Prohibition macht erfinderisch: Eine Typologie der Suchtecken

Der Staat stellt Verbotsschilder auf, die Bürger gehen daran vorbei. Oder in die Raucher-Lounge - je nach Milieuzugehörigkeit in ein anderes Modell.

Rauchen? Sowieso und überhaupt und immer schon, nach dem Rauchverbot eben auf kleinerem Raum . Bild: steffne/photocase

Die Zigarettenpackungen werden immer größer, mittlerweile enthält manche Big-Box schon dreißig Zigaretten. Im Gegensatz dazu wird der öffentliche Raum, in dem Rauchen noch möglich ist, immer kleiner - und dafür intensiv genutzt. Es ist so, als ob die Verkehrsbetriebe streiken: Man nimmt das Rad, geht zu Fuß oder wartet auf den behelfsmäßigen Ersatzbus. Er entspricht in etwa der Raucher-Lounge: Meist zu klein und überfüllt, manchmal muss man lange auf einen Platz warten oder stehen - der öffentliche Raum wurde durch das gesetzliche Rauchverbot parzelliert, und die rauchenden Bürger versuchen sich möglichst in den Gegebenheiten einzurichten. Am besten ohne Gesichtsverlust und unter Wahrung ihrer Interessen - dem Rauchen.

Je nach Gesetzeslage, also je nach Bundesland, eröffnen sich kleinere oder größere Freiräume. Nach dem rheinland-pfälzischen erlaubt nun auch Sachsens Verfassungsgericht, dass vorläufig in Einraumkneipen weiter geraucht wird. In Sachsen ist Rauchen in der Gastronomie wie in den meisten Bundesländern nur noch in Nebenräumen erlaubt. In Bayern darf in Oktoberfestzelten geraucht werden, aber nur noch dieses Jahr. Derzeit scheint zu gelten: Es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Stattdessen können Raucher und Nichtraucher, die gemeinsam ausgehen wollen, selbst entscheiden, ob sie den Abend in der Raucher- oder Nichtraucherzone verbringen möchten. Oder hin und her wechseln, wobei die Tendenz zum überfüllten Raucherbereich geht: In vielen Kneipen fungiert der Nichtraucherbereich als Überlaufbecken. Es nimmt dort Platz, wer im (grotesk verqualmten) Raucherbereich keinen Platz findet.

Anderen ist diese liberale Praxis ein Dorn im Auge. Etwa den Lobbyisten des Deutschen Krebsforschungszentrums, die gerade versuchen, ein noch strengeres Rauchverbot zu erreichen: Letzte Woche wurde ein Rechtsgutachten vorgestellt, das dem Bund ermöglichen könnte, doch allgemeine Rauchverbote in Kneipen und Restaurants zu erlassen, unabhängig von den Ländern. "Wir stehen vor einem Flickenteppich", sagte der Kölner Staatsrechtsprofessor Klaus Stern, Verfasser des Gutachtens. "Das schreit geradezu nach einer bundesgesetzlichen Regelung." Am Sitz des dafür potenziell zuständigen Parlaments, also in Berlin, ascht man derweil auf den Flickenteppich und hofft, dort demnächst keinen Beton-Fußboden vorzufinden - je nach Milieuzugehörigkeit in einem anderen Lounge-Modell:

