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Ein Leben der Widerständigkeit

■ Inge Aicher-Scholl, Akteurin der Friedensbewegung und älteste Schwester der Geschwister Scholl, ist gestern in Leutkirch im Alter von 81 Jahren gestorben Von Florian Metzner

Von Florian Metzner

Der Dreh- und Angelpunkt ihres gesamten Lebens war die Geschichte der Widerstandsgruppe „Die Weiße Rose“. Wie hätte es auch anders sein können? Im Alter von 26 Jahren mußte sie die Hinrichtung ihrer jüngeren Geschwister Hans und Sophie Scholl erleben, die mit der Studentengruppe „Weiße Rose“ in der Münchner Universität Flugblätter gegen die Nazis verteilt hatte. Am 22. Februar 1943 fand vor dem Volksgerichtshof unter Vorsitz des berüchtigten Richters Roland Freisler eine dreistündige Schnellverhandlung statt, in der neben anderen die Geschwister Scholl zum Tode verurteilt wurden. Die Todesstrafe wurde noch am selben Nachmittag vollstreckt.

Ihre Erinnerung und ihre Nachforschungen zur Geschichte der überwiegend studentischen Münchner Widerstandsgruppe faßte Inge Aicher-Scholl in ihrem Buch „Die weiße Rose“ bereits 1952 zusammen. Erst 1993 hatte sie ein Buch mit dem Titel „Sippenhaft“ veröffentlicht, das Nachrichten und Botschaften der Familie in der Gestapohaft dokumentierte. Die ganze Familie Scholl hatte unter dem Naziterror zu leiden gehabt. Ihr Vater Robert Scholl, nach 1945 Oberbürgermeister von Ulm, saß mehrere Monate wegen eines sogenannten „Rundfunkverbrechens“ im Zuchthaus. Inge Aicher- Scholl war nach der Hinrichtung ihrer Geschwister vorübergehend in Gestapohaft.

Nach dem Krieg gründete Inge Aicher-Scholl die Ulmer Volkshochschule, wo sie sich engagiert für eine demokratische Volksbildungsarbeit einsetzte. Zusammen mit ihrem Mann, dem Designer und Graphiker Otl Aicher, und dem Künstler Max Bill, der die graphische Gestaltung der Münchner Olympiade von 1972 durchführte, gründete sie 1955 die Ulmer Hochschule für Gestaltung (HfG), für deren Trägerschaft sie die Geschwister-Scholl-Stiftung ins Leben rief. Die HfG, die in Fachkreisen als eine Art bundesrepublikanischer Nachfolger des Dessauer Bauhauses geschätzt wurde, konnte ihren Lehrbetrieb nur zwölf Jahre aufrechterhalten. Der Stuttgarter Landtag strich 1967 weitere Fördermittel, was Inge Aicher-Scholl als „politische Verständnislosigkeit“ kritisierte.

In den achtziger Jahren war Inge Aicher-Scholl eine vehemente Akteurin der Friedensbewegung. Unter anderem nahm sie 1985 an der berühmt gewordenen Sitzblockade von Mutlangen teil, worin sie neben Künstlern und Intellektuellen wie Wolf Biermann und Walter Jens ihr Verständnis von zivilem Ungehorsam zum Ausdruck brachte. Dafür wurde sie später zu einer Geldstrafe von 800 Mark verurteilt.

Inge Aicher-Scholl ist gestern in ihrem Haus in Leutkirch im Allgäu im Alter von 81 Jahren gestorben. Ihr letztes Wort war allein „Tschüs!“, teilte ihr Sohn Julian Aicher mit.

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