Ein Schallplattenladen auf dem Land: Rillen wie Ackerfurchen
Schallplatten gelten in Großstadt-Boutiquen als heiße Ware. Aber die richtigen Nerds treffen sich auf einem Bauernhof im Allgäu zum Fachsimpeln.
Wie dem auch sei, Vinyl ist wieder in aller Munde. Die Industrie reagiert, veröffentlicht überteuerte Nachpressungen und bietet sie in schicken Boutiquen feil. Die Schallplatte ist wieder zu einem lukrativen Geschäftsmodell geworden.
Es gibt einen Ort, der sich nicht weniger für die Hipness seiner Klientel interessieren könnte. Ein Ort, an dem Schallplatten und Hifi-Equipment verkauft werden, Musik- und Filmabende stattfinden – inmitten der dörflichen Peripherie. Ein Bauernhof mit Blick auf die Felder des Illertals im bayerischen Allgäu. Enten schnattern, manchmal schaut die Hauskatze vorbei. Ansonsten läuft laute Rockmusik.
Man könnte den Hof leicht übersehen, weiterfahren ins Schwäbische Bauernmuseum, wo es Ausstellungen zu „Tierglocken aus aller Welt“ gibt. Der Bauernhof gehört zum Markt Altusried, eine kleine Marktgemeinde im Oberallgäu mit Blick auf die verschneiten Berggipfel der Alpen. In der Dorfwirtschaft gibt es Schnitzel, die vom einen Tellerrand über den anderen ragen, am Nebentisch stammtischlern Männer über Flüchtlinge, kerniger Dialekt.
Kirchenglocken statt Verzerrer. Es ist eine Umgebung, die nicht weiter entfernt sein könnte von Schweiß und Dreck aus 50 Jahren Popmusik. Wie kommt man auf die Idee, genau hier ein Geschäft aufzumachen, das Schallplatten anbietet? Wer kommt zu den Musik- und Filmabenden, auf denen der Besitzer Dietmar Sutter erst unbekannten Psychedelikrock aus den Sechzigern, dann Jazz, schließlich mexikanische Barockmusik auflegt?
Übertrifft jedes Bescheidwissen-Gespräch in den Kneipen
Ein Abend im Winter. Die Stuhlreihen in einem Raum des Hifi-Bauernhofs sind belegt, etwa 20 Menschen sind gekommen. Sutter legt auf, was ihm spontan in den Sinn kommt. Garagerock, Klassik, Jazz. Alles Preziosen, eine körperliche Erfahrung. Die Musik wird an diesem Abend auf einer riesenhaften, zentral aufgestellten Anlage gespielt, die wie ein Altar anmutet. Im Moment, in dem die Plattennadel aufgesetzt wird, herrscht Stille. Dann läuft die Platte und die Hörer lauschen auf den Sitzen, aufgeregt oder ganz versunken.
Wäre man nicht dabei, man könnte nicht glauben, was sich hier gerade abspielt. Der Musiktreff auf einem Allgäuer Bauernhof übertrifft die Nerdigkeit jedes Bescheidwissen-Gesprächs in den Kneipen der Großstädte um ein Weites. Zwischen den Songs diskutieren die Besucher über Details: Wann das Stück wo von wem aufgenommen wurde, was es für Pressungen gibt. Es sind hauptsächlich Männer mittleren Alters, sie tragen Funktionskleidung, arbeiten als Zimmerer und Ingenieure.
Schallplattenhören macht süchtig. Sutter selbst benutzt immer wieder diese Terminologie, spricht davon, wie er von einem Freund mit 12 Jahren „angefixt“ wurde, Schallplatten zu sammeln.
