Ein Jein der Grünen zur Enteignungsfrage: Der ewige Eiertanz
Spitzenkandidatin Bettina Jarasch stellt die Idee eines Mietenschutzschirms vor und äußert sich zum Volksentscheid. Grüne wollen Enteignungen. Oder?

E in klares Jein in der Enteignungsfrage hat die grüne Spitzenkandidatin Bettina Jarasch am Mittwoch geäußert. Sie werde zwar beim Volksentscheid im September mit einem „Ja“ für das Anliegen der Kampagne Deutsche Wohnen und Co Enteignen stimmen, sagte Jarasch. Gleichzeitig aber solle die von über 350.000 Berliner*innen geforderte Vergesellschaftung nur „Ultima Ratio“ sein, wenn die Wohnungswirtschaft sich nicht unter einen zugleich vorgestellten Mietenschutzschirm der Grünen flüchtet. Jarasch warb nämlich gleichzeitig für einen Pakt mit der Wohnungswirtschaft – einem vermeintlich rechtssicheren Weg.
Laut Vorschlag der Grünen soll der Pakt verbindlich sein für Vermieter*innen und Eigentümer*innen. Sie sollen für fünf Jahre auf Mieterhöhungen verzichten, in Neuverträgen günstige Mieten anbieten, auf Umwandlung in Eigentum und die Ausschüttung von Dividenden verzichten.
Stattdessen sollen sie investieren in Instandhaltung, Sanierung und Neubau – und erhalten im Gegenzug Privilegien wie etwa ein Erbbaurecht auf landeseigene Flächen. 50 Prozent von Berlins Wohnungsbeständen sollen so nach gemeinwirtschaftlichen Kriterien ausgerichtet werden. Wenn das Ziel nicht erreicht werde, wird enteignet, so die Botschaft.
Mal abgesehen davon, dass 360.000 Berliner*innen nicht für einen Pakt mit der Wohnungswirtschaft unterschrieben haben: Seit wann funktioniert Gemeinwohl per Selbstverpflichtung? Konzerne wie Vonovia, die Deutsche Wohnen, Akelius und Heimstaden betreiben seit dem bundesweiten Erstarken von Mietenbewegungen schon länger Social Washing, indem sie behaupten, sich sozialen Standards zu verpflichten.
Sie gehen ihrem Geschäftsmodel nach
Hinterlegt ist das nicht: Gleichzeitig klagen Konzerne gegen den zusammen mit der Wohnwirtschaft erarbeiteten Mietspiegel, setzen saftige Mieterhöhungen durch, umgehen die Mietpreisbremse, zocken ab bei Nebenkostenabrechnungen, wandeln in Eigentum um und führen Luxusmodernisierungen durch. Man könnte auch sagen: Sie gehen ihrem Geschäftsmodel nach. Denn Profite mit der Miete zu machen, ist nun mal ihr Geschäft. Mit allen sozialen Konsequenzen.
Das Selbstverpflichtungen häufig eher wenig bringen, dürften die Grünen eigentlich längst aus Erfahrungen mit der Lebensmittelindustrie oder der Landwirtschaft wissen. Warum sollte das plötzlich bei Wohnraum klappen? Der Wohnwirtschaftsverband BBU war dann nach dem Grünen-Vorstoß auch leicht pikiert ob der mitschwingenden Enteignungsdrohung. Die Enteignungsfrage bleibt ein Eiertanz für die Grünen, die auf Bundesebene immerhin zusammen mit der CDU regieren wollen.
Gut ist angesichts dessen immerhin, dass Jarasch doch recht deutlich gesagt hat, dass sie für den Volksentscheid stimmt. Das dürfte zumindest dem Anliegen der Kampagne durchaus auch in einem enteignungsskeptischen Milieu Auftrieb geben.
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