: Ein Novum: „Sechzehn Tage bei der RAF“
Lange vor Verhandlungsbeginn hat sich eine Menschentraube zwischen Außenzaun und der eisernen Drehtür des Stammheimer Prozeßgebäudes gebildet. Meist junge Menschen, nur wenig ältere Gesichter. Ein elegant gekleidetes Paar, das allem Anschein nach zum ersten Mal hier ist.
„Ein Herr, eine Dame, wieder ein Herr“, ordnet der unsichtbare Lautsprecher. Dann dreht sich das Kreuz, eine Panzerglastür läßt sich öffnen, Durchsuchung mit Sonden, Wegnahme aller beweglichen Gegenstände, Abtasten mit Aids -Handschuhen - das Procedere ist oft genug beschrieben worden.
Schließlich noch zwei eiserne Drehkreuze, der Prozeßsaal ist mit mehr als zweihundert Menschen überfüllt. „Erheben sie sich!“ Richter Herbert Schmid besteht auf der Würdigung des Gerichts. „Da sitzen noch zwei.“ Gehorsam greifen die Saaldiener der Polizei ein. „Die Beweisaufnahme ist abgeschlossen.“ Nein, fordert die Verteidigung und beantragt ein letztes Mal, weitere sechs Sachverständige zum Beweis dafür zu hören, daß ihre Mandanten nicht, wie die Anklage behauptet, Urheber handschriftlicher Parolen und der Bekennerschreiben gewesen seien. Das Gericht zieht sich zur Beratung zurück, der Antrag wird abgelehnt. Daß der bereits gehörte Schriftgutachter früher unter tausenden von Gutachten auch mal einen Fehler gemacht habe, sei für den Senat kein Grund, an seiner Qualifikation zu zweifeln. Ende der Beweisaufnahme: Wollen sie jetzt plädieren?
Bereits Mitte 1987, so Rechtsanwalt Klusmeyer, seien die Ermittlungen zum Sprengstoffanschlag auf die Firma Dornier eingestellt worden. Dann aber habe die Bundesanwaltschaft einen Hamburger Schriftsachverständigen ausfindig gemacht, der nicht nur den bereits im vergangenen Jahr verurteilten Christian Kluth, sondern ebenso seine Mandanten und einen weiteren Beschuldigten bezichtigte, Urheber von Parolen zu sein, die nach dem Anschlag verbreitet worden waren. Die Düsseldorfer Kiefernstraße sei dann von den Medien aus politischen Gründen zum Terrornest und Wohnsitz der RAF hochstilisiert worden.
Außer den Schriftgutachten gebe es bis heute keine Beweise für eine Tatbeteiligung von Andrea Sievering und Eric Prauss. Was gegen die Täterschaft der beiden spreche, sei von der Bundesanwaltschaft bewußt aus den Akten gelassen worden, hier gehe es allein um das politische Bewußtsein seiner Mandanten - beide hätten schließlich in der Kiefernstraße gewohnt.
Natürlich, so schließt Rechtsanwalt Viergutz an, habe sein Mandant politischen Widerstand gegen menschenverachtende Projekte wie die Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf oder die Entwicklung der Gentechnologie geleistet. Alle vier Personen - Christian Kluth, Rolf Hartung und die beiden Angeklagten - seien von der Bundesanwaltschaft in die RAF hineindefiniert worden. Aus ihren eigenen Konstruktionen (legaler und illegaler RAF, legalen und illegalen Militanten, der Front) mache das Gericht dann die Gesamt -RAF. Für eine Mitgliedschaft seiner Mandanten - blieben („ein Novum“) laut Beweisaufnahme gerade noch 16 Tage - die letzten Tage vor der Verhaftung von Frau Haule-Frimpong und Christian Kluth. Aber der Senat, so Viergutz, werde das für sein Urteil schon richten.
Und dafür wolle und müsse das Gericht an dem Schriftgutachten des Hamburger Graphologen Hans Ockelmann festhalten. Der habe, blasiert, arrogant und ausschließlich von sich selbst überzeugt, alles stehen und liegen lassen, um der Bundesanwaltschaft zu Diensten zu sein. Viergutz: „Das Gericht weiß, daß der Experte faul ist!“
Aus persönlichen und politischen Bekanntschaften und Beziehungen der Angeklagten mit anderen, so Rechtsanwalt Klusmeyer, werde der Gesamtzusammenhang RAF hergestellt, verurteilt werde hier der revolutionäre Widerstand in der BRD.
Ein letztes Mal vor dem Urteil haben die Angeklagten am Nachmittag Gelegenheit, sich selbst zu erklären. Doch bis dahin ist noch Zeit. In der Mittagspause gleicht das Foyer des Stammheimer Prozeßbunkers einer Open-Air-Veranstaltung. Über zweihundert Menschen sitzen und stehen herum oder liegen auf den kleinen Stücken Teppichboden der betonierten Vorhalle, diskutieren miteinander und warten auf die Erklärung ihrer politischen Freunde.
In ihrer Schlußerklärung betont dann Anderea Sievering, militant sein sei für sie eine Haltung zu leben, auf den Angriff hin zu denken und zu überlegen, wie imperialistische Macht zerrüttet werden könne. Durch die Anti-AKW-Bwegung sei die Atompolitik der Bundesrepubik zwar verzögert, aber nicht verhindert worden. „Es war wichtig zu erkennen, mit welcher Macht man konfrontiert gewesen ist: Zerstörung von Mensch und Natur durch High-Tech-Kultur und Gentechnik, die bestimmt, was lebenswert ist und was nicht, das Ausmerzen von lebendiger Kommunikation.“
Und weiter: „Die Organisation des militanten Widerstand in der Bundesrepublik ist nur illegal möglich.“ Sie selbst jedoch seien beide weder Mitglieder der RAF noch illegale Militante gewesen. Jeder, der mit der RAF kämpfe, habe sich für Guerilla-Politik entschieden, und das sei nicht ihre Entscheidung. „Wir sind nicht RAF, aber auch als Widerstand keine Organisation.“ Jede kleine Gruppe plane vielmehr ihre eigenen Aktivitäten. „Was uns verbindet, ist das revolutionäre Ziel und die politische Einheit.“
Eric Prauss sagt in seinem Schlußwort, der Staat greife mit der Anklage gegen sie politische Prozesse an, um sie zu vernichten, offener Widerstand werde mit Terror überzogen. Die Anklage gegen sie beide sei nur ein Hebel, um den Widerstand in der Düsseldorfer Kiefernstraße zu zerschlagen, die er ins Zentraum seine Anti-Guerilla-Kriegs gestellt habe. Der anti-imperialistische Kampf solle sich dort gar nicht erst entwickeln.
Dem Plädoyer folgt das Absingen der Internationalen durch Zuhörer und Angeklagte, Rufe nach der Zusammenlegung aller politischer Gefangenen. “... erkämpft das Menschenrecht.“
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