: Ein Flickenteppich aus Asphalt
Umweltschützer jubeln, die Wirtschaft warnt, der „Verkehrsminister“ lehnt Bundesregelung ab. Durch das Urteil zu Diesel-Fahrverboten nehmen Verwirrung und Unsicherheit zu
Aus Berlin Bernhard Pötter
Christian Schmidt hat ein Mantra. Es heißt: „Wir wollen keine Fahrverbote!“. Der CSU-Landwirtschaftsminister, der kommissarisch auch Verkehrsminister ist, sagt das immer wieder. Er steht am Dienstagnachmittag auf feindlichem Gebiet, im Lichthof des Umweltministeriums neben der Hausherrin Barbara Hendricks (SPD), und wiederholt, was im nächsten Koalitionsvertrag steht, aber seit dem 27.Februar 2018 überholt ist: Wir wollen keine Fahrverbote.
Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts hat dieses Wunschdenken praktisch zerstört. Normalerweise schafft ein endgültiges Urteil Klarheit und Rechtssicherheit. Aber nach dem Diesel-Urteil aus Leipzig ist es so unsicher wie nie, ob man mit einem Diesel-Pkw in Zukunft in eine deutsche Innenstadt fahren darf.
Denn manche Städte werden die dreckigen Diesel auf einigen Straßen verbannen: Hamburg, wahrscheinlich Berlin, Stuttgart ab September 2019. Andere werden alles tun, um das zu verhindern, wie Düsseldorf. Wieder andere erklären, das sei nicht nötig (Niedersachsen) oder werde noch debattiert (Kiel). Die Deutsche Umwelthilfe DUH, die in Leipzig mit ihren Klagen auf Fahrverbote gewonnen hat, jubelt wie die meisten Umweltverbände: „Eine schallende Ohrfeige für die Bundesregierung, die eine bundeseinheitliche Regelung verweigert“, nannte DUH-Chef Jürgen Resch das Urteil.
Während es in den Städten einen Flickenteppich von Fahrverboten geben könnte, steigen die Unsicherheiten bei allen Beteiligten. Die Aktienkurse der Autohersteller knickten nach dem Urteil ein. Investoren mögen es gar nicht, wenn der Absatz von Diesel-Pkws und mögliche Nachrüstungen die Bilanzen der Hersteller belasten. „Allein die Möglichkeit von Fahrverboten wird das Vertrauen in die Diesel-Technologie weiter schwächen und die Preise für Gebrauchtwagen purzeln lassen“, hieß es von der Beratungsfirma EY. Spediteure sehen die Versorgung der Innenstädte mir ihren Diesel-Lkws gefährdet, der Bundesverband der Industrie will, dass nach „allen Alternativen zu Fahrverboten gesucht wird“. Die Bauindustrie bangt um die freie Fahrt für ihre Bagger und Lkws und macht das Urteil dafür verantwortlich, wenn nicht genügend Häuser gebaut werden können. Der Deutsche Städtetag rechnet kurzfristig nicht mit Fahrverboten, sieht aber die Hersteller in der Pflicht. „Es steigt der Druck auf die Industrie, Diesel-Pkws sauberer zu machen, sagte Städtetagspräsident und Oberbürgermeister von Münster, Markus Lewe.
Christian Schmidt, Verkehrsminister
Erst einmal allerdings steigt der Druck auf die Besitzer von Dieselautos. Werden ihre Autos ausgesperrt, „sind die Chancen der Kunden nicht gut, die Hersteller zu einer möglichen Nachrüstung zu verpflichten“, sagt Andrea Frank, Expertin des Dachverbands der Verbraucherschutz-Zentralen vzbv der taz. Für den Preis von 1.500 bis 3.300 Euro sind Katalysatoren auf dem Markt. Nur: Wer bezahlt dafür? Die Gewährleistung erlischt nach zwei Jahren, sagt Frank. Und weitere Ansprüche hätten die Käufer nur, wenn die Autos illegal frisiert wären. Doch die Tricksereien bei den meisten Dieselwagen, die die Abgasreinigung abschalten, sind nicht einwandfrei illegal.
Für „Verkehrsminister“ Schmidt ist ein bundesweiter Flickenteppich, wo welche Autos fahren dürfen, nicht so schlimm wie „Fahrverbote, bei denen die Kommunen nicht maßgeschneidert reagieren können“. Neben ihm steht Hendricks, die eine bundesweite „blaue Plakette“ für saubere Diesel schon vor Jahren gefordert hat, damit aber im Kabinett scheiterte. Hendricks will, dass die Hersteller zur Nachrüstung verpflichtet werden und dass nicht die „Kunden ausbaden, was die Konzerne angerichtet haben“. Beide wollen vor allem viel Geld dafür geben, dass Busse sauberer werden, der öffentliche Verkehr ausgebaut wird und Elektroautos vorankommen. Aber eine Kennzeichnung für saubere Diesel ist Hendricks schon wichtig. „Ob das dann blaue Plakette oder roter Fuchsschwanz heißt, ist mir egal.“
Ob eine solche Plakette aber funktionieren könnte, ist die nächste Unsicherheit. Das Umweltbundesamt hat gefordert, solch eine Genehmigung müsse „nach den realen Emissionen auf der Straße“ differenziert werden. Denn bisher überschreiten 70 Prozent der 15 Millionen deutschen Dieselautos die Grenzwerte, und auch viele der angeblich sauberen Motoren der Norm Euro 6 stoßen nach UBA-Messungen das Mehrfache des Grenzwerts aus. Das aber hieße, dass es neue Zulassungsverfahren für Diesel-Pkws geben müsste. Und deren Besitzer bis dahin zittern müssten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen