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Ein Orpheus der Ghettos

Schuld war nur der Bossa Nova: In Marcel Camus' Orfeu Negro im Metropolis lernt der Mythos das Tanzen  ■ Von Birgit Glombitza

Wenn Eurydice rennt, hat sie den Tod im Nacken. Wenn sie schläft, schaut er zu. Wenn sie tanzt, dreht er sich um sie. Den Verfolger wird man nun einmal nicht los, solange man lebt. Das ist im Leben nicht anders als in der Welt der Mythen. Und im Kino soll man diesem Spanner bei seiner morbiden Arbeit bekanntlich am besten zuschauen können. Wenn Orpheus Gitarre spielt, geht die Sonne auf. Den Kindern im Ghetto am Rande von Rio de Janeiro hat es dieser Hokuspokus besonders angetan. Dann lachen und singen sie in ihren Wellblechhütten, und das Elend wird zur bunten Kulisse. Auch dafür ist das Kino schließlich zuständig, wenn die roten Schuhe, die Hasenlöcher und Wunderlampen ausgegangen sind.

In Orfeu Negro von Marcel Camus ist Orpheus, der kosmische Sänger, der Provokateur des Erhabenen und Erbe verlorener Paradiese, ein schwarzer Straßenbahnfahrer. Ein Hallodri obendrein, ein Abschlepper und Schnacker vor dem Herrn. Doch er weiß, wann es Zeit wird, den Fahrplan der Legende einzuhalten. Will er sich eben noch mit Mira, einer enervierenden wie anstrengenden Person, verheiraten, wendet er sich plötzlich ab, folgt seiner mythologischen Bestimmung wie ein Hündchen dem Pfeifton seines Abrichters, und verliebt sich neu sobald er den Namen Eurydices hört.

Der Film , für den Marcel Camus 1959 den Grand Prix in Cannes entgegennahm, hat seine Zuschauer gründlich frappiert. In der Welt wird etwas von „wollüstige Einheit von Bild und Musik“ gesäftelt, damalige Zeitschriften wie die Welt der Freizeit geben sich über die „dralle Erotik“ der „Negermädchen“ pikiert. Kurzum, Camus Film war eine Sensation. Nicht nur wegen seiner für diese Zeit recht kühnen Körperlichkeit, nicht nur wegen der Provokation eines durchweg schwarzen Ensembles, sondern vor allem wegen seiner überlaufenden Bilder und seiner einzigartigen Musik. Antonio Carlos Jobim und Luis Bonfa waren als Komponisten unter Vertrag, Vibicius de Moraes als Autor der Liedtexte und Joao Gilberto als Gitarrist. Die ganze Liga des Bossa Nova und die Vorboten des Jazz-Samba hatten sich beim Soundtrack versammelt.

Seiner Mischung aus stampfender Heiterkeit und melancholischem Seufzen sollte der Film auch noch nach Jahrzehnten seinen Zauber verdanken. Denn mit der Musik gelingt es Camus, die banalisierte Geschichte auf ganz eigensinnige Weise mythisch anzuheben. So ist die Liebesgeschichte ganz im Carneval Rio de Janeiros verortet. Orfeu selbst leitet eine Tanzschule, Mira übernimmt den Part der Tagesgöttin, ihre Kontrahenten verkleidet sich als Allmächtige der Nacht. Der Tanz als fortgeführte Mythe und als eine Art Gottesdienst macht den Film selbst zum kultischen Ereignis. Wird im Spiel der Scharaden und Verkleidungen auch der Tod als Prinzip ewiger Wiederkehr in die Arme genommen, ist der bacchantische Traum und die Begegnung mit dem klassischen Original perfekt.

Zwischen Umkleidetratsch, Schminkspiegeln und ekstatischen Tänzen hat Camus fast nebensächlich die großen Dramen von Begehren, Eifersucht und Betrug angesiedelt. Das macht den Film ungeheuer leicht. Manchmal auch putzig. Da rettet sich Eurydice vor ihrem Verfolger auf die Hochspannungsseile im Strassenbahndepot, und der dämliche Orfeu hat nichts Besseres zu tun, als den Saft aufzudrehen und seine Liebe für den Hades zu grillen.

Und wenn er am Ende Eurydice aus dem Leichenschauhaus klaut, hysterische Weiber das Paar einen Abhang hinunterdrängeln, ist das eine Dramatik, die Camus ins Alberne toppt, indem er die beiden auf einem Kaktus landen lässt. Soviel Slapstick bremst am Ende auch jeden positiven Rassismus aus, mit dem Camus dem schönen Wilden gelegentlich Altäre baut. Ein Phänomen, das in den ausgehenden 50ern viele Intelektuelle um Camus aus der Film-, Kunst- und Literaturszene bis zu Jean-Paul Sartre auszeichnete, die in aller Unbeholfenheit ein Lied von edlen schwarzen Geschöpfen sangen und damit an kulturellen Ghettos mitbauten.

Orfeu Negro ist dann am bezauberndsten, wenn er sich seines Kitsches nicht schämt und alle Dramenschwere im Tanz das Schweben lernt. „Das Glück ist eine Feder, die der Wind vor sich her treibt“, heißt es schließlich in dem Lied „A Felicidade“. Da muss sogar der Tod hüpfen.

Do, 23. 3., 20 Uhr + Sa, 25.3., 19 Uhr; + Mo, 27.3. 17 Uhr + Mi, 29.3. 17 Uhr + Do, 30.3., 20 Uhr + Fr, 31.3. 19 Uhr + Sa, 14., 19 Uhr + So, 2.4., 17 Uhr + Mi, 5.4., 21.15 Uhr, jeweils Metropolis

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