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Ein Feldversuch am Neusiedler SeeBewehrte Spione der Wildnis

Vogelbeobachtung am Neusiedler See. Die Birder sind fast alle mit Ferngläsern, Spektiven oder großkalibrigen Teleobjektiven bewehrt.

Wer beäugt hier wen: Eine Sumpfohreule Foto: Wolfgang Stürzbecher

Mein lieber Schwan! Wie diese Großtrappen sich beim Liebesspiel verausgaben. Mit allem, was sie haben, machen die Hähne den Hennen den Hof. Und das ist ziemlich viel; ein kapitales Exemplar kann sechzehn Kilo wiegen. Großtrappen sind die Vorstufe zum Truthuhn, gerade noch flugfähige Laufvögel. In der Moorlandschaft östlich des Neusiedler Sees balzen sie bis in den Mai. Ein stolzer Hahn macht den Anfang. Sein Publikum besteht aus fünf Hennen, die näherer Bekanntschaft nicht abgeneigt scheinen, zwei pikierten Rivalen – und hundert begeisterten Vogelfreunden, die entlang des Dammwegs Aufstellung genommen haben.

Fast alle sind mit Ferngläsern, Spektiven oder großkalibrigen Teleobjektiven bewehrt. Nun kommen auch die anderen Hähne in Stimmung. Sie manövrieren etwa so wie die spanischen Galeonen in alten Seeräuberfilmen, mit breitem Bug, gravitätischer Schleichfahrt und ruckartigen Drehungen. Mit Brauntönen von Karamell bis Umbra ist ihr Gefieder der Steppenlandschaft angepasst. Bei der Balz aber klappen sie Schwanz und Flügel um und plustern die weißen flauschigen Unterfedern auf, sodass sie wie tanzende Schneebälle aussehen.

Der Dammweg von Andau zur ungarischen Grenze war für das Burgenland, was Steinstücken für Westberlin war: der hinterste Winkel, verbarrikadiert durch den Eisernen Vorhang. Auch heute verirrt sich sonst kaum ein Mensch hierher. Jetzt aber ist der Straßenrand zugeparkt, Radfahrer und Fußgänger wuseln hin und her, und entnervt rumpelt der Bauer mit seinem Traktor direkt über die Felder.

Ein paar Kilometer weiter westlich führt ein langer Steg vom Seeufer zu einem Beobachtungsstand, der wie ein prähistorischer Pfahlbau im Schilf aufragt. Es rätscht, schnattert, zirpt und trällert rundherum. So klingt Österreich nur hier – in pannonischer Polyphonie, horizontal, unbegrenzt und östlich. Zwei bärtige Herren in Tarnbekleidung stehen mit Kamera und Spektiv im Anschlag. „Da sind drei Zwerge. Wo, ich seh keine Zwerge? Na, auf zehn Uhr.“

Die Rede ist von Zwergtauchern; zehn Uhr bedeutet schräg links vom Beobachter. „Ganz schön was los heute. Schau mal, auf ein Uhr sind Limikolen. Aber welche? Bekassinen? Na, wie war’s in Afrika? Ach, jetzt sind die Zwerge weg. Mach doch mal den Lockruf.“

Alle Vöglein sind schon da

Der eine, Systemtechniker aus München, verbringt seine Ferien regelmäßig in Vogelschutzgebieten. Er weiß es zu schätzen, dass der Beobachtungsstand mitten im Schilf steht, wo man sonst weder zu Fuß noch mit dem Boot hinkäme. Der andere ist Frührentner und übers Wochenende aus Graz gekommen. Er strahlt über das ganze Gesicht, konnte er doch am Morgen schon Bartmeisen und Rohrammern aus kurzer Distanz fotografieren. Das zählt was in der Szene.

