: Ein Referendum lenkt die Schweiz auf neue Bahnen
■ Statt Hochgeschwindigkeitszügen bessere Anschlüsse: Das Projekt „Bahn 2000“ wurde mit knapper Mehrheit per Referendum beschlossen / Widerstand von Regionalisten und Teilen der Grünen / Gegner des Projekts fordern Berücksichtigung durch „sanfte“ Detailplanung
Aus Basel Frank Natter
Mit knapper Mehrheit haben sich die Bewohner Helvetiens für das Projekt „Bahn 2000“ ausgesprochen. Da in der Schweiz der Wille des Volkes direkt die Politik bestimmt, wird die geplante Neuorganisation des Bahnverkehrs bald Realität werden. Die schweizerische Regierung, der Bundesrat und die Bundesbahnen zeigten sich vom Ausgang des Plebiszites „befriedigt“. Die Gegner der Vorlage forderten noch am Sonntag abend, die zahlreichen Nein–Stimmen müßten bei der Verwirklichung des neuen Bahnkonzeptes mit einer „sanften“ Detailplanung berücksichtigt werden. Die „Bahn 2000“ soll den öffentlichen Verkehr in der Schweiz schrittweise attraktiver machen, sowohl auf regionaler wie auf nationaler Ebene. Dabei wollen die Bundesbahnen nicht nur die Anzahl der Bus– und Bahnverbindungen erhöhen, sondern auch die Fahr– und Umsteigezeiten verkürzen. Herzstück des Konzeptes ist das sogenannte „Spinnensystem“: In den wichtigsten Bahnhöfen, die jeweils rund 55 Minuten Fahrzeit von einander entfernt liegen, sollen immer kurz vor der vollen Stunde die Züge und Busse aus allen Himmelsrichtungen eintreffen und kurz danach wieder in alle Richtungen wegfahren. Die Bundesbahnen wollen auch die zum Teil veralteten Züge mit neuem, bequemen Rollmaterial ersetzen. Zudem sollen die Bahnhöfe mit Einkaufszentren, Restaurants und anderen Dienstleistungsbetrieben aufgewertet werden. Im Konzept nicht inbegriffen ist eine neue Alpendurchquerung, über deren Linienführung erst nächstes Jahr entschieden wird. Der notwendige Ausbau der bestehenden Geleise– und Bahnhofsanlagen und die vier geplanten Neubaustrecken werden den Bund in den nächsten Jahren rund 5,4 Milliarden Schweizer Franken (6,7 Mrd. Mark) kosten. Weitere Milliarden wird das neue Rollmaterial verschlingen. Das Projekt „Bahn 2000“ ist ein Kompromiß. Denn ursprünglich entstand im Anschluß an die Diskussionen über eine „koordinierte Verkehrspolitik“ das Konzept Neue Haupttravorsale (NHT). Den Berner Planern schwebte eine nach japanischen Vorbildern entworfene Super–Schnellbahn vor. Ein Parlamentarier forderte gar den Bau einer „Swissmetro“, einer landesweiten Untergrundbahn. Daß solche teuren und gi gantischen Projekte in der schweizerischen Referndumsdemokratie keine Chance auf Verwirklichung haben, wurde den Behörden allerdings schnell klar. Deshalb stutzten sie die NHT–Pläne und gaben ihrem neuen Kind den werbewirksamen Namen „Bahn 2000“. Das neue Konzept stieß im Parlament auf Zustimmung. Denn es widerspiegelt den Willen der bürgerlichen Parlamentsmehrheit, den Verkehr „von der Straße auf die Schiene umzulagern“, ohne dem Konsumenten „die freie Wahl des Verkehrsmittels“ zu nehmen: Der öffentliche Verkehr soll so attraktiv werden, daß die Autofahrer freiwillig umsteigen. Von den Grünen und Linken geforderte einschränkende Maßnahmen (Benzinrationierung, autofreie Sonntage) lehnte die Parlamentsmehrheit dagegen ab. Die politische Rechte unterstützte die „Bahn 2000“ ohnehin nicht nur aus umweltschützerischer Überzeugung: Bürgerliche Wahltaktiker hoffen, das Projekt nähme grünen Gruppierungen den Wind aus den Segeln, und die Wirtschaft lockte vor allem das milliardenschwere Auftragsvolumen. Trotz der deutlichen Zustimmung im Parlament formierte sich gegen die Bahn 2000 eine starke Opposition. Innerhalb kurzer Zeit sammelten Gegner die 50.000 Unterschriften, die zur Erzwingung eines Referendums notwendig sind. Beim Kampf gegen das Bahnprojekt gingen Bauern, die um ihr Land fürchteten, Autofanatiker, Gegner des Zentralstaates und grüne Fundamentalisten eine unheilige Allianz ein. Die ökologischen Fundies argumentierten, „Bahn 2000“ erhöhe die Mobilität der Bevölkerung noch zusätzlich, anstatt sie zu verringern. Zudem befürchtete etwa Peter Moser von der „Demokratischen Alternative Bern“, der Bau von Bahn 2000 führe automatisch auch zu weiteren Straßenprojekten. Grüne „Realpolitiker“ hielten dem entgegen, „Bahn 2000“ sei ein erster Schritt in die richtige Richtung. Mit einem starken öffentlichen Verkehr im Rücken könnten weitere Straßenbauten wirkungsvoller bekämpft werden. Mit der Annahme der „Bahn 2000“ durch die Bevölkerung sind die verkehrspolitischen Diskussionen in der Eidgenossenschaft noch längst nicht abgeschlossen. Zur Abstimmung stehen unter anderem Volksinitiativen an, die einen Verzicht auf gewisse Autobahnteilstücke fordern oder den weiteren Straßenbau generell einschränken wollen.
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