Ein Mann kämpft für das Rauchverbot: Der Rauchmelder
Siggi Ermer will, dass Gaststätten das Rauchverbot einhalten. Auf seiner Webseite sammelt er Beschwerden und meldet tabakfreundliche Wirte dem Ordnungsamt.
ERLANGEN taz Was wäre Siggi Ermer ohne seine Nase. Manchmal tippt er sie sanft mit dem Zeigefinger an, als nähme er eine Fährte auf. Oder, wenn er von rauchgeschwängerter Kneipenluft erzählt, rümpft er sie. Sie ist das Zentrum. "Ich bin Ästhet", sagt er. "Ich habe eine feine Nase."
1984: Der fränkische Diplom-Kaufmann Siggi Ermer leistet erstmals in seinem Leben offenen Widerstand gegen die "Zwangsberauchung", wie er sich ausdrückt. An seinem Arbeitsplatz, der Filiale eines großen Finanzdienstleisters in Erlangen, setzt er durch, dass nur noch auf dem Balkon geraucht wird. 2004: Ermer gründet mit 20 Gleichgesinnten den "Pro Rauchfrei e. V. - Lobby der Nichtraucher". Der Verein setzt sich gegen den Tabak und für Rauchverbote ein und zwar durch "Ausschöpfung aller rechtlich zulässigen und verfügbaren Mittel", wie es in der Satzung heißt. Am Ende soll die Gesellschaft rauchfrei sein. 2008: Die Rauchverbote in Kneipen und Restaurants sind in allen Bundesländern in Kraft, werden aber nicht immer eingehalten. Um die Ordnungsämter anzutreiben, bietet Siggi Ermers Pro Rauchfrei ein ausgeklügeltes Beschwerdesystem an: Tabakfreundliche Wirte können übers Internet gemeldet werden.
Im Moment herrschen Idealbedingungen. Ermer, 55 Jahre, Diplom-Kaufmann, atmet die kühle, frische Luft seines Wintergartens. Das Orange des Teegeschirrs harmoniert mit der Tischdecke, die Pflanzen glänzen grün, und draußen fließt Wasser über einen Felsblock. Das Haus steht am Waldrand in einer fränkischen Gemeinde bei Erlangen. Man muss versprechen, den Namen des Ortes nicht in der Zeitung zu erwähnen, wenn man Ermer besuchen will. Nicht dass noch einer der Drohbriefschreiber am Gartentor steht.
Obwohl Ermer sich auch nicht verstecken will. Die Gesetze sind ja inzwischen auf seiner Seite, auch wenn er die Rauchverbote unverzeihlich lasch findet. Und in der Praxis durchsetzen müssen sie sich auch noch.
Er muss sie durchsetzen.
Seit einigen Monaten gelten Nichtraucherschutzregeln für Kneipen und Restaurants. In den meisten Ländern ist das Qualmen auf Nebenräume beschränkt, in Sachsen-Anhalt darf auch der Hauptraum Raucherzimmer sein, und in Berlin werden Bußgelder erst ab dem Sommer verhängt. Weil die Gesetze variieren und obendrein einige Wirte prozessieren, ist alles ein bisschen unübersichtlich. Für den Vollzug sind die Ordnungsämter zuständig, aber sie haben angekündigt, kulant zu sein, bis die Lage übersichtlicher ist. Damit liegt es an den Wirten, ob sie den Aschenbecher wegräumen. Einige finden: Die Aschenbecher bleiben. So entscheiden die nächsten Monate, wie verboten das Rauchen wirklich ist. Wie Schnaps trinken im Gottesdienst? Wie S-Bahn fahren ohne Ticket? Oder nur wie Rad fahren auf dem Fußweg? "Die Raucher", sagt Siggi Ermer, "benehmen sich wie ein Kind, dem sie den Schnuller wegnehmen: Das führt sich auf. Und dann kommt das größte Problem dazu: die Nichtraucher. Weil sie sich nicht trauen. Weil sie sich nicht organisieren. Wir machen es den Leuten leichter." Unter www.pro-rauchfrei.de können Kneipenbesucher ein Formular ausfüllen. Gaststätte, Bundesland, Tatzeitpunkt, Tatvorwurf, Beschwerdeführer, weitere Zeugen, Klick.
Oben im Büro von Siggi Ermer springen die Anzeigen auf den Bildschirm. Er teilt die Daten seinen Mitstreitern in den einzelnen Regionen zu, die das verantwortliche Ordnungsamt ausfindig machen. Ermer setzt im Namen von Pro Rauchfrei e. V. ein Schreiben auf, in dem er den Wirt anzeigt. "Mit freundlichen Grüßen, Siggi Ermer, Diplom-Kaufmann. Vorstandsvorsitzender."
