■ Seltsam unberührt verfolgen viele 30- bis 40-Jährige die Rentendebatte. Denn für sie wird das System sowieso nicht mehr gelten. Glücklich, wer Immobilien kaufen kann und zu den Erben gehört Von Barbara Dribbusch: Ein Eigenheim muss sein
Nur selten verirrt sich ein jüngerer Anrufer ins Telefonnetz der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA), um sich seine Rente ausrechnen zu lassen. „Wir bekommen nach wie vor nur wenige Anfragen von 30- oder 40-Jährigen“, sagt BfA-Sprecherin Renate Thiemann.
Der Rentenstreit in der Politik bewegt die Jüngeren nicht. Wenn heute im Bundestag über Inflationsausgleich und Nettolohnanpassung für die derzeitigen Rentner gestritten wird, verstärkt sich bei ihnen nur noch das Gefühl: Mich wird das nicht mehr betreffen.
„Die Jüngeren haben kaum noch Vertrauen in die Sicherungssysteme“, sagt Christian Simmert (26), Bundestagsabgeordneter der Grünen und Mitglied der grünen Rentenkommission. Reformerische Ratlosigkeit beherrscht auch die Generation: Am Montag trafen sich Jungpolitiker aller Parteien zu einem Rentengipfel. Ergebnis: Man sei sich darüber einig, „dass Reformen auf der Basis des zurzeit bestehenden Rentensystems“ zu erfolgen hätten, so die SPD-Abgeordnete Nina Hauer (31).
Radikale Veränderungen zu fordern wirft die Verteilungsfrage auf. Und genau das ist das Problem. Denn viele RentnerInnen haben auch jetzt nur gerade mal genug zum Leben. „Es gibt nicht nur reiche Alte und arme Junge“, sagt Simmert, „deswegen kann man eben nicht allein auf Generationengerechtigkeit pochen.“
Kommt es aber nicht zu einer grundlegenden Veränderung, bricht das bisherige System ohnehin zusammen. Selbst die Kürzungen von Sozialminister Walter Riester (SPD) reichen nicht aus, so warnen Demographen schon heute, um die Rente für die derzeit 35-Jährigen zu sichern.
Riester will das Standardrentenniveau bis zum Jahre 2030 von 70 auf 67 Prozentpunkte absenken, sein Vorgänger Norbert Blüm sah eine Absenkung von 70 auf 64 Prozentpunkte vor. Der letztere Fall bedeutete schon einen Rentenverlust von neun Prozent gegenüber heutigem Recht. Doch voraussichtlich kommt es sogar noch schlimmer. Viele werden zusätzlich zur Rente auf Sozialhilfe angewiesen sein.
Wer nichts ansparen kann oder nichts erbt, für den sieht es später schlecht aus. Bei vielen mindert außerdem eine löchrige Berufsbiografie den gesetzlichen Rentenanspruch.
„Pi mal Daumen habe ich meine Rente schon durchgerechnet“, schildert Klaus Kittler, Akademiker mit sogenannter „gebrochener Berufsbiografie“. Auf mehr als eine Rente knapp über Sozialhilfeniveau ist der 46-jährige Arbeitslosenberater nicht gekommen. Da war die lange Unizeit. Dann jobbte er als Honorarkraft, auch da floss nichts in die Rentenkasse. Es folgte eine Phase der Arbeitslosigkeit, dazwischen AB-Maßnahmen mit nur niedrigen Rentenbeiträgen. Jetzt ist er fest angestellt, aber das rettet die Erwerbsbiografie kaum.
Künftige Rentenempfänger wie Kittler gibt es zu Millionen in Deutschland. Wer beispielsweise statt 45 Jahren nur 33 Jahre in die Rentenkasse einzahlte – und das ist nicht selten –, hat seinen Anspruch schon erheblich gedrückt. Hinzu kommen Phasen der Teilzeitarbeit.
Dennoch sieht ein Teil der 35- bis 45-Jährigen gelassen in die Zukunft: Es sind Erwerbstätige mit gutem Arbeitseinkommen, anbezahlter Eigentumswohnung, einem kleinen Aktiendepot und in Erwartung einer ansehnlichen Erbschaft. Mehr als zwei Drittel der Bevölkerung betreiben irgendeine Form der privaten Altersvorsorge, etwa den Abschluss einer Lebensversicherung oder den Erwerb einer Immobilie.
Mehr als die Hälfte der Erbschaften sind mehr wert als 100.000 Mark, Immobilienvermögen eingerechnet. Jeder Zweite im Westen wohnt in den eigenen vier Wänden. Und im ererbten Häuschen lässt sich auch mit einer bescheidenen Rente noch erträglich leben. „Auch im Zusammenhang mit der Altersvorsorge muss deshalb über die Erbschaftssteuer diskutiert werden“, meint der Grüne Simmert.
„Die Kluft zwischen Arm und Reich wird künftig noch weiter aufreißen“, fürchtet die Soziologin Betty Siegel von der Agentur Trendbüro Hamburg. Denn wer aus einer Mittelschichtsfamilie kommt, hat meist eine gute Ausbildung, erbt und kann schon früh Vermögen anlegen. Und wer hat, dem wird noch mehr gegeben: Die Rendite aus den Anlageformen für hohe Vermögen ist prozentual gesehen höher als der Ertrag eines kleinen Sparbuchs, „da geht auch eine Schere auf“, so Siegel.
Mit dem Vorschlag einer Mindestrente will Riester die Diskussion über Altersarmut entschärfen. Doch Mindestrente – das klingt nach wenig, so als müsste man sich darauf einstellen, sich im Alter noch als Hilfskraft zu verdingen oder gar den alten Taxischein hervorzukramen. Hinzuverdienstgrenzen für Mindestrentner – man kann sich die politischen Diskussionen der Zukunft heute schon vorstellen.
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