Ein Nachruf: Eine seltsame Art von Melancholie

Zum Ende des Lebens kam der weltweite Ruhm: Der Bremer Maler Norbert Schwontkowski ist vergangenen Freitag nach einer schweren Krankheit gestorben.

In seinem Atelier: Der Bremer Maler Norbert Schwontkowski. Bild: Kathrin Doepner

BREMEN taz |Am vergangenen Freitag ist der Bremer Maler Norbert Schwontkowski infolge einer kurzen und schweren Krankheit 64-jährig verstorben. Er hinterlässt ein Werk, in dem Glaube und Zweifel nebeneinander Platz haben. Es mutet seltsam an, solche Bilder eines eben Verstorbenen zu betrachten.

Aus seinen Bildern sprach schon immer eine seltsame Art von Melancholie. Realitätssplitter und Traum, ein wenig Sarkasmus, ein wenig Utopie – eine eigenartige Gemengelage. „Flamingo“ von 2009 etwa: Das großformatige Ölbild zeigt eine Art Industrielandschaft.

Über den Hintergrund erstrecken sich Rohre, Gasbehälter und Schornsteine. Insignien der Umweltverschmutzung. Ein Szenario wie aus den Distopien der 80er-Jahre. Man denkt an giftige Gase und Abwässer, an Tod und Elend. Diese Landschaft aber ist in ein sanftes Rosa getaucht. Sie scheint zu funkeln, zu leuchten. Im Vordergrund steht eine Gruppe dunkler Flamingos in einem stehenden Gewässer. Nicht, um etwas zu konterkarieren. Die Szenerie erhält viel mehr etwas Magisches, sie wird utopisch. Als gäbe es etwas zu hoffen. Nur: was?

Geboren am 29. 4. 1949 in Bremen-Blumenthal. Von 1968 bis 1973 Studium der freien Malerei an der Bremer Hochschule für Gestaltung und der Hochschule für bildende Künste, Hamburg.

Schwontkowski, der zunächst mit der Bremer "Gruppe Grün" ausstellte, hatte sehr bald einen erheblichen Sammlerkreis, ein ganzes Netz renommierter Galerien weltweit zeigt seine Werke. 1985 als erste hatte die Bremerin Brigitte Seinsoth ihn in das Programm ihrer Galerie beim Steinernen Kreuz aufgenommen.

Seine erste institutionelle Einzelausstellung fand unter dem Titel "Norbert Schwontkowski, Malerei" 1993 in der Kunsthalle Bremerhaven statt, die erste große Werkschau hieß "Norbert Schwontkowski - Kino" und wurde 2004 von der Bremer Kunsthalle gezeigt. Die im April beendete Hamburger Blind Mans Faith-Schau war die erste institutionelle Einzelausstellung jenseits von Bremen.

Neben den Katalogen der Ausstellungen gibt vor allem Susanne Pfeffers 2007 erschienener Band "Norbert Schwontkowski: Vertigo" einen lesenswerten Einblick in das Werk des am 14. Juni gestorbenen Malers.

Auf dem Weg in die Ferne

Hoffnung und Aufbruch sind immer wieder Themen seiner Bilder: Immer wieder sieht man Masten, immer wieder macht sich irgendwo ein Schiff auf den Weg in die Ferne.

Schwontkowski war gläubiger Katholik. Als Schüler besuchte er dasselbe Klosterinternat wie der Künstler Andreas Slominski. Bevor er zu malen anfing, wollte er Pfarrer werden. Sein Denken, sein Sehen sind davon stark beeinflusst. War er ein katholischer Maler? Schwer zu sagen. Er selbst wies darauf hin, dass er erst durch Fra Angelico zur Malerei gekommen sei: Die Begegnung mit dessen Fresken zwischen Mittelalter und Renaissance sei für ihn „eine blitzartige Erkenntnis“ gewesen: „Ja, das ist der Zusammenhang, in dem stehst auch du – und das ist die Malerei.“

So erinnern die Hintergründe von Schwontkowskis Bildern an alte Klostermauern, an denen Fresken mehrerer Jahrhunderte und verschiedene Anstriche einander überdecken, und hier und da aufbrechen, um den Blick auf die Geschichte zu eröffnen.

Oh ja, diese Hintergründe! Während er auf ausgeklügelte Komposition verzichtete – oft genug hat das während des Malens ja noch durchschimmernde Skelett der Staffelei die Platzierung der Motive bestimmt – und die Gegenstände und Personen stets flüchtig und schnell ausführte, um durchaus im Sinne einer surrealen peinture automatique die Kontrolle auszuschalten, sind die Hintergründe Ergebnis zeit- und arbeitsintensiver Prozesse. Stimmungsfelder nannte er sie. „Ich fürchte sogar, das könnte passieren – dass ich irgendwann dahin komme, gegenstandslos zu malen“, hat er mal gesagt. Und das war nur halb ein Scherz.

