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abschiedsbesuch der alten dameEin Kerl, der auszog, die Welt zu erobern

HERTHA, EIN MÄRCHEN

Es war einmal ein armer Kerl, der hockte in seiner Kate, und die Armut und die Beschwernis des Lebens drückten ihm arg aufs Gemüt. Er lebte von der Hand in den Mund. Oder von der Luft. Schwindsüchtiges Getier schleppte sich über den Hof. Der Ochs war zu schwach, er selbst zu hager, um den Pflug durch den schweren Boden zu führen. Als der Kerl seine vertrackte Lage bedachte, seufzte er tief, so tief, dass eine Fee, die gerade an seiner Hütte vorbeischwebte, auf ihn aufmerksam wurde. Sie erschien und sprach zu ihm: Ich sehe, dein Dasein ist erbärmlich, doch ich bin gekommen, dich von deinem Schicksal zu erlösen: Du hast drei Wünsche frei.

Der Kerl überlegte einen Tag, dann wünschte er sich: Wie mein Lehensherr will ich leben, in einer Kutsche fahren, mein schäbiges Gewand will ich eintauschen gegen einen güldenen Mantel, ganz oben im Turm des Schlosses wohnen, und die Kunde von der wunderbaren Wandlung des Bettel- zum Edelmann soll in jede Stube des Reiches getragen werden.

Die Fee sprach: Dieser Wunsch sei dir frei.

Dann überlegte der Kerl geschlagene zwei Tage. Und sprach: Eine große Stadt soll mich umgeben, eine Stadt, die dem Kaiser als Pfalz diene und in der Zepter und Reichsapfel wohl behütet sein mögen. Ich aber will die großen Adelsleut’ Europas zu mir bitten, sie bei Gelegenheit reichlich beschenken; die Narren sollen toben; Tore Purzelbäume schlagen.

Die Fee sprach: Auch dieser Wunsch sei dir frei.

Den dritten Wunsch sparte sich der Kerl auf. Ich will nicht alles auf einmal begehren, dachte er sich. Doch dann überkam es ihn. Er hatte so viel Gefallen am Pomp gefunden und an der Liebedienerei der Untertanen, da rief er der Fee zu: So viel habe ich erreicht, doch nun, da ein neues Jahrtausend dräut anzubrechen, will ich Land besitzen, viel Land.

Die Fee sprach: So viel Land sollst du dein eigen nennen, wie du von Sonnenaufgang bis -untergang umschreiten kannst. Nur musst du rechtzeitig zum Ausgangspunkt deiner Wanderung zurückkehren. Andernfalls wirst du so arm wie eine Kirchenmaus sein.

Au ja, freute sich der Kerl. Alsbald schnürte er Säckel und Stiefel. Doch vor der Wanderung tanzte er auf mehreren Hochzeiten. Das machte ihn sehr müde. Die Sonne ging auf und der Kerl verschlief. Die Schatten waren schon recht kurz geworden, da schreckte er hoch. Verzweifelt wandte er sich an die Fee. Die sprach: Noch liegt die Welt dir zu Füßen, du musst nur schnell loslaufen. Da nahm der Kerl all seinen Willen zusammen und schritt Meter um Meter unverdrossen ab.

Er kam gut voran, auch wenn ihn Gedanken an Gelage mit gekrönten Häuptern Persiens, Italiens oder Böhmens ablenkten. Nach einiger Zeit labte er sich an Wein und Brot, so vergass er seine schmerzenden Fersen. Doch ehe er es sich versah, zog Abendrot am Himmel auf. In der Ferne erblickte er die Fee am Ausgangspunkt seiner Wanderung. Er hastete. Mit letzter Kraft stolperte er auf sie zu. In dem Moment, als die Sonne vom Firmament verschwand, warf er sich in den Dreck und erreichte die Fee mit Mühe und Not. Grob umklammerte er ihren zarten Knöchel. Die sprach unerbittlich: Dir war es nicht beschieden, rechtzeitig wieder hier zu sein. Aber weil mir dein nimmermüdes Tun ein wenig zu Herzen gegangen ist, sollst du nicht leer ausgehen. Nicht mehr den Kalifen vom Bosporus und die Höchsten der Hohen wirst du empfangen dürfen, Sendlinge mittleren Ranges sollen von nun an zu dir kommen.

Da war’s der Kerl, der schon längst kein einfacher Kerl mehr war, sondern ein toller, zufrieden. Vorerst. Denn für die nächste Zeit schmiedete er Pläne. Große Pläne. Er hatte sich nämlich vorgenommen, ein richtig toller Kerl zu werden. Einer, von dem die ganze weite Welt weiß. Nur einen Wunsch hatte er nicht mehr frei. MARKUS VÖLKER

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