Ein Monat Elbphilharmonie Hamburg: „Wir müssen die Halle rocken“

Andrea Rothaug vom Verein RockCity Hamburg über den Leuchturmcharakter des Bauwerks, die Anmutung der HafenCity und Musikförderung als Herausforderung.

Der Umriss der Elbphilharmonie vor dem Himmel

So wie die Oper in Sydney? Elbphilharmonie in Hamburg Foto: dpa

taz.am wochenende: ­Andrea Rothaug, vor einem Monat wurde die Elbphilharmonie eröffnet, die ganze Welt blickt auf Hamburg. Hat ­solche ­Aufmerksamkeit bisher gefehlt?

Andrea Rothaug: Die Sehnsucht nach gutem Gelingen zum neuen Wahrzeichen war bei den Hamburgern nach einer vermurksten Baugeschichte groß. Wir wollen heute, dass es als „Haus für alle“ funktioniert, und wir setzen großes Vertrauen hinein, aber mehr noch in das Team um Generalintendant Lieben-Seutter. Das ist eine vielversprechende Arbeitsgrundlage, besonders für die Musiktreibenden der Stadt.

Das Bauwerk wird schon mit der Oper in Sydney verglichen, berechtigterweise?

Das Opera House in Sydney kostete das Fünfzehnfache des zunächst veranschlagten Preises und wurde am Ende mithilfe einer Lotterie finanziert. Es würde mir gefallen, wenn Hamburg künftig ähnlich pfiffige Finanzierungsmodelle für seine Häuser ins Leben riefe. Fakt ist, dass die hanseatische Großmannssucht im Vergleich im Rahmen geblieben ist und die Elbphilharmonie wider Erwarten kein ruinöses Wahrzeichen eines Bilbao-Effekts ist. Wir haben einen Ort, der so viel Aufmerksamkeit erzeugt, dass Musiker*innen in die Stadt kommen, die für unsere Szenen enorm wichtig sein können. Kulturelle Vielfalt, Experimentierräume, Kom­posi­tions­werk­stät­ten, Internationalisierung, Diversität, Teilhabe sind Stichworte, die mir hier als Erstes einfallen. Es geht also hier nicht um die ewig gleiche Repetition von Gefälligkeit. Wir müssen die Halle rocken!

Kann von dem Leuchtturmcharakter eine Szene profitieren, die eher im Schatten operiert, wie etwa der nahe gelegene Pudel Club?

Die Elbphilharmonie kann es schaffen, die Grenze zwischen E- und U-Musik mit einer sympathischen Rücksichtslosigkeit zu überschreiten und gleichzeitig Unterschiede zu leben. Besonders interessant ist der kleine Saal. Hier könnte die Elbphilhar­monie ihren Leuchtturmcharakter tatsächlich durch Kollaboration mit den lokalen Szenen neu definieren. Wir stehen bereit, hier jederzeit aktiv mitzugestalten.

Sie kämpfen seit Langem darum, Gelder für subkulturelle Projekte bewilligt zu bekommen. Wird das nun schwieriger, andernorts in Hamburg etwas Sinnvolles zu machen?

Es ist richtig, in Hamburg lokalisiert sich die Szene auf St. Pauli und das Schanzenviertel. Entsprechend verdichtet sind hier auch Probleme mit Räumlichkeiten. Das Viertel und seine Bewohner verteidigen jeden Zentimeter Raum, der für Büros und Eigentumswohnungen draufgehen soll, bis aufs Messer. Wir setzen uns ein für Freiräume, günstige Mietpreise und gegen Leerstände. Kultur braucht Raum, ob auf St. Pauli oder auf der Veddel. Aber Kultur braucht Raum auch im Geiste – Visionen, Ideen und Ziele. Wir müssen uns einmischen, zeigen, dass Hamburg genau dann eine Musikstadt sein kann, wenn es sich auf seinen Titel „Freie“ und Musikstadt Hamburg besinnt. Freiheit findet in unseren Köpfen statt. Ohne Avantgarde keine Trends, ohne Experiment keine Exzellenz. Deshalb ist die Stadt gut beraten, ihre In­ves­ti­tio­nen in die freien Szenen jetzt zu intensivieren, damit die Elbphilharmonie ihren haus­eigenen grenzüberschreitenden experimentellen Nachwuchs zu erzeugen vermag.