Das seichte Steppengewässer hat fast die dreifache Fläche der Müritz. Wenn im Frühjahr und Herbst Scharen von Zugvögeln Station machen, geben sich hier über 300 Arten ein Stelldichein – etwa sechzig Prozent aller europäischen Arten. Der Jackpot für jeden Birdwatcher, geht es dieser speziellen Spezies doch insbesondere darum, möglichst viele Arten zu Gesicht oder zumindest zu Gehör zu bekommen. Abends gleichen sie dann ihre Listen ab, und wer die meisten Häkchen setzen konnte, darf sich fühlen wie ein Großtrappenhahn.

Ohne Ferngläser gäbe es keine Disziplin. Dadurch bleiben die Leute auf den Wegen

ALois Lang, Nationalparkwächter

Ob sie sich nun Birder nennen, Feldornithologen oder Avifaunisten – Vogelbeobachtung ist auf dem besten Weg zur Volkssportart. Immer mehr Leute frönen ihr, besonders Engländer und Skandinavier, wobei die deutsche Vogelkunde ihre eigenen ehrwürdigen Traditionen hat, verbunden mit Namen wie Naumann, Brehm und Thienemann.

Die ersten Fremdenzimmer am Neusiedler See wurden an Vogelkundler vermietet. Das war in den zwanziger Jahren, als das frühere Deutsch-Westungarn als Burgenland zu Österreich kam. Schon damals wurde überlegt, einen Nationalpark einzurichten. Was stets eine komplizierte administrative Angelegenheit darstellt – doch zugleich einen beinah sakralen Akt. Im Namen der heilen, ja heiligen Natur erfolgt eine Verbeamtung des Raumes. Ein Zwergstaat der Wildnis wird ausgewiesen, welcher der Natur Urlaub vom Menschen gewähren soll. Gerade dadurch aber wird sie für Menschen auf Urlaub attraktiv. Doch die Tiere begreifen schnell, dass diese Sorte Zweibeiner nicht auf sie schießt, und dank der Fernoptik bleibt die Fluchtdistanz gewahrt.

Vögel gucken

Vogelschau: Auch in Brandenburg, der preußischen Puszta, lassen sich Großtrappen beobachten, etwa im Havelländischen Luch oder in den Belziger Landschaftswiesen. Informationen unter: www.grosstrappe.de.

Der Kranich: Ein weiteres spektakuläres Naturschauspiel im Umkreis von Berlin bildet der Zug der Kraniche gerade jetzt im Herbst. Eine Übersicht über die besten Beobachtungsplätze findet sich auf den Seiten von: www.reiseland-brandenburg.de.

Nationalpark Neusiedler See: A 7142 Illmitz, Tel.: 00 43 21 75 34 42, www.nationalpark-neusiedlersee-seewinkel.at.

Unterkunft: Residenz Velich, Illmitzerstraße 13, A 7143 Apetlon, Tel.: 00 43 2 17 55 40 00, www.velich.at. Die Winzerfamilie hat ein altes Zollhaus zu einem geräumigen Feriendomizil direkt am Nationalpark umgebaut. Zimmer um 90 Euro pro Person, lukullisches Frühstück inklusive. Einkehr: Gasthaus Zur Dankbarkeit, Hauptstraße 39, A 7141 Po­ders­dorf am See, www.dank­barkeit.at. Traditionsreiche Gaststätte der Familie Lentsch mit feiner regionaler Küche und eigenem Weinbau.

Reiseveranstalter: Einige haben sich auf Vogelbeobachtung als „besondere Form des Unterwegsseins“ spezialisiert. So bieten an der Müritz, traditionell eine der Hochburgen der deutschen Ornithologie, zwei Veranstalter Exkursionen in heimischen Gefilden wie auch in Osteuropa an: NationalparkTours und BaltikumNaturReisen (www.nationalparktours.de, www.baltikumnaturreisen.de). Im Badischen bietet Birdingtours Beobachtungsreisen weltweit an (www.birdingtours.de).