Er hat ein ausgeklügeltes System aufgebaut. Die Vorgänge erfasst er in einer Excel-Tabelle. So behält er den Überblick, wo er nachfassen muss. "Wir müssen davon ausgehen, dass Sie entweder nicht ausreichend tätig oder nicht erfolgreich waren", schreibt er dann der zuständigen Amtsperson.
Auf dem Schreibtisch liegen neun frankierte Umschläge, adressiert an Ordnungsämter in ganz Deutschland. Von Baden-Württemberg hat Ermer einen ordentlichen Eindruck, von Niedersachsen nicht. In seiner Excel-Tabelle stehen 600 Vorgänge. Bisher haben die Behörden selten ein Bußgeld verhängt, eher wurde eine Verwarnung ausgesprochen. Oder es passierte nichts. "Schreibtischhengste!" Sie werden ihn kennen lernen. Ermer kann schlagartig wütend werden. Die Lachfältchen um seine Augen verschwinden dann. Der Mund wird zum Strich.
Er weiß, was negativ belegt ist. Er zeigt keine Raucher an, nur Wirte. "Das hat nichts mit Denunzieren zu tun. Wir gehen ja nicht anonym vor." Seine Bewegung trimmt er auf positiv. Er hat im Verein den Namen "Pro Rauchfrei" durchgesetzt. Auf der Internetseite erscheint eine beruhigende, verschneite Winterlandschaft. Er hat zwar Strafantrag gegen Christian Wulff gestellt, weil der Ministerpräsident sich Feste von der Tabaklobby sponsern ließ. Aber von der Anzeige gegen Helmut Schmidt ließ er die Finger. Den Altkanzler hatte eine Initiative aus Wiesbaden angezeigt. Schmidt war der Held. Ermer lächelt nachsichtig. Bevor er Pro Rauchfrei aufzog, schaute er sich die anderen Vereine an. Der Keiser, die Krauses. Initiativen, die Jahre und Jahrzehnte gegen die Zigarettenlobby verloren hatten. Ermer braucht Erfolge.
Er gründete mit anderen Pro Rauchfrei, focht Kämpfe aus, übernahm die Macht. 1.300 Mitglieder, 250.000 Aufrufe der Website im Monat, schlanke 6.000 Euro Jahresbudget. "Ich bin kein Vereinsmeier. Ich bin Unternehmer. Das muss zack gehen oder gar nicht." Nebenher berät er nur ein paar Ärzte, die in Ruhestand treten und ihre Praxis verkaufen. Er sagt, dass er täglich zehn Stunden für Pro Rauchfrei arbeitet. Siggi Ermer, Vorstandsvorsitzender von Deutschlands größtem Nichtraucherverband.
Einmal hat ein Kneipier gebrüllt, er werde ihn umbringen. Er meldete ihn der Polizei. In seinem Büro hat er den Brief eines Diskobetreibers aus Mannheim archiviert. "Selbsternannter Ordnungswächter! Sendungsbesessener Eiferer!" Am Ende des Briefes wird dem gesamten Pro Rauchfrei e. V. Hausverbot erteilt. Ermer kichert. So ein Loser. Wie will der Mann einem Verein Hausverbot erteilen?
Als Siggi Ermer 15 war, hat er in der katholischen Jugend einen Betreuer erlebt, der Zigarillos an die Jugendlichen verteilte. Er mochte sie nicht. Er sagt, dass er auch keine Mädchen küssen wollte, die nach Rauch schmeckten. Er hat sich trotzdem ein vergoldetes Feuerzeug gekauft, um ein richtiger Kavalier sein zu können. Als er bei einem Finanzdienstleister anfing, wurde in der Geschäftsstelle geraucht. Ermer stieg zum Regionalchef auf. Wenn er um 9 Uhr zur Arbeit kam, hatte die Sekretärin schon gequalmt. "Einmal war sie krank. Ich habe Schreibunterlagen gesucht und eine ganze Schublade war voll mit Schachteln. Ein paar Jahre später hab ich gehört, dass sie an Krebs gestorben ist. Mit Anfang dreißig." Ermer hat die Kollegen in der Geschäftsstelle auf den Balkon geschickt. Als das Büro umzog, gab es keinen Balkon mehr. Er hatte auch keine Lust mehr, den Tabak nach Feierabend zu riechen. "Für mich ist das ein ästhetischer und hygienischer Gesichtspunkt. Staub, Schmutz, gelbe Finger, gelbe Fingernägel, gelbe Zähne, Mundgeruch. Ich kann das nicht leiden."
Einmal, in Berlin, brach er in einem Restaurant am Gendarmenmarkt das Essen ab, weil ihm die Luft zu dick war. "Schicken Sie mir die Rechnung, ich geh." Der Wirt rief die Polizei. Ermer hatte seine Papiere im Wagen. Er erzählt, wie die Beamten über sein teures Auto gestaunt haben. Ein Sieg.
