Ein Festival für Zeitfragen: Hymnen dehnen, Mahler ehren
Die MaerzMusik widmet sich festivalweise den Zeitfragen, mit Frederic Rzewski, Altmeister der Avantgarde, zu Gast. Ein Wochenkommentar.
Am Anfang war der Protest. Ein historischer Protest zwar, aber einer, der immer noch sitzt. Frederic Rzewskis „The People United Will Never Be Defeated!“ von 1975, nach der chilenischen Widerstandshymne „El pueblo unido jamás será vencido“, mit dem die MaerzMusik, das Festival für Zeitfragen, vergangenes Wochenende eröffnete, ist einer der seltenen Fälle eines „Hits“ der Nachkriegsmoderne. Ein Variationszyklus, der swingt, mitunter sogar Pop-Appeal hat und noch in seinen sperrigsten Passagen elektrisiert. Wenn alles sitzt.
Bei der Eröffnung spielte der US-amerikanische Komponist und Pianist sein virtuoses Stück höchstselbst. Mit 80 Jahren vermutlich eine der letzten Gelegenheiten in dieser Besetzung und daher allemal ein Ereignis.
Leider zeigte sich der ansonsten höchst geistesgegenwärtige Rzewski am Klavier bei Weitem nicht so bravourös, wie seine eigene Musik verlangt. Er blätterte sich im gemächlichen Tempo durch die Noten, spielte verhalten-zögerlich, als würde er gerade noch üben. Wie um diesen Eindruck zu bestätigen, griff er auch einigermaßen oft daneben.
Da es dieses Jahr bei dem Festival um Geschichtliches geht, wäre es vermutlich weniger stimmig gewesen, einen jüngeren Interpreten einzuladen, um die Sache flüssiger darzubieten. Viele Interpreten beanspruchen für das Stück ansonsten eine gute Stunde, Rzewski nahm sich 90 Minuten Zeit. Für die Wiederholung des Werks am Sonntag als Teil des MaerzMusik-Programms im großen Nonstopkonzert „The Long Now“, das von Samstag auf Sonntag einen guten Tag lang das Kraftwerk zum Dauerkonzertsaal mit Liegen zum entspannten Abhängen oder Wegdösen umgestaltet, wirft das Fragen auf. Wird Rzewski sein Spiel bis dahin noch einmal aufgefrischt haben? Oder wird er dem Titel der Abschlussrunde gemäß sein Stück vielmehr zusätzlich entschleunigen, auf zwei, drei Stunden gedehnt?
Neues Tonschaffen konnte man dafür am Donnerstag im Konzerthaus von drei Komponistinnen hören. Orchester und Elektronik im feinen Obertondialog von der US-Amerikanerin Ashley Fure, Droneflächen für Orchester und Orgel von der Litauerin Justė Janulytė und, zum Abschluss, eine im Geist von Mahler als Pastiche angelegte musikalische Erinnerungsarbeit, in der die Österreicherin Olga Neuwirth die Melodien aus der Zeit ihres Großvaters zu einem hauntologischen Strudel verarbeitete. Das war am Ende dann doch gegenwärtiger als Rzewski. Die MaerzMusik kann eben durchaus, wenn sie will.
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