piwik no script img

■ Warum die SPD für einen Bundespräsidenten Herzog sein müßteEin Gebot politischer Klugheit

Bundespräsident Herzog läßt offen, ob er für eine zweite Amtszeit zur Verfügung steht. Von Beschädigung des Amtes, vom Gebot der Neutralität in Wahlkampfzeiten ist die Rede. Wenn solche Klagen aus der SPD kommen, sollte man mißtrauisch werden. Manche Genossen haben ihren eigenen Parteimann, Johannes Rau, auf der Rechnung. Bei passender Gelegenheit werden sie seinen Namen öffentlich ins Spiel bringen, spätestens nach dem 27. September.

Dabei wäre die SPD gut beraten, sich zurückzunehmen. Fünf Verfassungsorgane hat diese Republik: Bundespräsident, Bundeskanzler sowie die Präsidenten des Bundestags, Bundesrats und des Verfassungsgerichts. Angenommen, die SPD gewinnt die Wahl und geht gar mit den Grünen eine Koalition ein, wird sich die austarierte Balance verschieben. Gerhard Schröder wäre Kanzler, Wolfgang Thierse wohl neuer Bundestagspräsident. Jutta Limbach ist schon Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, und im Bundesrat, der im Wechsel seinen Präsidenten stellt, haben die SPD-regierten Länder eine deutliche Mehrheit. Allein das Übergewicht bei drei beziehungsweise zeitweise vier Verfassungsorganen geböte es, nicht auch noch das Amt des Bundespräsidenten für sich zu reklamieren. Wer die Mehrheit im Lande hat, muß zumindestens die Interessen der Minderheit mitdenken, heißt eine der Grundregeln des Parlamentarismus. So wird, auch auf symbolischer Ebene, innergesellschaftlicher Frieden gewahrt. Damit ist diese Republik bis heute gut gefahren. FDP-Politiker waren Bundespräsidenten zu CDU-Zeiten, ein Christdemokrat oberster Amtsverwalter in der Ära Schmidt/Genscher. Von Weizsäcker war eine Ausnahmeerscheinung, der auch die SPD erlag. Daß Kohl vor vier Jahren Herzog gegen Rau durchboxte, fällt auf Kohl zurück.

Niemand zwingt die SPD, dieselbe Arroganz an den Tag zu legen. Zudem fragt sich, ob die SPD mit Herzog nicht besser fahren würde als mit Rau. Dessen pastoraler Ton würde unweigerlich kollidieren mit Schöders Machertum. Von Beginn an wäre Rau in jener Rolle, die von Weizsäcker in seiner Schlußphase gegenüber Kohl einnahm. Das Ergebnis ist bekannt: Kohl war froh, als die Amtszeit seines populären Widersachers abgelaufen war. Schröder ist gewarnt. Für ihn wäre Herzog im Schloß Bellevue die bessere Variante. Denn der Mann aus dem Süden und aus dem Norden wollen dasselbe, auch wenn sie andere Worte dafür finden: Der eine will, bayerisch-derb, den „Ruck“ im Lande. Der andere, modernistisch-kühl, „Innovationen“. Severin Weiland

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen