Ein Barockfest in Vorpommern: Barocker Aufbau Ost
Eine Landpartie als „Projekt“: In Rothenklempenow in Vorpommern gönnte man sich ein Spektakel samt historischer Lotung um ein musikalisches Fundstück herum.
Diese Sonaten wollte Meier in der zum Schloss gehörenden Barockkirche aufführen lassen – vom Collegium für Alte Musik Vorpommern mit Flöte, Violine, Violoncello und Cembalo. Auch die Orgel in der Kirche sollte – in Maßen – mitwirken. Dazu vier Großpuppen von Suse Wächter, die zwischen den Musikstücken über deren Sinn und Unsinn streiten sollten: der Baron, sein Sohn, der Komponist und seine Frau. Meier schrieb ihnen die Dialoge.
Bei der „Aufbau Ost“-Arbeit
So erfährt man in dem Stück, dass der alte Baron Georg von Eickstedt, Herr zu Rothenklempenow, von Bach schwärmte, er fand die italienische Musik zu süßlich. Seine Vorfahren waren aus Thüringen nach Pommern gekommen, um hier „Aufbau Ost“-Arbeit zu leisten: „Ein bisschen Rechtsstaat einführen, ein Galgen hier, ein Galgen dort.“ Nach dem 30-jährigen Krieg ging Vorpommern an die Schweden, die es 1720 für 2 Millionen Taler an die Preußen verkauft hatten. Seinen Sohn Vollrath hielt er für ein „Weichei“, was er auf die neumodische italienische Musik zurückführte, die nun auch noch in seinem Haus, in seiner Kirche Einzug hielt.
Für Paganelli war Bach dagegen in den Worten Meiers „germanisches Orgel-Gejaule, wie das Essen hier: Hauptsache, viel, Hauptsache, fett. Keine Emozioni – echte Gefühle“, die wollte er den Hiesigen nahebringen. Der Sohn des Grafen sei schon ganz vernarrt in seine Musik. Paganellis Frau dagegen, eine Sängerin, die bereits in Venedig, Wien und Bayreuth aufgetreten war, litt unter der Pommerschen Rustikalität: „alles nur Lehmhütten und Ruinen“. Die Betten zu hart, der Weinkeller zu mickrig.
In der Kirche wurde geprobt, der Baron inspizierte: „Hab ich’s mir doch gedacht, der feine Herr Sohn, am hellen lichten Tag beim Künstlerpack“, schimpfte er. Vollrath schmeichelte ihm: „Herr Vater, sie werden von der Nachwelt nicht nur als Patron dieses wunderschönen Gotteshauses bewundert, jetzt schreiben sie auch noch Musikgeschichte.“
Der Baron ist auch deswegen schlecht gelaunt, weil er in Pasewalk den Markgrafen traf, der dort ein Dragonerregiment besuchte, das der Soldatenkönig ihm zur Verlobung geschenkt hatte. Er klagt: „Wieder saß ein Westler hier auf einem gut dotierten Führungsposten, als ob es in Pommern nicht genügend fähige Kader gibt. Ich zum Beispiel habe als Offizier für die Schweden dutzende von Schlachten geschlagen“. Der Sohn unterbricht ihn: „Ja, ja, wir kennen die Geschichten, aber das war vor der Wende. Jetzt sind wir preußisch.“
Zwar hingen die Rothenklempenower irgendwie noch der lustigen Zeit der DDR an, aber André Meier gedachte, ihnen mit einem neuen – schreckliches Wort – „Narrativ“ zu kommen. Der Bürgermeister war begeistert und machte mit, weitere Ortsansässige kamen hinzu. Das „Projekt“ (ein noch schrecklicheres Wort) nahm Fahrt auf. Geld dafür kam vom Vorpommernfonds, dem Landkreis und privaten Spenden.
