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■ Ein Plädoyer für den SubventionsschwindelZum Sterben zuviel

Europa ist, besonders in jenen Sektoren, die in den letzten hundert Jahren einen tiefgreifenden Wandel mitgemacht haben, auf staatliche Lenkung angewiesen. Das bedeutet auf der einen Seite, Überschüsse an Arbeitskraft und auch territorialer Nutzung abzubauen. Und auf der anderen Seite, Anreize zum Überwechseln in andere Berufe zu schaffen. Dabei entstehen unentwegt starke Ungleichgewichte. Immer häufiger müssen Jugendliche sehr früh hinaus in die erbarmungslose Arbeitswelt, zwingt die sich wandelnde Gesellschaft FamilienernährerInnen zu abrupten Brüchen in ihrer Arbeitsbiographie, läßt sie monate- oder jahrelang ohne Arbeit, bis sie bereit sind, in Sparten zu arbeiten, für die sie weder ausgebildet noch aufgrund ihrer früheren Tätigkeit körperlich (und oft auch geistig) geeignet sind.

Anders als der schon vor hundert Jahren „umgebaute“ Fabrikarbeiter und auch der Handwerker, aber auch als der Manager oder der Unternehmer lebt der Landwirt bis heute in der Regel dort, wo er auch produziert. Sein Hof ist auch sein Heim, seine Arbeit hängt, trotz aller Gewächshäuser und Genmanipulationen, noch immer weitgehend von der Jahreszeit und der Natur ab, von Wind und Wetter. Ihn in eine industrielle Arbeitswelt mit Stechuhr oder „tagesüblichen“ Arbeitszeiten zu versetzen bedeutet bis heute, ihn zum Krüppel zu machen. Daher auch sein besonders zähes Festhalten an seinem Beruf, seine hartnäckige Weigerung, Transformationsbestrebungen aus Rom oder Bonn oder Brüssel zu akzeptieren. Nur selten will er aufgeben, auch wenn er immer mehr in Schulden gerät.

Gerade deshalb halte ich die Subventionen für den Bauernstand nicht nur für eine wirtschaftlich sinnvolle Angelegenheit, sie sind auch eine sozialpsychologische Unabdingbarkeit. Es muß durchaus nicht unehrenhaft sein, wenn sich viele Bauern da mit Schlitzohrigkeit ihre Subventionsgrundlagen zusammenschwindeln. Denn das, was da vom Staat oder der EU als Zuschuß zu dem Erlös aus der eigenen Produktion so kärglich ausgeschüttet wird, ist zum Leben zuwenig, zum Sterben zuviel.

Der Bauernstand bildet eine der letzten Sparten, in der sich Menschen noch gegen das Diktat der Effizienz, der totalen Mobilität (die in der Regel reine Entwurzelung bedeutet), der völligen Abkoppelung von der Natur wehren. Die Landwirte verdienen, auch wenn sie uns supermodernen Städtern eher als Relikt aus vergangenen, verstaubten, vermoderten Zeiten erscheinen, eher unsere Achtung als unser allenfalls mitleidiges Lächeln oder unseren Ärger über ihre schlaue Art, sich staatlicher Zuschüsse zu bedienen. Andrea D'Ambrosino

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