Die Farbe trug er dafür in dicken Schichten auf und verwendete gelegentlich Eisenoxyde, damit sich der Farbton mit der Zeit änderte. Wenn die Arbeit an einem solchen Bildhintergrund abgeschlossen war, krakelte er dann eine seiner seltsamen Figuren darauf, die stets sehr erzählerisch und oft regelrecht cartoonhaft wirken, wie etwa der radfahrende Pfaffe auf der Flucht vor einer schwarzen Katze.

Gerne machte sich Schwontkowski auf diese Weise über die Malerei lustig. So auch in seinem Ölbild von 2001 mit dem wunderbaren Titel „Wie die Herde zusammenhalten, wie den Tieren die Wolle nehmen“. Darauf ein kopfloser Schäfer mit einer Herde von Schafen, auf deren Körpern die Namen großer Maler wie Goya, Giotto und Malewitsch geschrieben sind.

Dabei hatte Schwontkowski anfänglich vor allem Zeichnungen auf Papier gefertigt. In der Galerie der „Gruppe Grün“ zeigte er Anfang der 80er-Jahre projizierte Super-8-Filme auf Milchflächen und pflanzte Reis. Leinwände konnte er sich damals nicht leisten. Bald darauf entdeckte ihn Brigitte Seinsoth für ihre Galerie beim Steinernen Kreuz. Schwontkowski verkaufte bei seiner ersten Ausstellung bei ihr einige Zeichnungen für insgesamt 2.000 Mark.

Der große Erfolg stellte sich für Schwontkowski erst spät, vor etwa zehn Jahren, ein. 2004 widmete die Bremer Kunsthalle ihm eine große Ausstellung. Wichtige Galerien wie die Berliner Contemporary Fine Arts und die New Yorker Mitchell-Innes & Nash hatten den Maler entdeckt und nahmen ihn in ihr Programm auf. Noch Anfang des Jahres hatte der Hamburger Kunstverein ihm eine große monografische Ausstellung unter dem Titel „The Blind Man’s Faith“ gewidmet, die im April zu Ende ging. Wenige Tage nach der vielbeachteten Eröffnung erhielt er die ärztliche Diagnose. Da war sein Körper bereits angeschlagen.

Treue zu Bremen

Schwontkowski, der zwischenzeitlich am Caspar-David-Friedrich-Institut der Uni Greifswald Malerei lehrte und später an der Hamburger Kunsthochschule eine Professur bekam, blieb trotz des weltweiten Ruhms Bremen treu, auch der Bremer Kunstszene. „Das, was ich hier in Bremen mache und das ganze Theater da draußen muss ich auseinanderhalten“, hat er mal gesagt. Sein Atelier hatte er in der Neustädter Häschenstraße. Er stellte weiter bei Seinsoth aus und engagierte sich für die Gesellschaft für Aktuelle Kunst.

„Er war ein unglaublich feiner und großzügiger Mensch, persönlich wie in seinem Werk“, erinnert sich Janneke de Vries, Direktorin der Gesellschaft für Aktuelle Kunst. „Er begegnete seinen Mitmenschen stets auf Augenhöhe. Seinen Erfolg hat er selbstbewusst genossen, aber eine Attitude à la Malerfürst war ihm fremd“, so de Vries weiter. Einmal ist er auf einer Ausstellungseröffnung der viel unbekannteren Künstlerin Shannon Bool aufgetaucht, hat sich ihre Arbeiten angesehen und zu ihr gesagt: „I love your work.“ Bool entgegnete: „I love your work.“ Schwontkowski blieb dabei: „I love your work.“

Begegnungen mit ihm waren stets beeindruckend. Sein Auftreten war geprägt von einem Spiel zwischen Präsenz und Unpräsenz. Es war zwar still – aber mit Nachdruck. An seinem Äußeren zeigte sich manchmal noch sein früherer Berufswunsch. In seinen dunklen Anzügen, zu denen er weiße Hemden und schwarze Schals trug, wirkte er recht priesterlich – wenigstens solange das dicke Tattoo auf dem Oberarm verborgen blieb. Die schwarzen Brillenränder gaben seinen auseinanderlaufenden Pupillen, wie die Bilderrahmen seinen verrückten Bildgestalten, etwas äußere Ordnung. Es ist schön, sich an ihn zu erinnern. Und tieftraurig.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.