Hängt man einmal an der Nadel, gibt es kein Zurück mehr. Der beste Stoff ist der, den man sofort haben muss. Sutter meint etwa „L. A. Woman“ von den Doors. Er spielt den Song in unterschiedlichen Versionen vor. Die Single mit 45 Umdrehungen klingt weitaus besser als die Aufnahme auf der LP mit 33. 45er werden mit deutlich größerem Rillenabstand geschnitten, was mehr Raum für Dynamik lässt, erklärt Sutter. Wie es in seinem Dialekt heißt: „Rillen wie Ackerfurchen, da koscht die neiflacka (da kannst du dich reinlegen)!“
Kräutertee statt Bier
Sutter entspricht nicht dem Klischee vom angejahrten Rockmusikfan. In einem Raum des Hifi-Bauernhofs wurde er geboren, mehrere Jahre hat er den angrenzenden „richtigen“ Bauernhof geführt. Statt Bier trinkt er Kräutertee. Und belegt detailliert, warum er den Klang von Schallplatten bevorzugt: „Der Mensch hört analog. Umso weniger du dazwischenspeicherst, desto besser klingt es. Ein analoges Signal ist das Beste, das Natürlichste. Ein digitales Signal wird in Plus und Minus zerstückelt. Während dieser Zerstückelung der Klangwelle in Einzelsignale geht in der Wiedergabe viel kaputt.“
Wer ein digitales Signal so gut klingen lassen will wie ein analoges, muss mit mindestens 32 Bit rechnen. „Das ist schon ein richtig großer Server“, erklärt Sutter, „und den kann sich kein Mensch leisten.“ Inzwischen lassen sich zwar hochwertige digitale 24-Bit-Kopien kaufen, aber die Musik liegt dann irgendwo auf einem Server in den USA. Bis die Musik zu Hause auf dem Router ist, ist schon viel verloren gegangen. Der Datenweg ist lang. Und wenn die Musik endlich auf dem Computer ist, spielt sie immer noch nicht auf der Stereoanlage. „Da gibt’s auch wieder Verluste.“ In der Theorie also kann ein digitales Signal ebenso gut klingen wie ein analoges. Praktisch gesehen seien Schallplatten aber die bessere Lösung.
Trotzdem ist Plattenhören vor allem eine optische, haptische und emotionale Angelegenheit. Es ist schön, der Intimität des Plattenspielens nachzuspüren und damit einer Zeit, in der Musikhören noch der Lebensmittelpunkt aller Jugendlichen war. Sutter erzählt, wie er früher zusammen mit seinen Freunden alte Radios von der Müllhalde geholt hat, um daraus Verstärker und Lautsprecher zu bauen. Wie er nach der Schule die Schallplattenläden abgeklappert hat und jedes verdiente Geld in Neuerwerbungen steckte.
„Wenn du die Platte auflegst und es anfängt zu knistern, steigt das Gefühl deiner Jugend in dir hoch“, erklärt mir ein anderer Schallplattenliebhaber, der gerne 60 Kilometer aus einem kleinen Dorf für die Musikabende nach Altusried fährt. Er ist wie Sutter Mitte 50. Auf ihn trifft zu, was Sutter als einen Grund für das Vinyl-Revival nennt. Leute, die in den siebziger Jahren Schallplatten gesammelt haben, haben inzwischen oft erwachsene Kinder und können sich wieder alten Interessen widmen. Viele entdecken ihre Liebe zur Musik wieder. Und geben sie an ihre Kinder weiter.
Es geht ums Verkaufen
Frage an eine junge Frau, die in einer Altusrieder Dorfwirtschaft arbeitet. Ob sie den Hifi-Bauernhof kennt? „Klar, den kennt jeder. Die leihen meinen Freunden oft Anlagen für Partys aus.“ Sie mag den Laden, auch wenn sie selbst noch nie da war.
Der Hifi-Bauernhof existiert seit 1979, das Geschäft lief immer gut, auch, als Mitte der Neunziger die Plattenverkäufe einbrachen. Sutter und seine Kollegen haben sich schließlich nie speziell auf den Plattenverkauf fokussiert. Konzeptionell bedient der Hof eine Leerstelle. Hifi-Zeitschriften lesen sich wie Werbeprospekte, deren Besprechungen sich nach den Werbekunden richten. Objektive Beratung gibt es nicht. Viele Hifi-Läden fokussieren sich wiederum vor allem auf den technischen Aspekt. Die meisten haben vielleicht 20 Vorführplatten, „und die werden dann halt jeden Tag ragnudlat (heruntergenudelt)“, wie Sutter sagt.
Es geht ums Verkaufen. Schallplattenhändler versuchen, billig Sammlungen aufzukaufen und sie für übertriebene Einzelpreise wieder auf den Markt zu bringen. Einen Laden, der gleichzeitig Beratungszentrum und Kulturinstitution mit Wissensaustausch ist, gibt es in Deutschland kein zweites Mal. Es ist witzig, dass er sich nicht in Berlin oder Köln befindet, sondern zwischen Kuhherden im Allgäu.
Man befindet sich hier auf einer kleinen Insel. Wo keine Verkaufszahlen dominieren, sondern die Begeisterung zählt. Wo einem noch ein bisschen klarer wird, warum die Schallplatte gerade eine Renaissance erlebt. Und warum es unzählige Gründe gibt, sich darüber zu freuen.
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