Der Mensch: Aufgewachsen in Lütjenburg und Hamburg, Studium der Sprachwissenschaften. 2005 gründete sie den Verein RockCity Hamburg, für den sie als Geschäftsführerin arbeitet.

Die Musiklobbyistin: Andrea Rothaug ist Mit­begründerin des Club­kombinats Hamburg, des lokalen Platten­ladens „Hanse­platte – Musik von hier“, des Hamburger Musikerpreises „Krach + Getöse“ und der Interessengemeinschaft Hamburger Musikwirtschaft

Kann die Elbphilharmonie auch helfen, festgefahrene Konflikte zu lösen?

Ich bin nicht naiv genug, zu glauben, dass die Elbphilharmonie ein gegenwartsgelebter Ort des popmusikalischen Experiments werden wird. Und das ist ja leider auch der zweite musikalische Leuchtturm Hamburgs, das erfolgreiche Reeperbahnfestival, nicht. Genau hier geraten Musikszenen und die versprochene Zugewandtheit ins Wanken: Wo bleiben die lokalen Acts, wo bleiben die Nischen, die musikalischen Experimente, die intrakulturellen Projekte?

Angesichts von 789 Millionen Euro Baukosten der Elbphilharmonie, hätte die Stadt da nicht auch dem Pudel Club mit einer symbolischen Zuwendung wieder auf die Beine helfen können?

Obwohl die politische Landschaft in Hamburg doch sehr kulturfern ist, war besonders der ehemalige Kultursenatorin Barbara Kisseler bewusst, dass der Elbtempel nur Beine kriegt, wenn es Füße gibt, auf denen er stehen kann: junge Künstler*innen mit spannenden Projekten, die in den Clubs wachsen können. Doch bis heute fehlt es an einem schlüssigen Fördermodell im Sinne eines funktionierenden Gesamtkonzepts für die Musik. Wir arbeiten mit hoher Anerkennung, schaffen Strukturen, Hilfestellungen, Weiterbildung, aber immer am Rande der Selbstausbeutung. Ebenso geht es vielen Clubs, kleinen Labels und Künstlern. Von außen sieht es heute ganz gut aus, aber Nachwuchs, Nische und neue Künstler*innen bekommen im Verhältnis zu den Leuchttürmen zu wenig. In Hamburg muss sich Förderung eben lohnen. Im Gängeviertel ist es gelungen, im Pudel leider noch nicht.

Die Hansestadt fördert die Elbphilharmonie mit jährlich allein 6 Millionen Euro, um Tickets erschwinglich zu halten. Fehlt dieses Geld an anderer Stelle?

Die Befürchtungen sind groß in einer wachsenden Stadt, die die Kunst vermehrt als Profitcenter sieht.

Wie sehen Sie denn allgemein die Entwicklung, die die Stadt Hamburg seit 2001 genommen hat?

Es gibt kaum noch organisch gewachsene, bezahlbare und frei genutzte Räume. Doch auch der Mangel an Marktteilhabe von Künstler*innen wird zum Problem. Der Weg zwischen musikalischer Erfindung und Markt wird immer länger. Gagen sind erbärmlich, weshalb viele Künst­ler*in­nen in derart vielen Projekten spielen, dass ihren Bands Charakter fehlt. Das wiederum hat Auswirkungen auf die tiefe Identifikation mit dem, was sie tun. Experimentelle, schrille, schräge Töne gehen in der Präsenz im Stadtbild zurück. Neue erfolgreiche Bands gibt es aus Hamburg kaum. Dazu kommt der Ganztags­unterricht und G 8, die es jungen Leuten schwer machen, am Abend eine Band zusammenzutrommeln. Von Entertainmentkonkurrenz, Kulturkonsumverhalten und dem Fehlen digitaler Bildung mal ganz abgesehen.

