Village Voice: Ein Scheibchen Respekt für den Techno-Proll
■ Die DJs Mr. X und Mr. Y packen den Vorschlaghammer aus: WestBams neues Album „New World Order“
WestBam war schon immer ein ganz besonderer Fall. Es gibt wohl keine andere schillernde Persönlichkeit in der deutschen Technolandschaft, die so stark polarisiert wie er. Kaum jemand hat für Techno hierzulande so viel getan wie Maximilian Lenz aka WestBam, doch auch niemand muss sich so sehr mit dem Vorwurf herumschlagen, dabei gnadenlos den Ausverkauf von Technokultur vorangetrieben zu haben.
Die ganzen Fakten sind bekannt, die Geschichte von einem, der aus Münster auszog, um von Berlin aus ein ganzes Imperium zu leiten, ein Imperium gebaut aus Techno. Sein Label Low Spirit machte Stars wie Marusha groß, Dr. Motte wagt seit einiger Zeit nicht mehr, einen Love-Parade-Hit ohne „Westfalia Bambaata“ zu produzieren, und nebenbei ist er außerdem auch noch Mitveranstalter des jährlichen Mega-Raves „Mayday“. Doch dabei ging es ihm nie bloß um das reine Geldverdienen, so wurde er nie müde zu betonen. Sondern immer um die Musik, um die DJ-Kultur, um das Tanzen, um das kollektive Feiern, überhaupt um die Jugendkultur Techno. Wirklich blöd ist nur, dass das die Leute partout nicht verstehen und nie verstanden haben.
Im Techno-Underground wird er wahlweise nicht für voll genommen oder mit stillschweigender Verachtung gestraft. Ein Sachverhalt, der dem Selbstverständnis von WestBam in seiner Selbstanschauung als großer Innovator schon immer schwer zu schaffen gemacht hat. Über das Feuilleton, gar durch ein Buch zusammen mit Rainald Goetz, „Mix, Cuts & Scratches“, und das permanente Auflegen auf den richtigen Partys ohne allzu ausufernde Gage versuchte er immer wieder, seinem Image als Techno-Proll so gut wie möglich entgegenzusteuern.
Hinderlich für eine objektivere Wahrnehmung der Figur WestBam war jedoch immer schon die grenzenlose Hybris, die dieser kultivierte wie kaum ein anderer. DJ-Culture heißt bei ihm „Record Art“, ein von ihm erfundener Begriff, und als vor kurzem die elektronische Spielart Electro revivalte, musste derselbe Sound bei WestBam „Technolectro“ heißen.
Diese Hybris macht das groß angelegte neue Projekt von WestBam, „Mr. X & Mr. Y“, eine Zusammenarbeit mit dem spirituellen Sohn des legendären HipHop-Innovators Afrika Bambaataa, Afrika Islam, auch nicht unbedingt angenehmer.
Nach einer schon etwas länger zurückliegenden ersten Maxi ist soeben das Debüt-Album der beiden erschienen. „New World Order“ muss das natürlich heißen, und im CD-Booklet wird nochmals für jeden und jede nicht unbedingt tief gestapelt: „Mr. X & Mr. Y ist das Zusammentreffen zweier Schlüsselfiguren der internationalen DJ-Weltkultur.“
Afrika Islam ist Mr. X. Er ist eines der Gründungsmitglieder der legendären Breakdance-Formation Rock Steady Crew und hat bereits des Öfteren mit dem Gangsta-Rapper Ice T zusammengearbeitet. Das genügt, um ihn auf „New World Order“ als HipHop-Pionier einzuführen. Entscheidend für WestBam dürfte jedoch im Wesentlichsten die Tatsache sein, dass Afrika Islam den großen Afrika Bambaataa als seinen Vater ansieht. Denn das tut WestBam auch: Jeder weiß inzwischen, dass das das „Bam“ in seinem Künstlernamen letztlich für nichts anderers als für „Bambaataa“ steht.
Die konzeptuelle Idee von Mr. X und Mr. Y ist es, nochmals das Booklet: „die beiden großen Schulen der DJ-Musik, die Mix-Schule der Disco/House- und Techno-Musik und die Cut-Schule des HipHop“ zusammenzubringen. „They call him a father of techno“, lässt Mr.Y sich gleich zu Beginn der Platte von Mr. X einführen. Gemeinsam versuchen sie dann die restliche Zeit der Platte, dem ausstaffierten Herausstellen ihrer jeweiligen Ausnahmestellung gerecht zu werden.
Erstaunlicherweise gelingt das sogar leidlich. Der extreme Crossover von Electro, HipHop, Techno und House wirkt nicht bloß wie mit dem Stemmeisen zusammengewuchtet, sondern läuft auf eine gut tanzbare, fett groovende Form von „Abfahrt“ hinaus. Dem eigeninitiierten Hype wird das letztlich allerdings kaum gerecht, dafür klingt alles dann doch wieder etwas zu gewollt.
Aber ein kleines Scheibchen vom längst eingeforderten Respekt aus dem Underground dürfte WestBam mit dieser Platte einfahren können. Und das ist für ihn schließlich das Wichtigste.
Andreas Hartmann
Mr. X & Mr. Y: „New World Order“ (Low Spirit/BMG)
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