: Ein Pummel polarisiert
Juan Román Riquelme soll Argentiniens Mittelfeld gestalten. Seine Kritiker sehen das mit Skepsis: Zu launisch, zu ideenlos, zu träge und selbstverliebt, anachronistisch eben, sei seine Spielweise
VON ANDREAS RÜTTENAUER
Der Ruf des argentinischen Fußballs war nicht gerade gut, als José Pekerman 2004 das Traineramt der Nationalmannschaft übernahm. Sein Vorgänger Marcelo Bielsa stand für ein kraftvolles, nicht unbedingt schön anzusehendes und wenig kreatives Spiel. Das wollte Pekerman unbedingt ändern. Er hat erkannt, dass Argentinien bei großen Turnieren immer dann am erfolgreichsten war, wenn es von fantasievollen Spielmachern angetrieben wurde, die von robusten Verteidigern abgesichert schalten und walten konnten, wie sie wollten.
Für die Rolle des Gestalters im Mittelfeld hat er Juan Román Riquelme ausersehen. Er wird bei dieser WM die Nummer 10 tragen, die Maradona-Nummer, und jede Menge Verantwortung übernehmen müssen. Vor vier Jahren scheiterte Argentinien bereits in der Vorrunde. Vor allem die Ideen Riquelmes sollen verhindern, dass sich die Südamerikaner ein weiteres Mal blamieren.
Doch sicher ist man sich in Argentinien keineswegs, dass der 27-Jährige der Aufgabe gewachsen sein wird. Angst machte sich breit im Land des zweimaligen Weltmeisters, nachdem Riquelme am 25. April dieses Jahres kurz vor dem Schlusspfiff des Rückspiels im Champions-League-Halbfinale gegen Arsenal London die Möglichkeit vergab, seine Mannschaft, den FC Villareal, mittels eines Strafstoßes in die Verlängerung zu schießen. Jens Lehmann hielt den Schuss des als Freistoßschütze gefürchteten Spielmachers, Arsenal zog ins Finale ein, und Argentinien diskutierte über die Fähigkeiten des von José Pekerman immer wieder über den grünen Klee gelobten jungen Mannes.
Es war aber nicht allein der Fehlschuss, der diese Diskussionen ausgelöst hat. Er hat in beiden Halbfinalspielen nur wenig zum Spiel seiner Mannschaft beitragen können. Er spielte ideenlos. Das ist ihm in wichtigen Spielen nicht zum ersten Mal passiert. Riquelme darf getrost als launischer Fußballer bezeichnet werden.
Er ist zudem nicht gerade das, was man einen Leistungssportler nennen würde. Riquelme interpretiert Fußball als Geschicklichkeitsspiel. Oft steht er minutenlang auf derselben Stelle, dann setzt er sich langsam trabend in Bewegung, bevor er sich noch einmal für einen Moment hinstellt.
Drei halbwegs schnelle Schritte macht er, wenn er angespielt werden will. Bekommt er den Ball, setzt er häufig zum Dribbling an. Auch das geschieht in aller Ruhe. Ganz gemächlich kann er an einem Gegenspieler vorbeiziehen. Während er sich langsam fortbewegt, tanzt der Ball zwischen seinen Füßen hin und her. Seine Gegner grätschen oft ins Leere. Und dann? Dann hat er entweder eine Idee – oder eben nicht. Ersteres führt zu Zauberpässen in den Sturm, wovon bei der WM vor allem Hernan Crespo profitieren soll. Letzteres sieht nicht selten peinlich aus.
Prediger eines fitnessorientierten Tempofußballs hätten für Riquelme wohl keinen Platz in ihrer Traumelf. José Pekerman setzt auf den langsamen, bisweilen stockenden Mittelfeldmotor. „Es ist der Ball, der laufen muss, nicht der Spieler“, hat der Trainer zu diesem Thema gesagt.
In argentinischen Zeitungen wird vor einer allzu großen Abhängigkeit der Nationalmannschaft von den Eingebungen des unsteten Riquelme gewarnt. Doch der hat auch prominente Unterstützer. Kurz nach dem Scheitern des FC Villareal in der Champions League setzte Jorge Valdano, Mitglied der argentinischen Weltmeistermannschaft von 1986, zu einer wahren Hymne auf den Mann aus Buenos Aires an. „Er ist sehr schlau“, sagte er, „er weiß, wie er sich Platz verschaffen kann, sein Timing ist perfekt, er kann den perfekten Pass schlagen, und er weiß ganz genau, wie sich der Ball auf jeder einzelnen Grasnarbe verhält.“
Und dann sagte er noch etwas, was Riquelmes Kritiker wohl in einen Vorwurf umformulieren würden. „Er erinnert an die Art, wie Fußball früher gespielt wurde.“
Juan Ramón Riquelme ist ein Spieler, der polarisiert. Für die einen repräsentiert er die Wiederkehr des Schönen ins Spiel, für andere ist sein Spiel Anachronismus pur.