Es muss ein langer Weg gewesen sein. Wenn er beschreibt, wie ihm bei Streitereien Rauch entgegengeblasen wurde, flattert Nervosität über sein Gesicht. Man kann sich vorstellen, wie ein Raucher dem einsfünfundsiebzig großen Franken mit einem Grinsen den Qualm ins Gesicht pustet. Ihn einhüllt in das Gefühl, spießig zu sein.
Der Spielverderber, der Außenseiter, das war die Rolle, die Raucher Nichtrauchern gern zugewiesen haben. Siggi Ermer ist die Rache.
2001 war er ganz oben. Der Finanzdienstleister, für den er arbeitete, rückte in den DAX auf. Er hielt selbst Aktien seiner Firma, und die stiegen und stiegen. Er war Millionär. Er besaß ein gepflegtes Haus und konnte mit seiner Frau und den Töchtern durch die Welt reisen. Wenn er essen gehen wollte, rief er vorher den Wirt an, damit der das Restaurant rauchfrei machte für diesen Abend. Er plante drei Projekte: eine Stiftung gegen den Tabak. Rauchfreie Jugendclubs, in der jede Woche eine coole Band spielen sollte. Ein Sternerestaurant in Köln - das Haus am Rhein hatte er sich schon ausgeguckt.
Der Aktienkurs stürzte ab. Ermer verlor. Er sagt nicht genau, wie viel, er erzählt es nicht sarkastisch und nicht zornig. Seine Mine ist ganz bewegungslos dabei.
Er fährt nach wie vor Mercedes. Der Regen prasselt aufs Winterdach des Cabrios, es geht nach Erlangen. An der Straße hängen noch Plakate von den Kommunalwahlen in Bayern. Kommunalpolitik, er lächelt. Bundestag, das könnte er sich noch mal vorstellen! Aber in welcher Partei? Er war mal mit einem Bekannten auf einem FDP-Bundesparteitag. Als er die Philip-Morris-Lounge sah, war es aus. Und der CSU, die jetzt eingeknickt ist und das Rauchen in Bierzelten wieder erlaubt, droht er für die Landtagswahl im September mit Aufrufen zum Wahlboykott.
Es ist ein Montagabend. Ermer führt durch die Altstadt. Bei einem Spanier trinkt er ein Radler, bei einem Wirtshaus lugt er zum Fenster rein. Die Kneipen sind gut gefüllt, trotz Montag, trotz Rauchverbot. Ein Triumphzug für den Mann, der in der Schlacht um die Gesetze Mailaktionen an Politiker in allen Landeshauptstädten organisiert hat. Das Rauchen ist verboten und kein Kneipensterben weit und breit. Aber Ermer eilt mit dem Regenschirm in der Hand immer weiter. Er sucht etwas.
Er betritt einen Durchgang, der zum Druckhaus führt, einer eingeführten Studentenkneipe. Hinter einer Glastür steht der Qualm. An einem Tisch sitzt eine junge Frau, die Hände auf einer Geldkassette. "Heute ist Pokerabend", sagt sie. In geschlossenen Gesellschaften erlaubt das bayerische Gesetz das Rauchen. Deshalb deklarieren sich einige Kneipen in Clubs um, denen jeder sofort beitreten kann. "Wir sind doch drin", sagt Ermer. "Wieso geschlossene Gesellschaft?" Er schnuppert. "Ich stink jetzt schon." Im Durchgang kommt der Wirt hinterher. Gunther Beckert, er trägt das Hemd lässig über der Jeans. Beckert redet los, gestikuliert, berichtet vom harten Los seiner irischen Kollegen, zitiert einen Freund, der Chirurg sei, kündigt an, dass er bis Pfingsten zumachen müsse bei 30 Prozent Einbußen.
Der Wirt zieht an einer Dunhill. Überlegenes Grinsen. Ermer umklammert seinen Schirm. "Die Gesundheit ist wichtig", sagt er.
"Ich bin dick dabei und bin gesund."
"Sie haben doch trotzdem ein höheres Risiko."
"Ich hab mit 14 angefangen, ich rauch seit 30 Jahren. Das ist meine Freiheit."
"Und die Freiheit der Nichtraucher?" Ermer fängt sich wieder.
"Warum müssen wir das schärfste Nichtrauchergesetz in ganz Europa haben?"
"Jetzt aber! Was ist mit Frankreich oder England?"
"Ist England in der EU?" Er hat ihn.
Der Wirt zögert. Ohne Rauch rieche es nach Schweiß und Essen, fällt ihm ein.
Ermer tritt auf die Straße hinaus. Er schaut angewidert. "Hoffentlich hab ich mir keinen Krebs geholt. Ein Molekül reicht."
Der Abend ist kühl, es nieselt. Siggi Ermer zieht durch die Nase die Luft ein. Es gibt also noch was zu tun. Er sieht zufrieden aus.
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