: Ein Ruckzuck geht durchs Land
Mit Angela Merkel wird die Zeit der Diskussionen erst mal vorbei sein – und gehandelt. Die Union kehrt zu dem Pragmatismus zurück, mit dem schon Adenauer Erfolg hatte
Tony Blair wünscht sich Angela Merkel als Partnerin für Europa. Ihm kommen die vorgezogenen Wahlen in Deutschland gerade recht. Vorbei die Zeiten, da er mit Gerhard Schröder ein Tandem bilden wollte, um ein intellektuell anspruchsvolles Programm zweier sozialdemokratischer Regierungen umzusetzen.
Und jetzt Angela Merkel. Als die zu Zeiten Willy Brandts mit Jeans in die Schule kam, wie etliche ihrer MitschülerInnen auch, und die Lehrer darob den Eltern Vorhaltungen machten, da begehrten diese aber systemkritisch auf. Erst sollte der Arbeiter-und-Bauern-Staat Einkommensverhältnisse schaffen, bei denen Eltern ihren Kindern Klamotten nach Gusto kaufen könnten, dann dürfe er darüber lamentieren, dass Geschenktes von drüben getragen würde. Solche Erfahrungen prädestinieren kaum dazu, die Linke weiter zu denken.
Aber was kommt auf das vereinte Deutschland zu unter seinem dritten Kanzler, der mutmaßlich eine Kanzlerin sein wird. Maggie Thatcher? Ein eisernes Mädchen, das sich zur Eisernen Lady verhält wie Heidi Kabel zu Margaret Rutherford? Welche CDU, welche CSU kommt auf Berlin zu? Eine, die George W. Bushs Republikanern gleicht wie eine singende Kirchengemeinde der anderen? Von der FDP spricht schon keiner mehr, in der Sorge, aus Versehen den Namen Guido Westerwelle zu nennen. Wieder einmal, wie schon 1983, ist es die Mutter aller staatstragenden Parteien, von der nach der Herrschaft der Dienstboten erwartet wird, dass sie im Kinderzimmer wieder aufräumt. Das erste Mal war sie 13 Jahre aus gewesen, das zweite Mal musste sie nur 7 Jahre fortbleiben. Das erste Mal durften die Kinder und ihre Lieblinge zwei Kanzler ausprobieren, das zweite Mal nur einen.
Jetzt also wohl wieder eine unionsgeführte Bundesregierung – wie bei der Gründung des Staates 1949. Was wird sie tun? Was wird sie lassen? Was kommt auf die Deutschen zu?
Manch einer in dem zurückliegenden halben Jahrhundert wird von Älteren zur Unterscheidung der beiden großen Parteien folgende Belehrung erhalten haben: Wenn du spannende Diskussionen erleben willst, geh zur SPD; da wirst du dich gut fühlen. Wenn du etwas bewirken willst, geh zur Union; da wird bestimmt, was geschieht.
Genau diese Stimmung führt derzeit zu den erstaunlichen Umfragewerten für die Union und für Angela Merkel, die nicht so aussieht, als werde sie in dieser Partei etwas anders machen, als wie es dort immer schon gemacht wurde. Kaum jemand, auch das zeigen die Umfragen, erwartet, dass die Union und ihr kleiner Partner das allgemein für unumgänglich erachtete Reformwerk schonender in Angriff nehmen könne, dass es dabei für die meisten Bürger glimpflicher abgehen werde. Erwartet wird vielmehr, dass die Union ruck, zuck Tatsachen schafft – ein Zahnarzt, der den unrettbaren Zahn in fünf Minuten gezogen hat, und nicht einer, der sich eine Stunde nimmt, um dem Delinquenten zu erzählen, dass es gar nicht wehtut.