Die Alternativ-Konsens-Bierschwemme

Wenn die Ankerklause am Berliner Maybachufer ein Schiff wäre, dann hätte sie gehörige Schlagseite. Alles drängt sich im Schaufenster-hellen Vorbau, der als Raucherraum fungiert. Im größeren Hauptraum verwaist derweil die Jukebox, und es riecht mangels Tabakgeruch streng nach scheinbar dringend sanierungsbedürftigen Toilettenanlagen und einem Hauch von Duftstein. Hier treffen sich Lonely-Planet-Leser aus Spanien, Jurastudentinnen aus Frankreich, Neu-Berliner, hängengebliebene Kreuzberger Originale und solche, die auf dem Weg dazu sind, Hamburger Poser und Prenzlhipster - alle mit Abitur. Eine traditionelle, alternative Konsens-Bierschwemme vom Feinsten, in der das Rauchen eingeschränkt noch immer zum guten Ton gehört wie die Klassiker des Late-Eighties-Underground, die immer mal wieder ertönen. Zu den Smiths gehört eine Kippe, gleich welches Abstinenzlertum Morrissey auch immer gepflegt haben möge. Die Menschen hier haben schon die ganzen 90er tapfer durchgequarzt und lassen sich (noch) nicht ins Bockshorn jagen. Die glimmende Zigarette fungiert hier als Widerstand gegen das Erwachsenwerden. Aufhören? Vielleicht zum 40. Geburtstag. (Zigarettenmarke: Nil, Lucky Strike, Drehtabake aller Art Getränk: Bitburger vom Fass Raucherschleuse: Keine.)

Die Unterschichts-Kantine

Am unteren Rand der Mittelschicht und darunter greift das ideologische Konstrukt "Rauchen = dumm = Unterschicht" weitgehend ins Leere, vor allem weil man sich selbst nicht in soziologischen Zusammenhängen begreift, sondern versucht über die Runden zu kommen. So trifft sich etwa im Karstadt-Restaurant am Berliner Hermannplatz die überproportional stark rauchende Gesellschaft des "sozialen Brennpunkts" Neukölln: modeschmuckbehangene Rentnerinnen, kleine Angestellte des öffentlichen Dienstes mit SPD-Hintergrund und natürlich Menschen beiderlei Geschlechts, die irgendwann von ihren Eltern mitsamt Wurzeln nach Deutschland gebracht wurden - oder gleich vor Ort gepflanzt wurden. Sie alle blicken rauchend über die Dächer von Deutschlands Vorzeige-Ghetto und essen Schnitzel mit Fertig-Rahmsoße, Pommes und Mischgemüse. Zum anschließenden Filterkaffee wird gemütlich eine durchgezogen. Das Interieur erinnert an Ostseefähren auf dem Weg nach Skandinavien, nur durchbrochen von zwei Starbucks-Zitaten: ein Sessel und ein gemütliches Sofa zum Loungen, was hier jedoch nicht so genannt wird. Besonderer Clou: Wenn das Essen während einer Rauchpause erkaltet sein sollte, kann man es in einer der Profi-Mikrowellen selbst wieder aufwärmen. (Zigarettenmarke: Marlboro, Pall Mall Rauchschleuse: Elektrische Schiebetür Getränk: Filterkaffee)

Die Homo-Bar

Verbote gehören zum kollektiven Gedächtnis der Homosexuellen - und wie man sich mit ihnen arrangiert. Die liebevollste, geschmackvollste, trutschigste Homo-Raucherlounge befindet sich in der Homo-Bar "Hafen" in der Schöneberger Motzstraße, dem traditonellen Epizentrum der Berliner Szene. Sie ist im Stil eines britischen Rauchersalons eingerichtet und doch selbstironisch genug, zu diesem Zweck auf lediglich schwer wirkende Clubsessel zurückzugreifen, deren Holzintarsien aus amerikanischem Plastik sind und auf grazilen Rollen stehen. Dazu eine zickige weiße XL-Lilie als Schmuck - es entspricht ebenfalls einer alten Homo-Tradition, sich in den Widrigkeiten möglichst angenehm einzurichten: Mag das Leben auch unzumutbar sein, man muss es ihm deshalb ja nicht unbedingt ansehen. In der Lounge kommt man problemlos miteinander ins Gespräch - leider drehen sich die Gespräche dort meistens nur um das eine: Rauchen. Nachtlebenaffine Schwule rauchen überproportional häufig - und freuen sich schon jetzt auf den Sommer, denn dann hat der Hafen Saison: Stehrümchen auf dem Trottoir vor der Tür, der größten Raucherlounge Deutschlands überhaupt. An anderen Orten der Szene wird nur noch im Keller geraucht. Im dunklen Keller, in den sich wahrscheinlich kein Kontrolleur des Ordnungsamtes je wagen wird. Taschenlampe mitnehmen. Oder ein Feuerzeug! (Zigarettenmarke: Marlboro Light, John Player Spezial Rauchschleuse: Doppel-Schwingtür mit Guckfenster Getränk: Gin Tonic, Becks)