Von Mittag bis Mitternacht
Am Ende der Vorbereitungen stand ein Barockfest auf dem Programm: von Mittag bis Mitternacht im riesigen Schlosspark zwischen Eichen, Linden und Kastanien, mit einem Dutzend Ständen für Essen und Trinken (alles bio) und ebenso vielen Dixi-Klos. Es kamen einige hundert Gäste, nicht wenige angetan mit Barock-Perücken und -Kleidern.
Auf der Schlosstreppe sang der deutsch-polnische Chor Horyzont romantische Lieder. Auf einer Bühne am anderen Ende der Festwiese spielte die italienische Band Ostia, die aus Deutschen bestand, „Italo-80er-Elektro-Pop“. Am Schlossteich sangen die barocken „Artistokraten“ Zartes von Mozart, auch jonglierten und akrobatierten sie. Und Klaus Thaler, der Erstgeborene von Biermann, bespaßte die Kinder mit seinem Stück „Eine Puppe packt aus“. Zu guter Letzt legte der Radio-Multikulti-DJ Gio di Sera („Don Rispetto“) italienische Tanzmusik auf, und es wurde auch getanzt. Gelegentlich donnerte es, jedoch ohne Blitz und Regen.
Das alles fand am 17. Juni statt, der in der BRD vom Bundespräsidenten Heinrich Lübke zum gesetzlichen Feiertag erklärt worden war, nachdem „die Russen“ an dem Tag 1953 einen Bauarbeiter-Aufstand in Ostberlin niedergeschlagen hatten.
Aber es war noch nicht alles: Meier hatte im Zusammenhang seiner Ausstellung ein Faltblatt gestaltet, „Lebendiges Denkmaldorf Rothenklempenow“, das ein barocker Jüngling verteilte. Der Flyer wurde von „GehMit – aufsuchende Bildungsarbeit für den ländlichen Raum“ und dem quasigewerkschaftlichen Verein „Arbeit und Leben“ bezahlt.
Herbert Achternbusch
Was ein Witz ist, denn die Arbeit war ja nach 89 in der dann „ehemalig“ genannten DDR gerade eingestellt worden. „Vorpommernland ist abgebrannt / Flieg, Maikäfer, flieg …“
So erfuhr man, dass sich die Ausstellung im „Torhaus“ des Schlosses befand – und aufhatte. Und dass das Schloss im 18. Jahrhundert gebaut wurde. Es wirkte bescheiden, wäre da nicht der dazugehörige riesige Gutshof. Der Gutsbetrieb besaß eine Brennerei, in deren Souterrain sich heute eine Kneipe befindet. Die 900 Hektar, zuletzt von der LPG bewirtschaftet, erwarb 2013 eine „Bio-Boden-Genossenschaft“. Das Schloss gehört nun der Gemeinde. Gegenüber befindet sich eine Großgarage der Freiwilligen Feuerwehr Rothenklemperow (wo an dem Tag ebenfalls ein Fest stattfand). Im Ort gibt es einen „Weltacker“ – eine Idee des Ex-tazlers Benny Härlin, der sein Feld in Pankow „bewirtschaftet“. Der Rothenklempenower Weltacker verfügt über ein „Weltackerhaus“, das auch als Kino dient.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
So weit die lokalen Sehenswürdigkeiten um Meiers Barockfest herum, das wie bereits angedeutet ein großer Erfolg – für das Dorf und gegen die Welt – war. Welt in dem Sinne, wie es der bayerische Filmemacher Herbert Achternbusch verwendete: „Da, wo früher Passau und Weilheim war, ist jetzt Welt. Die Welt hat uns vernichtet, so viel kann man sagen.“
Wir hatten uns ein paar Dörfer weiter in einem Golfschloss einquartiert, das dem Anschein nach mit chinesischen Produkten eingerichtet wurde. Dafür war es nicht teuer. In Pasewalk übernachteten wir danach in einem Hotel, das eine Bullenstation gewesen war. Neben der Rezeption hing ein Schild: „Während des Deckaktes nicht laut reden oder lachen!“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Frauenfeindlichkeit
Vor dem Familiengericht sind nicht alle gleich