Ein Gespräch mit dem Kulturwissenschaftler Daniel Gad: „Kunst ist keine Werbekampagne“
Die Hamburger Millerntor Gallery will nicht nur Kunst zeigen und Geld für Trinkwasser sammeln, sondern auch fragen, wie Kunst die Welt verändern kann.
taz: Kann Kunst die Welt gerechter machen, Herr Gad?
Daniel Gad: Ja!
Wie denn?
Ein Projekt in Nicaragua fällt mir da ein. Dort wird Blockflötenunterricht in Armenvierteln angeboten für Kinder, die dort keinen Freiraum haben, Kind zu sein und zu spielen, sie müssen ab vier Jahren im familiären Handwerksbetrieb mithelfen, Dinge auf der Straße verkaufen oder betteln gehen. Wenn diese Kinder sich nun dem relativ leicht zu erlernenden und schnell in einer Gruppe auszuübenden Flötenspiel widmen, führt das bei ihnen zu einem neuen Erfahren von Welt. Dieser künstlerische Schaffensprozess hat etwas mit Konzentrieren, Ernstnehmen und Gestalten zu tun, mit dem Erlernen von Ausdauer ...
... wenn ich länger übe, kann ich besser spielen ...
... genau, und so funktioniert das Musizieren dann in der Gruppe besser. Durch diese Erfahrung mit Kunst im kreativen Handeln bekommt man eine andere, bewusstere Wahrnehmung, größere Wertschätzung von der Welt und geht mit ihr dann anders um. Das gilt ganz allgemein in unserer auf Zeiteffizienz und maximalen finanziellen Output getrimmten Zeit.
Kunst-Praktiker sind also schon mal die besseren Menschen. Wie sieht es aus mit Kunst-Konsumenten?
Wenn man durch kulturelle Bildung in die Lage versetzt ist, die Sprache eines Kunstwerkes zu dechiffrieren, funktioniert Kunst als Kommunikationsform. Ich kann sie lesen, verstehen, Nuancen wahrnehmen und hochgradig interessant finden, weil ich weiß, wie sie gemeint sind.
Am Freitag und Samstag verwandelt sich das Stadion des FC St. Pauli in die "Millerntor Gallery": Auf 4.000 Quadratmetern stellen 80 Künstler ihre Werke aus.
Die Erlöse gehen zu 70 Prozent an das Projekt Viva con Agua, das die Wasser- und Sanitärversorgung in Entwicklungsländern verbessern will.
Die Besucher können Teil des weltweiten Kunstwerks "Inside out" des französischen Künstlers JR zu werden: In einem Fotoautomaten-Truck werden sie fotografiert, die Porträts in Postergröße ausgedruckt und direkt in die Ausstellung integriert.
Neben der Ausstellung gibt es Benefizkonzerte. Zu hören sind unter anderem das Schwule Mädchen Soundsystem (Freitag) und Liedfett (Samstag).
Das Symposium "Wie kann kreatives Engagement die Welt verbessern?" findet am 31. Mai statt, der Beginn ist um 15 Uhr. Die Referenten sind Adrienne Goehler, Aino Laberenz, Friedrich von Borries und Onejiru. Die Moderation übernimmt der Kulturwissenschaftler Daniel Gad.
Ist das nicht mein Privatvergnügen – oder hat das auch weltverbessernde Folgen?
Es ist eine sehr deutsche Sichtweise, zu glauben, wir müssen die Ärmel hochkrempeln, mal eben die Welt verändern, damit überall so schön gefegt ist wie daheim. Die Wirkung der Kunst ist eine andere. Die meisten Künstler schaffen ihre Werke ja daraus, dass sie einen bestimmten Teil dieser Welt beobachten und kommentieren.
Und dann?
Sie animieren Menschen zum Nachdenken. Sagen wir mal, es geht in einem Gemälde um Menschenhandel, dann reicht es manchem Maler, wenn der Betrachter in der Galerie war, das Bild gesehen, verstanden und sich damit auch kurz auseinandergesetzt hat. Andere Künstler wollen, dass die Anstöße fortgesetzt im Kopf kursieren, man sich daheim weiter damit beschäftigt, informiert, mit Leuten darüber spricht. Das Potenzial ist dann direkt da zum Handeln, zum sozialen Engagement: Ich kann Amnesty International Geld spenden, eine Organisation für Flüchtlinge gründen.
Aber so funktionieren alle Medien – was kann Kunst, was andere nicht können?
Gegenfrage: Sind Medien nicht auch Kunst? Wenn ich einen guten Dokumentarfilm sehe, dann ist das ja nicht nur eine optische Informationshülse, sondern auch mit künstlerischen Elementen gearbeitet.
Aber was kann Kunst im engeren Sinne denn nun Besonderes?
Emotional mit Themen konfrontieren. Es gibt so viele ästhetische Mittel, Auseinandersetzungen offenzuhalten und einen angemessen komplexen Zugang zu ermöglichen.
Spätestens seit Joseph Beuys gilt soziales Gestalten ja auch als Kunst.
Entstanden ist sie ja aus einem menschlichen Grundbedürfnis. In Kriegsgebieten ist das immer noch weltweit zu sehen, wie Menschen das Erlebte künstlerisch verarbeiten.
Kennen Sie ein aktuelles Beispiel, wo die Kunst wirklich gesellschaftlich veränderndes Potenzial entwickelt hätte?
Ich finde die Frage gefährlich: Wenn ich jetzt nicht schussbereit gleich drei, vier, fünf Beispiele nennen kann, dann wird das als Beweis genommen, dass Kunst die Welt nicht verbessern kann. Es bleibt leider etwas unkonkret: Kunst kann Teil von gesellschaftlichen Wandlungsprozessen sein, aber die Wirkung ist nicht wie bei einer Werbekampagne zu analysieren. Nehmen wir den Bob-Marley-Song „Get up, stand up“. Ob der exklusiv in Malawi Jugendliche dazu gebracht hat, den Bau einer Schule durchzusetzen, kann ich nicht sagen. Aber sagen kann ich: Das Lied wird überall auf der Welt gespielt und Menschen fühlen sich dadurch inspiriert, für ihre Rechte einzustehen, was sicherlich hier und da mitgeholfen hat, die Welt zu verbessern.
Daniel Gad
36, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kulturpolitik der Uni Hildesheim und forscht zur Rolle von Kunst und Kultur in politischen Umbrüchen.
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