinander zu verbinden. Schließlich wird sich der Gesamterlös der Aktion auf voraussichtlich knapp 40 Millionen US-Dollar belaufen. Viel, sehr viel Geld für eine sehr arme Region. Es wäre ein Wunder, wenn nicht bald wieder neue Touristen gekidnappt würden.

Aber nicht nur auf den Philippinen. Mit Recht wird in der Region befürchtet, dass der Erfolg der Abu Sayyaf auch die Extremisten in den Nachbarländern Indonesien und Malaysia inspirieren könnte. So hat der Westen viel dazu beigetragen, eine instabile Region weiter zu destabilisieren. Aber das ist ja ein altes Privileg der Kolonialherren.

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