: Ein Brief aus Beirut
Beirut (taz) - Lieber Mohammed Ayoub, von meinen Westberliner Kollegen habe ich erfahren, daß du eigentlich heute auf dem internationalen Flughafen in Beirut landen solltest. Nun wird nichts draus, denn am Donnerstag hagelte es Bomben auf den Airport. Natürlich will es mal wieder niemand gewesen sein. In Betracht kommen die Kanonen der PLO, die ihre Artillerie in den drusisch kontrollierten Bergen oberhalb Beiruts postiert hat. Die PLO bestritt umgehend jede Verantwortlichkeit. Gut, die Artillerie der Palästinenser nimmt derzeit vorzugsweise die südlichen Wohngebiete Westbeiruts, also die schiitisch besiedelten Stadtgebiete aufs Korn, doch zum „Lagerkrieg“ später. Für das Bombardement vom Donnerstagmorgen können sonst nur noch die Phalangistentruppen in Frage kommen. „Forces Libanaises“, die Einheitsmiliz der Ostbeiruter Christen, bestritten ebenfalls die Urheberschaft. Gleichzeitig aber forderten sie die Eröffnung des Flughafens Halat, einer von den Phalangisten kontrollierten Piste nördlich der Hauptstadt. Eine ziemlich verständliche Angelegenheit, denn welcher Christenmensch kann sich schon in den moslemischen Westteil Beiruts trauen, ohne die Gefahr gekidnappt zu werden? Gerade am Donnerstag kam es wieder zu heftigen Gefechten entlang der Demarkationslinie, die Zeitungen veröffentlichen heute wieder spaltenweise die Namen der Verletzten in Ost und West. Lösegeld in Dollar Die einzige für Normalverbraucher geöffnete Passage zwischen Ost– und Westbeirut wurde dicht gemacht. Abgesehen von solch militärischen Zwischenfällen aber ist die Gefahr, entführt zu werden, in den letzten Wochen wieder ungemein gewachsen. Dahinter steckt nicht der verrufene Jihad Islamieh, sondern offenbar ganz arme Leute, die unbedingt Geld brauchen. Und stell dir vor, die Lösegeldforderungen werden neuerdings nur noch in US–Dollar–Summen gestellt, nicht in libanesischen Lira. Wegen der Wirtschaftskrise wird auch der Flughafen so schnell wie möglich wieder den Betrieb aufnehmen. Dort aber brauchst gerade du als Palästinenser einen Schutzengel. Nicht nur wegen des gleich um die Ecke tobenden „Lagerkrieges“. Denn der Flughafen und die einzige Zufahrtsstraße unterliegen der Kontrolle durch syrische Geheimdienstler und Milizionäre der Schiitenbewegung Amal und Soldaten der ersten und sechsten Brigade der Armee. Die gleichen Waffenbrüder also, sie sich gegen die Palästinenserlager in Beirut und dem Süden seit Ende September Krieg führen. Auch heute morgen hallten wieder die Gefechtsgeräusche über die Hauptstadt. Selbst ein Schutzengel könnte nicht helfen Du würdest nicht in eines der Camps gelangen, selbst wenn dein Schutzengel dich sicher durch alle Flughafenkontrollen schleust. Auch vom Aufenthalt in Westbeirut oder dem Südlibanon möchte ich dir dringend abraten. Besonders jungen Männern im waffenfähigen Alter lauern viele Gefahren. Ich zitiere aus einer mehrseitigen, nur aus den Meldungen der libanesischen Tageszeitungen zusammengestellten Dokumentation, die die Demokratische Front zur Befreiung Palästinas am 5.1.87 veröffentlichte: 24.11.86: 75 palästinensische Familien werden aus Sour vertrieben / 27.11.86: Dreihundert Häuser in den Lagern Abul Asswad und Jmei–Jim verbrannt / 29.11.86: zehn Häuser von Palästinensern in Sabra, Fakhani und anderen Teilen Westbeiruts ausgeraubt und angesteckt, 200 junge Männer von Amal–Milizionären verhaftet / 2.12.86: 45 palästinensische Familien aus dem Beiruter Stadtteil Bir Hassan vertrieben / 5.12.86: Die UNRWA (UNO–Organisation) gibt an, daß seit Ende Oktober 2.794 palästinensische Familien aus dem Gebiet südlich von Sour vertrieben wurden / 19.12.86: Ins ehemalige Research–Center in Hamra, jetzt von palästinensischen Flüchtlingen bewohnt, wird Dynamit geworfen / 7.11.86: Auf dem Friedhof von Sour werden die Leichen von drei Palästinensern gefunden / 24.11.86: In Ouzai–Westbeirut wird eine palästinensische Familie ausgeraubt, der Vater umgebracht / 2.12.86: Drei palästinensische Brüder, denen ein Zigarettengeschäft in Tariq–Jdeideh in Westbeirut gehört, werden umgebracht. Bei den betroffenen Opfern handelt es sich wohlgemerkt ausschließlich um Zivilisten... Ich höre mit dieser Horrorliste auf. Deine Landsleute warten auf dich Wohin also mit dir, Mohammed Ayoub? Du weißt: Schiffe, die von Zypern aus die libanesische Küste anlaufen, werden von den Israelis kontrolliert. Sie suchen nach Palästinensern. Solltest du jemals was mit Arafats Organisation El Fateh zu tun gehabt haben, wäre der nordlibanesische Hafen Tripoli, unter der Kontrolle der Syrer, eh kein sicherer Fluchtort. Also auch die Camps in der Nähe von Tripoli, woher du ja kommst, werden von den Syrern kontrolliert. Vielleicht solltest du dann nach Saida im Südlibanon gehen, wo Arafat über eine Bastion verfügt. Aber gerade wo ich hier sitze und schreibe, melden die Radionachrichten einen israelischen Luftangriff in dem Gebiet. Leicht könnten die westdeutschen Behörden für Leute wie dich ein Libanon–Gate klar machen mit den Israelis, die auch vor dem dortigen Hafen ihre Kriegsschiffe zu liegen haben. Wäre das eine Schlagzeile: „BRD und Israel unterstützen Rückkehr der Palästinenser in den Libanon...“! So sehen übrigens deine Landsleute die Abschiebungen aus der BRD allemal. Sie warten nur auf euch. Nein, nicht daß sie dich gleich zwangsverpflichten würden. Aber jeder Palästinenser mehr erhöht die Widerstandskraft im Libanon, rechnen sie. Und hoffen, daß sich die Abschiebungen, vielleicht sogar eine Verhaftung am Flughafen publikumswirksam herumsprechen. Das wäre eine Abschreckung all derjenigen, die den libanesischen Camps den Rücken kehren und mit Verfolgung und Krieg nichts mehr zu tun haben wollen. Ein bedauerliches individuelles Schicksal für dich, Mohammed Ayoub, aber es würde die Einheit deines Volkes erheblich voranbringen. Wenn dir dein Leben lieb ist, warte ab Es tut mir wirklich leid, daß ich dir nicht einen aufmunternden rief, keine positiven Nachrichten aus dem Libanon schicken kann. Wenn dir an Sicherheit gelegen ist, dann warte noch eine Weile ab. Zwar hat sich seit Ende September, dem Ausbruch des „Lagerkrieges“, hier nur alles verschlechtert, aber irgendwann muß diese finstere Zeit ja mal ein Ende haben. Übersetzt von Petra Groll
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