Im Gebäude der Elbphilharmonie befinden sich ein Luxushotel sowie Nobelapartments. Sie ist Teil der HafenCity, eines Projekts der Stadterneuerung, „wachsende Stadt“ genannt. Ist das ein Stadtteil, mit dem Sie sich identifizieren?

Alte Tugenden wie Disziplin, Treue und Ordnung sind nicht mehr wichtig, heute gehen eher so Sekundärtugenden wie Wandlungsfähigkeit durch. Immerzu müssen wir uns neu erfinden – so auch die HafenCity. Ich laufe seit 2006 regelmäßig zum Koordinierungskreis Kultur HafenCity. Die HafenCity stellt sich als ein sich permanent wandelndes Viertel dar, das seine Inhalte allerdings konzeptgetreu entwickelt. Dazu gehört auch das Bewusstsein, eine Kultur zu schaffen, die die HafenCity zwar nicht in ein Kabinettstück herrlich bunter Selbstwidersprüche verwickelt, aber immerhin einen Kreis der Hamburger Kulturaktivist*innen gründet, die der HafenCity ein Gesicht geben könnte. Der gemeine Hamburger fühlt die HafenCity als Prestigeobjekt, zu dem er irgendwie nicht gehört. Wo Quadratmeterpreise exorbitant sind und wo sehr viel getan wurde, um eine Atmosphäre zu schaffen, in der sich Bewohner, Inhaber und Eigentümer in ihrem mentalen Cocooning wohlfühlen.

Zeitgleich mit der Elbphilharmonie hat Olaf Scholz eine Musikschule in Billstedt eröffnet. Genügt das?

Ich möchte, dass in Hamburg Musik stattfindet. Ich möchte, dass Musiker*innen Spielorte haben. Ich möchte, dass Künstler*innen Lebensläufe aus ihrer Stadt heraus entwickeln können, dass sie teilhaben und nicht abwandern. Das bedeutet aber auch, dass man Musikförderung als Querschnittsaufgabe betrachtet, die bei der kulturellen Bildung beginnt, über Kunst und Kultur bis zu Kreativwirtschaft reicht, aber auch Wissenschaft und Forschung mitdenkt. Dazu gehört Billstedt ebenso wie die HafenCity,

Eine Werbeagentur wurde mit einem Millionenbetrag ausgestattet, um die Elbphilharmonie zu vermarkten: Deren Kampagne „Neu Neu Schwan Stein“ ruft – Ironie! – Schloss Neuschwanstein in Erinnerung, der von König Ludwig II. betriebene Bau hatte das Land Bayern in die Pleite getrieben.

Gigantomanien sind ja immer dem globalisierten Kapitalismus geschuldet, in all seinen Facetten, hierbei wurde stets jede Art von sozialem Ausgleich massiv vernachlässigt. Das gilt immer schon auch für den kulturwirtschaftlichen Bereich. Deshalb wäre ich hingerissen, würde das Team um Lieben-Seutter den gigantomanischen Anspruch erheben, sozial und mutig ein Programm zu bieten, das bezahlbar, einfallsreich, qualitativ hochwertig, partizipativ, weiblich und international ist.

War der Rummel um die Einweihung der Elbphilharmonie dazu angetan, den gesellschaftlichen Zusammenhalt der Hamburger zu betonen?

Die Elbphilharmonie kann als Scharnier zwischen den Welten fungieren; diese Chance bietet nicht zuletzt auch ihre geografische Verortung: zwischen City und Veddel, zwischen Reich und Arm, zwischen E und U. Räume bieten immer Möglichkeiten, jeder sieht etwas anderes darin. Für mich ist es ein Ort für die Musik, und die hören wir alle.

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