Die Zeit der Diskussionen wird fürs Erste einmal vorbei sein. Was Deutschland nach Ansicht vieler Wähler mit Unionsmentalität jetzt braucht, ist niemand, der die Straßenkarten aus dem Handschuhfach mit Lust zu erörtern weiß, gebraucht wird vielmehr ein Mechaniker, der unter das Auto kriecht, wenn das sein muss, um die Karre wieder flottzubekommen. Darum hat es auch Angela Merkel nicht wie weiland Helmut Kohl nötig, eine geistig-moralische Wende zu verheißen – mit welcher auch der mächtigste ihrer Ziehväter nie etwas im Sinn gehabt hatte, dazu war der viel zu sehr CDU, da reicht es, gegen die Abtreibung zu sein und für Europa. Darum genügen zwei Generalsekretäre, ein Fraktionsgeschäftsführer und ein Staatskanzleichef aus Bayern, um für die Union das Wahlprogramm zusammenzukloppen, mit dem sie in eine Kampagne geht, die ihr Gegner als wer weiß wie entscheidende Schicksalswahl ausgibt.
Nur Gerhard Schröder weiß wohl, dass darin ungefähr alles stehen wird, was er selbst gern gemacht hätte. Und Wolfgang Clement auch. Aber es ist eben etwas anderes, ob die Mutter aller staatstragenden Parteien die Bevölkerung zum Aufräumen antreibt, oder ob ein Dienstmädchen, das die Herrschaft nur vertritt, solange diese zum Zwangsurlaub auf Mallorca weilt, sich anmaßt, etwas anders zu tun als Bonbons zu verteilen.
Mit Angela Merkel haben die Unionsparteien dafür den richtigen Politikertyp. Als die 68er und die sozialliberale Koalition Willy Brandts ihren Kindern all die Dinge beibrachten, die man im wirklichen Leben nicht brauchen kann, lebte sie in der DDR, wo die jungen Leute davon fern gehalten wurden. Darunter hat sie anscheinend nie gelitten. Als die Wohlstandsgenießer des Westens der Idee verfielen, Philosophie, Soziologie und Vergleichbares, wovor schon die Erfinder der Demokratie, die alten Athener, ihre Kinder gewarnt hatten, all das sei brauchbar in der Politik, lernte Angela Merkel Physik und Chemie.
Ihre Botschaft lautet daher: In Deutschland müsse man vor allem anderen erst wieder dahin kommen, so etwas wie Aspirin zu erfinden. Das ist nicht falsch, klingt aber auch nicht wie die ganze Wahrheit. Nur – Richtigeres ist im Augenblick nicht in Sicht. Und die Union steuert, das hat sie von Adenauer gelernt, immer nur das nächste Erreichbare an. So erläutert man in CDU und CSU seit 60 Jahren das Wort Pragmatismus.
Pragmatismus war es nicht, was die Unionsparteien einst in den Ruf brachte, sozialdemokratische Politik zu treiben. Das war das Erbe des alten katholischen Zentrums, gegen das Adenauer zäh zu kämpfen hatte. Dieses Erbe gibt es nicht mehr. Stattdessen gab es zuletzt bei Kohl die Sorge, der SPD Wähler zuzutreiben, wenn man es mit den Reformen übertrieb. Diese Sorge braucht Angela Merkels CDU nach dem Hartz-Theater Schröders nicht mehr zu haben. Das alte Stück vom Sozialstaat ist ausgespielt.
In den wilden Jahren, von denen heute alte Menschen wüste Dinge unter der Chiffre 68 erzählen, hatten bei den Hauptakteuren die Frauen nichts zu sagen, Mädchen schon gar nicht. Die durften tun, was Angela Merkel in den 70ern tat: Kirsch-Cola bei Universitätspartys im Institut verkaufen, Theaterkarten besorgen. Es war eine schöne Zeit. Männer spielten derweil Fußball, wurden Europameister, Weltmeister oder lasen.
Eine Welt von Büchern und Theorien, Referenzautoren und ungelesenen Klassikern beherrschte seither die Politik in der Bundesrepublik. Eine Frau, die mit alldem nichts zu tun hatte, die in den vergangenen 15 Jahren mit ungläubigem Lächeln auf manche aufgeregte Diskussion sah, wird nun dieses Kapitel deutscher Geschichte beenden. Schon werden Frauen im Fußball serienmäßig Europameister, sogar Weltmeister. Was sie lesen, ist wenigstens bei Angela Merkel unklar. Aber wahrscheinlich kommt es darauf gar nicht mehr an. Was las Maggie Thatcher? Die nannte diskutierende Parteifreunde gern Bettnässer. Das wird Angela Merkel nie tun. Auch als Kanzlerin nicht. Sie wird aufräumen. JÜRGEN BUSCHE