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■ Ein Interview mit Hartmut-Michael Weber, Professor für Kriminologie an der FH Fulda"Mit Antritt der Strafe auf die Entlassung hinarbeiten"

Weber ist Mitglied der Arbeitsgruppe „Wider die lebenslange Freiheitsstrafe“ im Komitee für Grundrechte und Demokratie. Jüngst erschien seine Habilitationsschrift „Die Abschaffung der lebenslangen Freiheitsstrafe“ (474 Seiten, 98 Mark) im Nomos Verlag, Baden Baden.

taz: Sie treten für die Abschaffung der lebenslangen Freiheitsstrafe ein. Warum?

Weber: Die Unsicherheit darüber, wie lange die Strafe noch dauert, ist nicht mit der Menschenwürde vereinbar. Der „Lebenslängliche“ lebt in dauernder Unklarheit über seine Zukunft und darüber, wie er sie beeinflussen kann. Das ist inhuman. Die Schäden, die nach langen Haftstrafen auftreten, verstärken sich unter der Unbestimmtheit der Haftdauer. Im übrigen haben „Lebenslängliche“ eine der niedrigsten Rückfallquoten.

Welches Höchstmaß halten Sie für vertretbar?

Jedes Höchststrafmaß ist willkürlich. 15 Jahre würden allerdings der höchsten zeitigen Freiheitsstrafe des Strafgesetzbuches entsprechen. Wenn man darunterginge, müsste man den gesamten Strafenkatalog überarbeiten.

Was ist mit den Häftlingen, die nach Verbüßung ihrer Schuld noch als „gefährlich“ gelten?

Das festzustellen ist Aufgabe der psychiatrischen Gutachter. Die Kriterien für ein Gutachten sind jedoch dieselben wie zur Bemessung der Schuld: Vorstrafen und Tathergang. Auf dieser Grundlage kann niemand, auch nicht der beste Sachverständige, vorhersagen, ob jemand erneut töten wird.

Wie sollen Fälle wie der von Dieter Zurwehme vermieden werden?

Die Frage lautet, wie breit das Schleppnetz ist, das man nutzt. Statistisch gesehen werden 38 ungefährliche „Lebenslängliche“ festgehalten, um einen möglichen Rückfall zu vermeiden. Entscheidend für die Verhinderung eines Rückfalls sind frühzeitige Eingliederungshilfen. Von Antritt der Strafe an müsste auf die Entlassung hingearbeitet werden.

Mörder wie Heinrich P. werden mit dem Argument festgehalten, dass es die Öffentlichkeit nicht vertrüge zu erfahren, dass sie herauskommen.

Man darf das Bedürfnis der Öffentlichkeit und auch der Opfer nach Rache nicht überschätzen. Die Medien leisten hier einen unheilvollen Verstärkungseffekt. Dabei sind sie es, durch die auch die Opfer bzw. deren Angehörige oft ebenso sehr traumatisiert werden wie durch das Verbrechen selbst. Mit dem Ruf nach höheren Haftstrafen wird lediglich vom Desaster in der Opferhilfe abgelenkt.

Dennoch ist die Angst vor Verbrechern real existent.

Es besteht aber kein Anlass, die Angst zu schüren. Die Zahl der vollendeten Tötungen hat von 1963 bis 1993 um zwanzig Prozent abgenommen. Dieser Trend findet leider keine Beachtung.

Zugenommen hat dagegen die Zahl der verurteilten Mörder.

Das liegt daran, dass die Definition, wer „Mörder“ ist, von der Erfüllung bestimmter Gesinnungsmerkmale wie Heimtücke oder Habgier abhängt, die offen für Willkür sind. Gleichzeitig wird der Prozentsatz derer, die zu „lebenslänglich“ verurteilt werden, erhöht. Diese Entwicklung liegt im Trend der deutschen Justiz, Strafexempel zu statuieren. Die Gerichte können sich der verbreiteten Kriminalitätsfurcht eben nicht entziehen.

Hat die Verschärfung der Verurteilungspraxis Wirkung gezeigt?

Nein. Internationale Vergleiche zeigen, dass härtere Strafen nicht zu weniger Tötungsdelikten führen. Insgesamt haben europäische Länder ohne lebenslange Freiheitsstrafe – Spanien, Norwegen, Zypern – keine höhere Rate von Tötungsdelikten als Staaten wie Deutschland, die Niederlande oder England. Der Strafzweck „Prävention“ funktioniert also nicht. Der Ruf nach mehr und härteren Strafen in der BRD ist völlig irrational.

Interview: Ulrike Winkelmann

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