„Ohne Ferngläser gäbe es keine Disziplin. Nur dadurch bleiben die Leute auf den Wegen“, meint Alois Lang von der Nationalparkverwaltung. Sie organisiert jedes Frühjahr auch die Pannonian Bird Experience, eine Publikumsmesse, auf der sich Ausrüster, Reiseveranstalter und Naturparks präsentieren, während zugleich ein Marathon an Schulungen und Exkursionen geboten wird.

Es fliegt, es fliegt, es fliegt!

Ein Stück weiter späht ein Vogelfreund aus Ostfildern über einen der vielen salzhaltigen Tümpel, die Namen tragen wie Fuchslochlacke oder Oberer Stinkersee. „Ich bin erst drei Tage hier und konnte doch schon die Kopulation von Uferschnepfen und von Säbelschnäblern filmen.“ Wobei er, ganz Connaisseur, anmerkt, dass das Vorspiel bedeutsamer sei als die Begattung. „Was ein Vogel alles tut, bevor er zur Sache kommt, das ist das eigentliche Erlebnis.“

Mögen manche sie auch als Piepmatzpaparazzi belächeln, so haben die Fotofreunde doch maßgeblichen Anteil am Birding-Boom. Bilder sind ihre Trophäen. Für viele Beobachtungsfernrohre gibt es mittlerweile auch Adapter für Smartphones, um Belegaufnahmen machen zu können. Die sind unabdingbar, wenn es um die Sichtung von Raritäten geht, wie etwa vor ein paar Wochen, als ein Blauwangenspint gesehen wurde. Dieser schmucke Verwandte des Bienenfressers lebt eigentlich in so fernen Gefilden wie Algerien oder dem Iran – doch auf einem burgenländischen Campingplatz gefiel es ihm offenbar besser.

Die Fernglashersteller, früher vor allem Jagdausrüster, verkaufen inzwischen mehr Geräte im Freizeitbereich als an Weidmänner. Wobei eine gewisse Seelenverwandtschaft offenkundig ist. Jäger und Sammler in einem, begeben die Birder sich auf eine pazifistische Jagd, die alle Freuden und Leiden der Pirsch bietet, ohne dass Blut fließt. Der Sammeltrieb äußert sich im Streben nach Systematik und Vollständigkeit und in der peinlichen Befolgung der Regularien.

Gutsituierte Vogelfreunde

Die Outdoor-Industrie kann entsprechende Kleidung und Utensilien absetzen, und natürlich kurbeln die meist gutsituierten Vogelfreunde auch den Fremdenverkehr an. „Indem man hier Urlaub macht, unterstützt man ja auch, dass das erhalten bleibt“, bekennt der Gast aus dem Schwäbischen. Wobei Alois Lang die Fixierung auf plakative Arten wie die Großtrappe manchmal stört: „Wir wollen die ganze Vielfalt der Tierwelt zeigen, und vor allem wollen wir vermitteln, welche Bedingungen sie jeweils brauchen, damit sie fortbestehen können.“

Die vielen ökologischen Nischen und das Mikroklima des Sees begünstigen auch den Weinbau. Selbst mitten im Schilfland kann man schmale Weinrieden entdecken. Umgekehrt tummeln sich die Wasservögel im Spalier der Reben.

Wo noch vor Kurzem zwei Weltreiche aufeinandertrafen, finden sich heute nur mehr fließende Übergänge. Relikte des Kalten Kriegs werden nun für den grenzübergreifenden Nationalpark genutzt: Wachttürme dienen als Vogelwarten, und das ungarische Parkzentrum residiert in einer ehemaligen Grenzkaserne.

Allmählich gerät der Eiserne Vorhang zum Mythos. Er verlief übrigens erstaunlich genau entlang der großen östlichen Vogelzugroute von Skandinavien bis zum Bosporus. Vielleicht fasziniert uns die Welt der Vögel ja auch deshalb so, weil sie die Freiheit schlechthin verkörpern.

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