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Ein Raum fürtote Würger und scheußliche Tapeten

Der Kunstverein Langenhagen hat sich zum temporären Heimatmuseum ernannt: Wie ein kreolischer Garten verflicht er unter diesem Titel disparate Fundus-Funde mit neuer, ortsspezifischer Kunst. So soll der Begriff der Heimat eine neue Dynamik jenseits aller Tümelei erhalten

Griffige Tapetenmuster haben die Insolvenz der Blindenwerkstatt nicht verhindern können Foto: Fotos (2): Kunstverein Langenhagen

Von Bettina Maria Brosowsky

„Heimaten“, im Plural, nennt das Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg eine kommende Ausstellung; will so bewusst den Kontroversen provozierenden Begriff Heimat aufbrechen und eine Vielzahl nicht normierter, unerwartbarer­ Annäherungen zulassen. Die Exponate müssen sich sieben Hauptfragen stellen, Be­su­che­r:in­nen sind aufgefordert, ihre Antworten aufzuschreiben.

In ein „Temporäres Heimatmuseum“ hat sich derzeit auch der Kunstverein Langenhagen verwandelt. Er möchte so der Frage nachgehen, welche Funktion ein Heimatmuseum heute überhaupt haben könnte, aber vorrangig natürlich, ähnlich wie in Hamburg, einem Heimatbegriff, der in Zeiten weltumspannender Migrationsbewegungen zusätzlich an inhaltlicher Eindeutigkeit einbüßt.

Denn ginge einem Menschen, der seinen angestammten Ort verlässt, damit auch seine „Heimat“ unwiederbringlich verloren? Vielmehr meinen die Lan­gen­ha­ge­ne­r:in­nen – das sind die nun ehemalige Leiterin Noor Mertens und der neue, Sebastian Stein –, dass Heimat ein flexibleres Gedankenkonstrukt sein könnte: „Zu Hause sein“ wäre dann also nicht nur an geografische und familiäre Bindungen gekoppelt, sondern auch an Faktoren wie Sicherheit, gesellschaftliche Teilhabe und die Möglichkeit zur persönlichen Entwicklung. Heimat hätte dann also nichts Statisches, das bewahrt werden muss, da es verloren gehen kann, sondern etwas Dynamisches, das sich stets wandelt und weiterentwickelt – ein Thema als „ein produktives Problem“, so Mertens.

Ausgangspunkt für die Ausstellung ist ein Objektfundus aus dem Langenhagener Stadtarchiv, der insgesamt über 500 Stücke umfasst, zusammengetragen einst von Bürger:innen, die so ein Heimatmuseum initiieren­ wollten. Die Pläne versandeten, stattdessen kümmert sich seit 2011 eine Arbeitsgruppe um erinnerungswürdige Orte, Bauwerke und deren Geschichten, die sie in bislang gut 110 Tafeln im Ortsbild erklärt.

Aus dem Archiv zeigt die Ausstellung nun Dinge, die nicht unbedingt dem Klischee eines Heimatmuseums entsprechen. Sicherlich, da sind Musterbücher einer Blindenweberei, die nach 1945 für Versehrte eingerichtet wurde, oder Druckrollen opulentester Ornamentik einer lokalen Tapetenfabrik, die wohl nicht nur dank dieses ästhetischen Programms in Insolvenz gehen musste.

Entstehen soll ein Geflecht aus Ideen, Meinungen und Gegenständen, die sich jenseits der Spezifik des Lokalen in ihrer Vielfalt zu etwas Eigenem formieren

Es findet sich aber auch eine didaktische Diasammlung für den Schulgebrauch, eine mit Petroleum zu betreibende Laterna Magica mitsamt Bildkonvolut oder ein blauer Overall der niederländischen Fluggesellschaft KLM. Er ist ein Hinweis auf den Flughafen in der eigenständigen Gemeinde Langenhagen, der in den 1950er Jahren unter der Bezeichnung „Hannover“ konzipiert und errichtet wurde.

Diese Objekte treten mit den Arbeiten von sieben eingeladenen Künst­le­r:in­nen in den Dialog, im Laufe der Ausstellung werden zudem Schü­le­r:in­nen mit eigenen Ideen und Dingen in der Ausstellung intervenieren. Entstehen soll so ein Geflecht, ein Netzwerk an Ideen, Meinungen und Gegenständen, die nicht nur die Spezifik des Lokalen betonen, sondern sich in der Vielfalt zu etwas Eigenem gegenseitig bestärken.

Als Metapher dient der kreolische Garten, wie ihn aus Afrika verschleppte Sklaven im 17. Jahrhundert auf Guadeloupe oder Martinique zur physischen wie seelischen Selbstversorgung anlegten: ein dichtes, nur auf den ersten Blick ungeordnetes Miteinander aus Nahrungspflanzen, Heilkräutern, Bäumen und blühenden Blumen.

Julia Schmidt, 1969 in Wuppertal geboren, etwa hat sich zeichnerisch mit der Ausrottung und Wiederansiedlung der Wölfe in Niedersachsen beschäftigt. Ein letztes Exem­plar,­ so fand sie heraus, wurde am 27. August 1948 als „Würger vom Lichtenmoor“ erlegt. Sein Kopfpräparat hat man für das Heimatmuseum Rodewald, Region Mittelweser, als stereotypen Ausdruck seines blutrünstigen Wesens aufbereitet. Mittlerweile thematisiert man auch dort den Wolf und seine Artgenossen, die wieder ins Lichtenmoor zurückgekehrt sind, differenzierter.

Schmidt sieht die Geschichte als Exempel, wie mit etwas Fremdem umgegangen wird, dessen Bewertung weder der Realität entspricht, sich zudem auch jederzeit umdeuten lässt. Das französische Duo Aurélie Ferruel und Florentine Guédon arbeitet mit ortsspezifischen Naturmaterialien, in diesem Fall Lehm und Ton, aus dem sie eine amorphe Plastik formten, die sie in Performances aktivieren. Der autobiografischen Unmöglichkeit, sich selbst mit präzisen astronomischen Messinstrumenten richtig zu verorten, geht Viola Yeşiltaç nach – sie wurde 1975 in Langenhagen geboren, lebt nun in New York.

Aurélie Ferruel, Florentine Guédon und Viola Yeşiltaç arbeiten mit Ton

Und einen humorvollen Beitrag steuert der Satiriker und Theatermacher Hartmut El Kurdi bei. Der Sohn eines Arabers und einer Deutschen fragt, wie weit ausgerechnet der nordhessische Dialekt seiner Mutter zum wesentlichen Bestandteil seiner Identität geworden ist.

Temporäres Heimatmuseum: bis 25. 7., Kunstverein Langenhagen

Online-Gespräch mit Viola Yeşiltaç, Julia Schmid und Hartmut El Kurdi: Freitag 18. 6., 19 Uhr, Anmeldung: mail@kunstverein-langenhagen.de

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