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: Ein Kleid mit Hang zu Mord

„Das blutrote Kleid“ (GB 2019, Regie Peter Strickland). Die DVD ist ab rund 13 Euro im Handel erhältlich.

Es ist nicht einfach, ein Label für Peter Stricklands Film „Das blutrote Kleid“ zu finden. In den einschlägigen Shops steht er im Horror-Regal, das DVD-Cover fügt zum Eindruck des Schreckens das Klischee von Erotik hinzu. Die ersten Kundenkommentare, die man im Netz zu lesen bekommt, zeugen jedoch von massiver Enttäuschungserwartung.

Und was soll man auch von einem Horrorfilm halten, dessen Slasher der im (deutschen) Titel genannte Protagonist ist: das rote Kleid nämlich, es hat am Ende mehr als eine Person auf dem Gewissen. Und was von einem Film, dessen gewagteste erotische Szene in der Masturbation einer weiblichen Kleiderpuppe mit sehr viel Schamhaar besteht, die dann aus ihrer Vulva zu bluten beginnt?

Die Kennerin weiß natürlich: Sie hat es mit Peter Strickland zu tun, einem Regisseur, bei dem der Fetisch regiert. Er ist geborener Brite, aber seine Liebe gilt vor allem dem Giallo, den immer etwas schmierigen Thrillern der Siebziger von Regisseuren wie Mario Bava, Dario Argento oder Lucio Fulci, in denen nicht die Logik regiert, sondern der stets schräge, aber oft intensive, um extreme filmische Mittel nicht verlegene Hang zu Mord, Spannung und Blut.

Die Filme haben heute fast mehr Fans als in ihrer Zeit, weil sie Stimmung, nicht Zusammenhang in den Vordergrund stellen, weil sie grelle filmische Sekundärtugenden wie rabiate Kamera, musikalische Trancen, fetischisierende Insistenz, Liebe zu allem, was Schund ist, vermeintlichen Primärtugenden wie Plot, Sinn, Psychologie vorziehen. In Deutschland bezieht sich Dominik Graf explizit und mal mehr, mal weniger offensiv auf dieses Genre, das keines ist.

Und in Großbritannien ist Peter Strickland der größte Filmemacher gewordene Fan, einer, der auf Sinn und Zusammenhang wenig Rücksicht nimmt, dafür umso insistenter seinen Fetischen folgt. „In Fabric“ heißt der Film im Original, nennt also expliziter als die deutsche Version das Material, den Stoff, die Textur. Alles Dinge, die er nicht nur hier in den Vordergrund rückt.

Wieder und wieder wird das rote Kleid als schwebendes, tanzendes (auch: attackierendes) Stück Stoff vor schwarzem Hintergrund freigestellt, vom Blick der Kamera verfolgt und liebkost. Ganz besondere Liebe gilt bei Strickland stets auch dem Sound, sein zweiter Film „Berberian Sound Studio“, der einen Giallo-Sound-Ingenieur ins Zentrum stellt, zeugt deutlich davon. Einzelne Geräusche und Klänge treten bedrohlich aus dem Soundscape hervor, musikalisch verschiebt die Band Cavern of Anti-Matter ihren Krautrock in Richtung siebziger Jahre.

Wichtige Rollen spielen neben alldem: ein Kaufhaus mit einigermaßen barock gekleideten Verkäuferinnen, die im Zweifel mit heftigem Akzent in gewundenen Metaphern und gezierten Aphorismen sprechen; Waschmaschinen, die sich zerlegen beziehungsweise vom blut- beziehungsweise arterienroten (so steht es im Katalog) Kleid zerlegt werden; ein Waschmaschinen-Reparateur (Leo Bill), der mit höchst technischen Erklärungen Frauen erotisch fixiert. Dass er auftauchen wird, damit ist wiederum gar nicht zu rechnen, denn die ganze erste Hälfte des Films erzählt die Geschichte einer Frau namens Sheila (Marianne Jean-Baptiste), die sich nach dem Tod ihres Mannes auf Partnersuche begibt.

Was das alles soll, ist nicht ganz die richtige Frage. Man kann sich dem überlassen, auch die dazwischengesprenkelten Experimentalfilmsequenzen genießen, wenn man denn will. Denn wie das mit dem Gegenstand von Fetischen nun mal so ist: Die eine fährt darauf ab, der andere nicht.

Dass der Film mit seiner Liebe zu Sound, Textur, Rhythmus ausgesprochen gekonnt inszeniert ist, steht immerhin außer Frage. Der Rest muss Geschmackssache bleiben.

Ekkehard Knörer