Die hippe Studentenkemenate

Der Prenzlauer Berg steht als Symbol neuer deutscher Bürgerlichkeit unter verstärkter Beobachtung, und vor allem unter dem Verdacht, Brutstätte des neuen Bionade-Biedermeierzeitalters zu sein, wie es so schön in der Zeit hieß. Hier wohnt und brütet die Zukunft des deutschen Bürgertums und diese ist tendenziell rauchfrei. Man nimmt die Begriffe "Szene" und "Underground" gerne mal in den Mund, inhaliert aber lieber nicht. Das "An einem Sonntag im August" thront am oberen Ende der "Castingallee" - und wird demnächst in Zonen aufgeteilt. Eine Mauer mitten durch den Kindergarten, der so viele junge Berlin-Touristen anlockt und gerne von Studenten als Frühstücksraum genutzt wird. Bislang sitzt die Mehrzahl der Gäste im hinteren, großen Raucherbereich. Wer selbst nicht raucht, sitzt dort, weil die Freunde rauchen. Hier tummeln sich auch jene Young Folks Anfang zwanzig, die Rauchverbote nicht als besonders tragisch empfinden und sie einfach ohne viel Aufhebens akzeptieren: Sie sind es gewohnt, dass sich einige Freiheiten, die sich ihre Elterngeneration zum Teil erkämpft, zum Teil einfach nur genossen hat, relativiert haben und allmählich eingeschränkt werden: Sex, Drugs, Rock n Roll, Selbstverwirklichung. Gibt es eine Raucherlounge, wird sie genutzt. Wenn nicht, geht man vor die Tür, ohne zu murren: Es hat ja keinen Zweck. Ansonsten raucht man, weil man jung ist und man es nicht tun sollte. Abgrenzung ja, aber mit vorschriftsmäßig gezogener Handbremse. (Zigarettenmarke: Polnische Luckys, West vom Vietnamesen, Gauloises Getränk: Latte Macchiato Rauchschleuse: Noch nicht.)

Der Queer-Punk-Avantgardeladen

In der Kultur-&-Intelligenzija-Szenerie weiß man: Beton ist, was man draus macht - das Möbel-Olfe ist ein trotziger Sichtbeton-Raucherbunker am Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg. Hier wird erst recht, sowieso, trotzdem und schon immer geraucht, bis die Augen tränen. Mit den Verboten hält man es hier wie mit den Grenzen zwischen den Geschlechtern und sexuellen Orientierungen: Sie sind nicht wirklich wichtig. Und ist nicht das ganze Leben eine Art Übergangsfrist? Die Abtrennung eines Raucherraums wäre hier sowieso eine architektonische Herausforderung, also bleibt das Olfe als Ganzes eine Raucherlounge. Vorerst. Man kommt hierher, um sich bei ohrenbetäubender Musik und polnischem Bier intensiv zu unterhalten. Vorsicht mit Brandflecken, denn die Klamotten der Besucher sehen oft nur alt und billig aus. In Wirklichkeit handelt es sich zum Teil um Exponate der Antwerpener Design-Schule und es war verdammt teuer, so billig auszusehen. Das Rauchen entspricht hier einem selbstbewusst getragenen Marschallstab der Bildung und Belesenheit. Eine Attitüde, die gegenüber Demütigungs- und Disziplinierungsversuchen von Mitleid bis sozialer Degradierung resistent ist. Man bemüht sich hier stattdessen als Botschafter des "Cool Germany", dem Ruf von Berlin als dem New York der 80er gerecht zu werden. (Zigarettenmarke: Muratti, Nil, Gitanes Getränk: Zywiec Rauschschleuse: Komplett geflutet.)

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