Das Portrait: Ein Mann mit Gewissen
■ Haidar Abdel-Shafi
Haidar Abdel-Shafi legte aus Protest gegen die Tugendlosigkeit der palästinensischen Regierung seinen Sitz im Parlament nieder Foto: Reuters
Er hat die Aura eines gütigen Großvaters. Seine Stimme klingt sanft, manchmal fast zerbrechlich. Dennoch verkörpert Haidar Abdel-Shafi Autorität und Unbeugsamkeit. Sein Leben ist ein Spiegel der palästinensischen Geschichte dieses Jahrhunderts. Das Recht auf Selbstbestimmung war für ihn untrennbar verknüpft mit Demokratie und Pluralismus in den eigenen Reihen. Redlichkeit und Integrität war seine moralische und politische Maxime. Weil er diese Tugenden bei der palästinensischen Führung zu sehr vermißte, ist er als Abgeordneter des palästinensischen Parlaments in der vergangenen Woche zurückgetreten.
Der 78jährige Arzt aus Gaza erlebte den Höhepunkt seiner politischen Karriere 1991. Als Leiter der palästinensischen Delegation bei den Madrider Friedensverhandlungen erwarb er sich den Ruf eines ehrlichen, aber harten Verhandlungspartners. Die Forderungen nach Auflösung der israelischen Siedlungen und einem vollständigen israelischen Rückzug aus den besetzten Gebieten standen für ihn nie zur Disposition. Mit den Vereinbarungen von Oslo fühlte er sich persönlich ausgebootet. Dennoch wollte er nicht abseits stehen, als die Palästinenser zum ersten Mal ein eigenes Parlament wählten.
Der langjährige Vorsitzende des Palästinensischen Roten Halbmondes gehörte 1965 zu den Gründern der PLO. Als „kritischer Linker“ stand er schon in den späten 60er Jahren im Gegensatz zur autokratischen Führung von Jassir Arafat. Trotz der auch für ihn gültigen politischen Maxime von der „nationalen palästinensischen Einheit“ hielt er interne Kritik für notwendig und geboten. Mangelnde Demokratie war für ihn der wahre Grund für die Spaltungen in der PLO. Mißwirtschaft und Korruption in den eigenen Reihen haben ihn jetzt resignieren lassen. Es fehle selbst dem Parlament an „Charakter“, wenn es seine Forderung nach Absetzung korrupter Minister und Politiker aus Opportunitätsgründen zurückstelle, ließ er wissen. Haidar Abdel- Shafi hat die britische Mandatszeit, die Staatsgründung Israels, die Vertreibung der Palästinenser, die israelisch- arabischen Kriege und schließlich die Heimkehr der PLO persönlich miterlebt. Daß er nach all den Jahren aufgibt, sollte der palästinensischen Führung zu denken geben. Georg Baltissen
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