piwik no script img

Ein Jahr nach den Spielen in PekingSchattenboxen zum Jubiläum

Vor einem Jahr gab es die pompöse Eröffnungsfeier in Peking. Vogelnest und der Wasserwürfel ziehen die Massen nach wie vor an. Die meisten Hallen aber stehen leer.

Ein Jahr nach den Olympischen Spielen in Peking ist das "Vogelnest" noch immer Besuchermagnet für Touristen und Einheimische. Bild: dpa

PEKING taz | Manchmal sieht man sie noch: Die Hemden der Olympia-Freiwilligen. Vor einem Jahr trugen zehntausende Pekinger die leuchtend blauweißen Polo-Shirts. Sie begrüßten Gäste aus aller Welt am Flughafen, wiesen Touristen den Weg durch die Hauptstadt und halfen Sportlern und Journalisten, sich zwischen Arenen und Hallen zurechtzufinden. Sie sprachen - mal besser, mal schlechter - Englisch und bemühten sich unermüdlich. Sie waren das liebenswürdige Gesicht der Pekinger Olympischen Spiele von 2008, die offiziell auch "Olympia des Volkes" genannt wurden.

Ein Jahr später ist das Volk immer noch auf den Beinen, um die Wahrzeichen der Spiele, das "Vogelnest"-Stadion und das "Wasserwürfel"-Schwimmbad, zu besichtigen: Besonders das Vogelnest mit seinem Gewirr aus Stahlbetonstreben ist zu einem magischen Anziehungspunkt Pekings geworden - beliebter noch, wenn man chinesischen Medien glauben will, als der alte Kaiserpalast und der Himmelstempel.

Jeden Tag kaufen tausende Besucher aus allen Teilen Chinas und dem Ausland Eintrittskarten zu 50 Yuan (rund 5 Euro), um einmal über die Zuschauertribüne und Gänge der Arena laufen zu können. Sie fotografieren einander und die überdimensionalen Olympia-Püppchen. Vor dem Eingang zum Gelände verhökern Händler nachgemachte Freiwilligenhemden, Goldmedaillen und Erinnerungsbriefmarken.

Der Erlös aus Tickets, Genehmigungen für Fototermine und - sehr seltenen - öffentlichen Veranstaltungen im Vogelnest hat zwischen Oktober und Mai etwa 260 Millionen Yuan eingebracht, umgerechnet 26,5 Millionen Euro, deutlich mehr als für den reinen Unterhalt nötig. Der Wasserwürfel brachte nach einem Bericht der South China Morning Post im selben Zeitraum etwa 11 Millionen Euro ein.

Vogelnest und Wasserwürfel sind eine Ausnahme: Die meisten Wettbewerbsstätten stehen leer. Auch Touristen zeigen kein Interesse an den Hallen. Chinesische Zeitungen hatten bereits lange vor den Spielen gefordert, die Behörden sollten sich rechtzeitig um eine sinnvolle Nutzung kümmern, damit nicht - wie in Sydney oder Atlanta - nach den Spielen riesige Kosten entstünden. Der Appell verhallte. Eine Studie der Akademie für Sozialwissenschaften kommt heute zu dem Ergebnis, dass "angemessene Konzepte", um Geld mit den Gebäuden zu verdienen, gefehlt hätten.

Für Sportereignisse wird auch das Vogelnest mit seinen 90.000 Zuschauerplätzen so gut wie nie genutzt - weil es Veranstaltern mit 20.000 Euro Tagesmiete zu teuer ist, wie es heißt. Der erste größere Wettkampf in der Arena ist für den 8. August geplant, den Jahrestag der Olympia-Eröffnungsfeier: ein Fußballmatch zwischen den beiden italienischen Vereinen Inter Mailand und Lazio Rom.

Die große Medaillenernte bei den Spielen 2008, als Chinas Athleten 51-mal Gold, 21-mal Silber und 28-mal Bronze gewannen, erfüllte die Nation mit großem Stolz. Jeder wusste allerdings, dass der Erfolg mehr mit vielen Ausgaben für neue Sportschulen und gezielter Förderung von Hochleistungssportlern als allgemeiner Sportlichkeit in der Bevölkerung zu tun hatte.

Bis heute sind Freizeitsportclubs rar. Viele Schulen haben keine Turnhallen. Doch in den Parks und auf den großen Plätzen der Städte treffen sich alte und junge Chinesen zum gemeinsamen Tanz und zu traditionellen Sportarten wie Schattenboxen. In einer Umfrage antworteten zwei Drittel der Befragten, dass sie ab und zu joggen oder laufen. Fast die Hälfte spielt ab und zu Federball oder Badminton, 37 Prozent spielen Basketball und 36 Prozent Tischtennis.

Die Regierung hat den 8. August mittlerweile offiziell zum "Fitnesstag" erklärt. An diesem Wochenende sollen sich auf dem riesigen Platz vor dem Vogelnest bis zu 40.000 Chinesen zum gemeinsamen Tai-Chi-Chuan (Schattenboxen) treffen.

Andernorts ist bereits wieder eine neue Generation von "Freiwilligen" dabei, sich zur höheren Ehre der Nation auf einen großen Tag vorzubereiten: Tausende Rentner, Mittelschüler, Studenten - einige wurden zwangsverpflichtet - trainieren seit Mitte Juli täglich von morgens bis abends für Gruppentänze und andere Vorführungen, mit denen sich China zum 60. Jahrestag der Staatsgründung am 1. Oktober feiern will.

Im Vogelnest wird der berühmte Filmregisseur Zhang Yimou, der sich bereits mit seinen spektakulären Inszenierungen zu Eröffnung und zum Abschluss der Olympischen Spiele einen Namen gemacht hat, die Puccini-Oper "Turandot" ins Bild setzen - auch als Massenereignis.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!